Süddeutsche Zeitung

Allianz:Konzern aus China nahm Allianz ins Visier

  • Die Versicherung Allianz war im Visier des chinesischen Konzerns HNA: HNA hat angefragt, ob ein Einstieg denkbar sei - vielleicht sogar als Mehrheitseigentümer.
  • Seit ein paar Monaten ist HNA bereits Großaktionär bei der Deutschen Bank.

Von Christoph Giesen, Peking, Herbert Fromme, Köln, und Meike Schreiber, Frankfurt

Chen Feng, der Gründer des chinesischen HNA-Konglomerats, ist kein Mann der leisen Töne: "Uns gehören Flugrouten zu Orten, wo nicht einmal Hasen hinscheißen", sagte er einmal in einem Interview. "Der halbe chinesische Luftraum ist unter unserer Kontrolle." In nur wenigen Jahren ist es Chen gelungen, aus einer regionalen Fluggesellschaft einen Mischkonzern zu formen, dessen Verzweigungen sich nur Eingeweihten komplett erschließen. Zwölf börsennotierte Unternehmen gehören dazu, einige Firmen in Europa, außerdem ein Dutzend Flughäfen. Bis 2025 soll HNA zu den zehn größten Konzernen der Welt gehören, deshalb geht Chen weltweit auf Einkaufstour.

Mehr als 40 Milliarden Dollar hat HNA im Ausland investiert. Chinesische Banken gewähren opulente Kreditlinien. Den Regionalflughafen Hahn im Hunsrück hat der Konzern erworben, genauso wie eine Beteiligung an den Hilton-Hotels. 6,5 Milliarden Dollar für 25 Prozent. 2016 übernahm das Unternehmen den US-IT-Großhändler Ingram Micro. Kostenpunkt: sechs Milliarden Dollar. Seit ein paar Monaten ist HNA auch Großaktionär bei der Deutschen Bank. 3,4 Milliarden Euro gab der chinesische Konzern dafür aus.

Was bislang aber nicht bekannt war: HNA hatte in Deutschland zeitweilig ein noch sehr viel größeres Unternehmen im Visier - die Allianz. Nach SZ-Informationen hat der Konzern direkt beim Management der Allianz angefragt, ob ein Einstieg als Ankeraktionär, ja sogar als Mehrheitseigentümer denkbar sei.

Die Allianz gehört zu den größten Versicherern der Welt. Sie ist an der Börse mehr als 81 Milliarden Euro wert und gilt als systemrelevantes Unternehmen. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat daher die Möglichkeit, alle Anteilseigner, die mehr als zehn Prozent halten, auf Zuverlässigkeit, Bonität und Geschäftsgebaren zu prüfen, wohl deshalb sondierten die Chinesen vorher, was möglich ist - und was nicht.

Versicherungen gelten für langfristig denkende Investoren als lohnende Kapitalanlage

In München, wo seit zwei Jahren Konzernchef Oliver Bäte das Sagen hat, war man ziemlich überrascht über die Anfrage aus China. Mit vielem hatte man an der Münchner Königinstraße gerechnet - damit nicht, und lehnte das Ansinnen von HNA nach Rücksprache mit dem chinesischen Staatsfonds CIC, der drei Prozent an der Allianz hält, ab. Auch in der Bundesregierung war man nicht sonderlich angetan von der Idee, dass nach der größten deutschen Bank nun die größte deutsche Versicherung in die Hände von HNA geraten könnte.

Es wäre in der Tat eine seltsame Ironie der Geschichte, wenn in Deutschland eine Art China AG entstünde - also eine neuerliche Querverbindung zwischen den beiden größten Finanzkonzernen des Landes. Solch eine Verstrebung zwischen Allianz und Deutscher Bank hatte es schon einmal gegeben. Sie war über viele Jahrzehnte hinweg ein prägender Teil der sogenannten Deutschland AG, jenes engmaschigen Netzes von Finanz- und Industriekonzernen, das bis Anfang des Jahrtausends die deutsche Wirtschaft beherrschte. Vor gut 15 Jahren wurde die Deutschland AG dann von der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel aufgelöst. Und nun: eine neue, etwas andere Deutschland AG? Eine China AG?

