"Heute keine Eierspeisen", steht auf einer Tafel neben der Speisekarte. Der Gast im schweißnassen Bergradler-Outfit ist enttäuscht. "Schade, Kaiserschmarrn ist mein Leibgericht." Hüttenwirt Karl Wehrle, den alle hier Charly nennen, zuckt bedauernd die Schulter. "Eier sind leider aus." Montags herrscht fast immer Eier-Notstand auf der Reintalangerhütte, zumindest wenn am vorhergehenden Wochenende bestes Bergwetter angesagt war. Dann sind schnell alle 90 Schlafplätze belegt.
Um den Kühlschrank mit Frischware aufzufüllen, braucht das Team um Wehrle logistische Fähigkeiten - und eine günstige Wetterprognose. Denn die Schutzhütte der Sektion München des Deutschen Alpenvereins (DAV) liegt im Wettersteingebirge auf 1367 Meter Höhe. Kein Fahrweg, keine Seilbahn führt hinauf in das atemberaubend schöne Tal südöstlich der Zugspitze.
Schier endlose Waldwege
Gut fünf Stunden brauchen Wanderer vom Parkplatz am Garmischer Skistadion bis zur Reintalangerhütte, die auf dem Weg zu Deutschlands höchstem Gipfel liegt. Die Tour führt durch die geheimnisvolle Partnachklamm, über schier endlose Waldwege, einen grandiosen Bergpfad bis in die Nähe des Partnach-Ursprungs. Gut trainierte Bergsteiger schaffen es in dreieinhalb Stunden. Charly Wehrle bewältigt die Strecke in knapp 60 Minuten.
Garmisch ist das Basecamp der Reintalangerhütte. Vor dem Früchtehaus Stille verstaut Charly zwei Dutzend Eierkartons in seinen Kombi. Dann umkurvt er die Karawanen der Touristen, die auf der Fahrstraße zur Partnachklamm trotten. Über steile und rutschige Waldwege fährt Wehrle bis zu seinem Umschlagplatz. Dort parkt er das Auto, schultert die Kraxe mit 240 Eiern, steigt um auf die Geländemaschine. Knapp sechs Kilometer sind es nun über Geröll und schmale Holzstege. An besonders steilen Stellen stabilisieren Landebleche den fragilen Bergpfad. Trotzdem ist der Ritt auf der Enduro immer ein Wagnis. Besonders bei Regen oder im Frühjahr, wenn Lawinenabgänge drohen. Vier Transportunfälle hatte die Reintal-Crew letztes Jahr, einen in dieser Saison.
Nicht alle 332 Berghütten, die der DAV in den Alpen sowie den deutschen Mittelgebirgen betreibt, müssen solchen Aufwand bei der Versorgung mit Frischware betreiben. 53 Alpenhütten zählen zur Kategorie 2 oder 3. Das sind Schutzhütten mit Stützpunktfunktion in einem viel besuchten Gebiet, die sich, so der DAV, "wegen ihrer besseren Ausstattung und Verköstigung für mehrtägigen Winter- und/oder Sommeraufenthalt, zum Skilauf und Familienurlaub besonders eignen". Solche Hütten sind in der Regel per Seilbahn oder Auto erreichbar und ganzjährig bewirtschaftet.
Den Blick fürs Wesentliche schärfen
Hunderttausende Wanderer nutzen in diesen Wochen die Infrastruktur der DAV-Hütten, kraxeln auf umliegende Berge, hängen ihren Karabiner in die Drahtseile der Klettersteige oder gönnen sich einfach nur ein Weißbier auf der Sonnenterrasse. Denn Bergsport liegt im Trend. Der DAV kann jedes Jahr mehr Mitglieder verbuchen. Rund 800.000 Bergfans haben einen Mitgliedsausweis, 26 Prozent mehr als im Jahr 2000. Nur wenige Mitglieder wissen, wie ihr Verein in der dünnen Höhenluft wirtschaftet. Jedenfalls nur selten mit Gewinn.
