Süddeutsche Zeitung

Alphabet:Warum die Google-Mutter der wertvollste Konzern der Welt ist

  • Der Google-Mutterkonzern Alphabet begeistert mit seinen Quartalszahlen die Anleger und löst Apple offiziell als wertvollstes börsennotiertes Unternehmen der Welt ab.
  • Der Konzern investiert einerseits in innovative - noch defizitäre - Zukunftsprojekte, verdient aber mit dem Internet-Anzeigengeschäft gutes Geld.

Analyse von Helmut Martin-Jung

Was sind das für Geschichten! Geschichten, wie Hollywood sie nicht besser hätte erfinden können: Zwei Studenten haben eine geniale Idee, basteln sich selber Computer zusammen, und daraus wird eine Weltfirma. Aber nicht irgendeine, die vielleicht mehr Brause verkauft als andere, oder mehr Schrauben oder auch mehr Mobiltelefone. Nein, der Konzern Alphabet, zu dem die Internetfirma Google gehört, zählt zu denen, die das Leben tief greifend verändern.

Der märchenhafte Aufstieg von Google ist durch eine Entwicklung möglich geworden, die viele noch gar nicht in ihrer vollen Bedeutung erkannt haben: Computerchips, die Rechnerherzen all der Myriaden von Servern in den Rechenzentren, schlagen immer schneller, unfassbar schneller. In dem Maße wie sich die Rechenleistung beschleunigt, steigt auch das Tempo zunächst in den IT-nahen Branchen, aber zunehmend auch in der old economy.

2011 war Google auch schon eine Weltfirma. Ihr Börsenwert lag damals bei knapp 200 Milliarden Dollar. Doch heute, nur mickrige fünf Jahre später, hat er sich auf weit mehr als das Doppelte hochgeschraubt. Heute nun ist Alphabet, gemessen an der Marktkapitalisierung, die wertvollste Firma der Welt - wertvoller als der iPhone-Hersteller Apple. Daraus lassen sich zwei wichtige Schlussfolgerungen ziehen.

Erstens: Die Beschleunigung funktioniert in beide Richtungen. Was gestern vielversprechend begann, sich heute prächtig entwickelt, kann morgen schon wieder bedeutungslos oder gar verschwunden sein. Ein Beispiel? MySpace, das soziale Netzwerk, war einmal größer als Facebook. Heute spielt es keine Rolle mehr, unter den am meisten aufgerufenen Seiten weltweit rangiert es der Analysefirma Alexa zufolge auf Platz 1717, Facebook aber ist: die Nummer 2. Hinter Google.

Google, seit 2014 unter dem Dach der Holding Alphabet, ist der Goldesel des Konzerns. Doch, um im Bild zu bleiben, der Esel ernährt sich ziemlich einseitig. Zu vier Fünfteln stammen die Einnahmen aus Werbung im Internet. Bis jetzt hat es Google-Chef Sundar Pichai geschafft, den Paradigmenwechsel weg vom PC hin zu mobilen Geräten wie Tablets und vor allem Smartphones für seine Firma zu nutzen. Das von Google entwickelte Mobilbetriebssystem Android ist weltweit führend, und obwohl sich mit Anzeigen auf den kleineren Bildschirmen der Mobilgeräte weniger verdienen lässt, gelang es ihm, den Rückgang des durchschnittlichen Anzeigenpreises um 16 Prozent aufzufangen, weil mehr Seitenaufrufe erreicht wurden. Doch morgen kann die Welt anders aussehen, und so herrscht bei Google immer der General-Vorbehalt: Falls die Anzeigen weiter Geld bringen, dann...

Denn nur diese machen es möglich, dass Alphabet sogenannte Moonshot-Projekte angehen kann. Dinge wie selbstfahrende Autos, smarte Kontaktlinsen, die den Blutzuckerspiegel messen, Ballons für die Internet-Versorgung auch in entlegenen Weltgegenden oder der teure Ausbau von Glasfasernetzen für ganze Städte. Erstmals erfuhr die Öffentlichkeit bei der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen, was das alles kostet: 3,07 Milliarden Dollar Verlust fuhren die von Alphabet so genannten "other bets" - die übrigen Wetten - ein. Wetten auf die Zukunft, möchte man sofort ergänzen.

Die teils ehrgeizigen, teils verrückt anmutenden Projekte, und die solide vor sich hin werkelnde Geldmaschine Google - das zusammen ergibt die Mischung, die den Börsianern Vertrauen einflößt.

Was immer bald das nächste große Ding werden könnte - der Konzern forscht wohl daran

Denn, so die zweite Schlussfolgerung, Alphabet betreibt eine ziemlich schlaue Politik der Diversifizierung. Klar ist auch Alphabet kein König Midas der Digitalwelt, der alles, was er anfasst, zu Gold verwandelt. Einst mit großem Trara angekündigt, wird vieles auch wieder eingestellt, zum Beispiel der Kurznachrichtendienst Jaiku, der Twitter Konkurrenz machen sollte. Oder Wave, in dem viele Google-Dienste zusammenlaufen sollten. Nach enthusiastischen Vorberichten verebbte die Welle geradezu kläglich.

Die Milliarden, die auf den Gesamtkonzern regnen und die ziemlich strikte Haushaltsdisziplin bei der Tochter Google erlauben Alphabet, eine Menge an unbekanntem Terrain zu erkunden. 19,08 Milliarden Dollar verdiente Google mit Anzeigen unter anderem auf den Seiten seiner Suchmaschine und der Videoplattform Youtube im vergangenen Quartal, 17 Prozent mehr als im Jahr davor. Was immer an Zukunftstechnologien ein großes neues Ding werden könnte, die Chance ist ziemlich groß, dass bei Alphabet schon daran geforscht wird. Künstliche Intelligenz, Robotik, Big Data, Gesundheit, Internet der Dinge - auf allen diesen Zukunftsfeldern ist der Konzern vorne mit dabei. Und das sind nur einige der Projekte, die man kennt.

Alphabet ist auch das größte Symbol der gewaltigen Veränderung, die sich in der Weltwirtschaft vollzieht. Mit dem Konzern steht erstmals einer an der Weltspitze, der kaum mehr etwas produziert, das man in die Hand nehmen könnte. Das Wertvolle an Google sind nicht Maschinen, nicht Computer, nicht Mobiltelefone - es sind die Ideen dahinter. Genauer gesagt, die Algorithmen, mathematische Regeln, die ein Kartenprogramm oder eine Suchmaschine überhaupt erst dazu bringen, sinnvolle Ergebnisse auszuspucken. Das 21. Jahrhundert ist nun wirklich und endgültig zum Jahrhundert der Daten geworden.

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SZ vom 03.02.2016/jasch
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