Äußern möchte sich HNA dazu nicht, trotz all der markigen Worte, die Aufsichtsratschef Chen sonst von sich gibt. Aber die Allianz wäre natürlich attraktiv. Sie verfügt über Milliardenreserven, die gesetzlich vorgeschrieben sind, praktisch aber nie gebraucht werden. Mit diesem Geld ließen sich auch andere Aktivitäten finanzieren. Zudem übersteigen die Eigenmittel einer Versicherung in der Regel den Börsenwert - wer eine Gesellschaft kauft und in seinen Konzern eingliedert, kann die Differenz als Buchgewinn einstreichen. Wer die Allianz übernimmt, könnte also danach ein ganz großes Rad drehen. Und im Zweifel noch mehr Firmen in Deutschland kaufen.

Selbst der Führung in Peking ist das ein wenig unheimlich. Bereits im vergangenen Spätherbst schränkte sie die Auslandsaktivitäten chinesischer Firmen massiv ein. So dürften Übernahmen branchenfremder Unternehmen seitdem nicht mehr als eine Milliarde Dollar kosten und nur in Ausnahmefällen mehr. Die absolute Obergrenze beträgt zehn Milliarden Dollar. Der Grund: Die Kapitalflucht soll eingedämmt werden. Seit Sommer 2014 musste Peking beinahe eine Billion Dollar seiner Währungsreserven einsetzen, um den Yuan stabil zu halten. Mit jeder Transaktion, mit jedem Deal aber verlässt Geld die Volksrepublik. Das sollte zumindest bis zum 19. Parteitag im Herbst auf ein Mindestmaß zurückgefahren werden. Soweit der Plan.

Einen ähnlich hohen Anteil an der Deutschen Bank halten zwei Scheichs aus Katar

Für HNA schien diese Regel allerdings außer Kraft gesetzt zu sein. Chens Leute stiegen trotz der Vorgaben aus Peking bei der Deutschen Bank ein und erwarben den Flughafen Hahn in Deutschland. Bis Mitte Juni ging das gut, dann machten Gerüchte die Runde, die Behörden hätten den Banken in China den Auftrag erteilt, alle Darlehen des Konzerns zu überprüfen. Seitdem ist Ruhe eingekehrt, und auch der Allianz-Deal scheint vorerst auf Eis zu liegen.

Bei der Deutschen Bank aber kam HNA noch in diesem Frühjahr zum Zuge. Das Institut war in einer deutlich wackeligeren Lage als die Allianz. 9,9 Prozent der Aktien hält HNA nun. Erstmals seit vielen Jahren wird Deutschlands größtes Geldhaus damit wieder von einflussreichen Großaktionären dominiert. Einen ähnlich hohen Anteil halten zwei Scheichs aus der Herrscherfamilie von Katar. Sie sind seit 2014 beteiligt. Zusammen könnten HNA und Katar rein theoretisch die wichtigsten Beschlüsse der Hauptversammlung bestimmen.

Das neue Machtgefüge bei der Deutschen Bank bereitet inzwischen vielen in der Finanzbranche Sorgen. Die Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank (EZB) prüfen seit einigen Wochen, ob sie die beiden Großaktionäre einem sogenannten Inhaberkontrollverfahren unterziehen sollen. Die Kontrolleure würden dann untersuchen, ob die Anteilseigner "zuverlässig" sind, vor allem, woher das Geld für den Aktienkauf stammt.

Zwar ist dem Vernehmen nach weiterhin offen, ob die EZB ein derartiges Verfahren eröffnet, die ebenfalls involvierte Bafin ist jedoch schon weiter. Sie prüft derzeit, ob sich die beiden Großaktionäre bei der Abstimmung auf der Hauptversammlung zusammen getan haben. Im Extremfall könnte die Aufsicht ihnen die Stimmrechte entziehen.

Aber dringen diese Probleme wirklich bis auf die Tropeninsel Hainan vor, wo HNA seinen Sitz hat? In China, so scheint es, warten derweil fast alle gebannt auf den Parteitag, das wichtigste politische Ereignis seit fünf Jahren. Am 18. Oktober geht es los. Dann steht fest, wer künftig im Ständigen Ausschuss des Politbüros sitzt, Chinas Machtzentrale. Seit 2002 gehört HNA-Gründer Chen zu den Parteitagsdelegierten. Er wählt mit. "Ich bin Mitglied der Kommunistischen Partei, also glaube ich an den Kommunismus", sagte Chen einmal. Viele seiner Genossen hoffen, dass nach dem Parteitag die Einkaufssperre aufgehoben wird und die Shoppingtour weitergeht. Was dann alles bei HNA auf dem Zettel steht, lässt sich nun erahnen.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2017
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