Charly Wehrle führt die Hütte seit über 20 Jahren. Ein "Methusalem" auf dem Reintalanger, sagt Wehrle, Jahrgang 1949, von sich selbst. Ein Gastgeber mit Charisma und einer Ausstrahlung ganz besonderer Art, sagen Gäste, die ihn seit vielen Jahren kennen. Das ist auch im Hüttenbuch nachzulesen. "Einmal im Jahr muss ich herkommen, um wieder den Blick für das Wesentliche zu bekommen", lautet ein Eintrag. Charly ist nicht nur passionierter Hüttenwirt, sondern blickt immer wieder über den eigenen Tellerrand hinaus.
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In Nepal lernte er im Winter 1998 Sherpa Gyalzen kennen. Seitdem verbringt der mittlerweile 69-Jährige jeden Sommer auf der Reintalangerhütte, hilft mit in der Küche und sorgt für das typische Himalaya-Flair auf dem Reintalanger. Über der eiskalten Partnach flattern tibetische Gebetswimpel. Morgens werden die Gäste mit Livemusik von Hackbrett und Gitarre sanft geweckt, abends mit Stubenmusik in die Federn verabschiedet. Abgesehen von Charly und seinem nepalesischen Freund ist die Hüttencrew jung. Schüler und Studenten werkeln in Küche und Service. Seit zwei Jahren ist der junge Simon Neumann Mitpächter der Reintalangerhütte. Die beiden wechseln sich wochenweise ab. "In den Beruf muss man hineinwachsen", sagt Simon.
Profitabler Alpentourismus
Dass mit solchen Hüttenwirten gut Staat zu machen ist, haben auch die Vereinsoberen der DAV-Sektion München schon vor Jahren erkannt. In Werbebroschüren wird Wehrle als "Wirte-Original" vorgestellt, der mit seinem Team eine "wohl einmalige Hüttenatmosphäre" bietet. Auch in Zahlen ausgedrückt ist Wehrle der Sektion München viel wert.
Knapp 7000 Übernachtungen brachten im vergangenen Jahr 146.234 Euro Einnahmen. Dem stehen Ausgaben von 93.208 Euro gegenüber. Mit diesem Verhältnis ist die Reintalangerhütte unter den acht bewirtschafteten Hütten der Sektion München die mit Abstand profitabelste. Spitzenreiter ist die Reintalangerhütte auch bei der Auslastung: Knapp 50 Prozent der Betten sind während der 156 Tage dauernden Saison belegt.
Trotz oder gerade wegen dieser Zahlen ist das Verhältnis zwischen den gastronomischen Leistungsträgern und den Vereinsmanagern in München derzeit so unterkühlt wie die Partnach. Charly und seinem jungen Kompagnon wurde vor zwei Jahren ein Pachtvertrag vorgelegt, den die beiden als "existenzbedrohend" empfinden. Statt wie bisher acht Prozent vom Umsatz verlange die Sektion München nunmehr 50.000 Euro Jahrespacht. "Die müssen erst mal erwirtschaftet werden", sagt Wehrle. Eine Hütte im hochalpinen Gebiet sei nun mal kein Ausflugslokal. "Wir können nicht einfach zusperren, wenn das Wetter mal schlecht ist."
"Die New Economy hat den DAV erfasst."
Schmackhaft gemacht habe man den Wirten die Vertragsänderung mit einer Erhöhung der Rückvergütung der Übernachtungsgebühren von 3,50 Euro auf fünf Euro, die der Pächter jetzt pro Gast und Übernachtung erhält. "Die Übernachtungspreise sind sowieso überteuert", schimpft Wehrle. Nichtmitglieder des DAV zahlen 20 Euro für ein 50 Zentimeter breites Lager in der Gemeinschafts-Schnarchstube. Dreimal seien seit 2003 die Übernachtungspreise erhöht worden. "Das ist allerhand."
Wehrle setzt seine Lesebrille ab und wird etwas lauter: "Wir werden für unsere Leistung abgestraft!" Um die Hüttenpacht zu erwirtschaften, müssten die Übernachtungen pro Saison auf mindestens 8000 steigen. Spätestens dann sei es vorbei mit der vom Alpenverein beworbenen "einmaligen Hüttenatmosphäre". Masse statt Klasse. Charly Wehrle, der einst Metzger lernte und aus konservativem Elternhaus stammt, sieht eine neue Entwicklung im Bergsport: "Die New Economy hat den DAV erfasst."
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Diese Tendenz hat bei der Sektion München und Oberland, der mit über 106.000 Mitgliedern größten Gliederung des DAV, einen Namen: Thomas Gesell. Der freiberufliche Unternehmensberater ist für die Betriebsführung der Pachthütten zuständig. Natürlich seien die Vertragskonditionen für die Wirte jetzt schlechter, sagt Gesell. "Aber was bleibt uns anderes übrig?" Die Sektion München betreibe nicht nur ertragreiche Hütten.
Sorgenkind sei zum Beispiel das Heinrich-Schwaiger-Haus im Nationalpark Hohe Tauern, in das in den kommenden Jahren kräftig investiert werden müsse. Mit maximal tausend Übernachtungen pro Saison seien auf der in 2802 Meter Höhe gelegenen Hütte die Betriebskosten von rund 800.000 Euro "nie und nimmer zu erwirtschaften". Dunkle Wolken sieht Gesell über mancher Schutzhütte aufziehen. So mache es durchaus Sinn, die eine oder andere Hütte aufzugeben. "Wir können uns diesen Luxus nicht mehr leisten."
Beim Österreichischen Alpenverein sind solche Überlegungen schon an der Tagesordnung. 2004 verkaufte der alpine Schwesterverein das Alpinzentrum Rudolfshütte in den Hohen Tauern an eine private Hotelkette. Jetzt bietet dort Managerin Bettina Robwein Wellness-Urlaub an. Gäste mit Alpenvereins-Ausweis sind im neu gestalteten Berghotel natürlich gerne gesehen, müssen aber den vollen Übernachtungspreis von 24 Euro pro Person im Lager zahlen. Schlimmer kam es für die Freunde der altehrwürdigen Hofmannshütte.
Die 1862 gebaute Unterkunft war jahrzehntelang eine wichtige Zwischenstation auf dem Weg zum Großglockner. Jetzt soll die Hütte abgerissen werden. Eine Sanierung wäre zu teuer. Auch beim Deutschen Alpenverein wechseln die Hütten notgedrungen schon mal ihre Besitzer. Die 6000 Mitglieder kleine Sektion Frankfurt am Main tat sich vor zwei Jahren mit der Sanierung des Taschachhauses im Pitztal schwer. Ende des Jahres soll die finanzstarke Sektion Schwaben das DAV-Ausbildungszentrum übernehmen. "Wir schaffen das nicht mehr", klagt Sprecherin Heike Schürmann.
Ein Sanierungsfall ist Charlys Hütte im Reintal noch lange nicht - obwohl demnächst sechsstellig in eine Abwasseranlage investiert werden muss. Die Energie erzeugt umweltfreundlich das hütteneigene Wasserkraftwerk. Und weil Wasser und damit Strom praktisch kostenlos zur Verfügung stehen, gibt es auf der Reintalangerhütte sogar Elektro-Speicheröfen. Von solchen Bedingungen können die Wirte auf der umsatzstärksten Hütte der Sektion München nur träumen. Auf dem Watzmannhaus herrschte bis vor kurzen extreme Wasserknappheit. 2006 musste die Sektion für 1,4 Millionen Euro neue Wasser- und Energieversorgungsanlagen einbauen.
Harald Dobner, Geschäftsführer der DAV-Sektion München und Oberland, schätzt das Investitionsvolumen für die nächsten sieben Jahre auf neun Millionen Euro. Charly Wehrle, den Dobner als Hüttenwirt "natürlich sehr schätzt", fehle für solche Zahlen leider "die Gesamtschau". Im Übrigen, sagt Dobner, seien die Pächter der DAV-Hütten "stets am Jammern". Unternehmensberater Thomas Gesell formuliert das etwas anders: Manche Pächter praktizierten schon mal "steuerschonende Umsatzgestaltung - Sie wissen schon, was ich meine".
Anfang nächster Woche wird Charly Wehrle wieder Kaiserschmarrn anbieten. Dann ist der Kühlschrank gut gefüllt. Sechsmal fliegt ein Helikopter zur Versorgung auf die Hütte. Die Flugminute kostet 25 Euro.