Alles online?:Bewerber gesucht

Großer Andrang, kleine Erfolgsquote: Viele Menschen melden sich auf ausgeschriebene Stellen, aber ein immer kleinerer Teil von ihnen ist tatsächlich geeignet. Unternehmen setzen daher gerne auf persönliche Kontakte.

Von Kristina Ludwig und Hannes Vollmuth, Berlin/München

Drei Räume hat die Fluggesellschaft Air Berlin im Hilton-Hotel am Münchner Flughafen angemietet, die Zimmer tragen weltläufige Namen: Frankfurt, Rom, Paris. Stewardessen begleiten Gäste zu ihren Plätzen: Willkommen in der schönen, neuen Bewerbungswelt. Draußen der winterkahle Flughafenpark. Drinnen, im Saal Paris, nach acht Minuten Freudentränen: Eine Flugbegleiterin, bayerischer Akzent, fester Händedruck, hat soeben einer jungen Frau gesagt: "Willkommen in unserem Team."

Für das "Cabin Crew Casting" ist Air Berlin mit 18 Mitarbeitern nach München geflogen. "Mit den normalen Bewerbungsverfahren bräuchten wir Monate", sagt Ines Doßmann-Bendlin, die für den Ablauf verantwortlich ist. Die Fluggesellschaft sucht dringend 500 Stewards und Stewardessen. Ähnlich machen es auch die Lufthansa und asiatische Airlines. Nach spätestens 30 Minuten wissen die Bewerber, ob sie mit der Ausbildung anfangen können.

Die Suche nach gutem Personal ist aufwendig und für viele Unternehmen nicht gerade einfacher geworden, weil sich Jobsuchende mittlerweile mühelos online bewerben können. Das Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) hat bei einer repräsentativen Umfrage in deutschen Betrieben herausgefunden, dass sich zwar trotz der guten Arbeitsmarktlage viele Menschen auf ausgeschriebene Stellen melden - allerdings ein immer kleinerer Teil von ihnen tatsächlich geeignet ist.

Ein elektronisches Anschreiben ist schnell kopiert und verschickt

Der Münchner Headhunter Christian Pape nennt dieses Phänomen "Bewerberspam". Ein elektronisches Anschreiben sei schnell kopiert und verschickt, Bewerbungsmappen bedürften mehr Sorgfalt und Überlegung. Gerade mittelständische Unternehmen seien von dem Andrang wahllos verschickter Online-Bewerbungen überfordert, sagt Pape. Sie setzten deshalb verstärkt auf persönliche Kontakte, um neue Mitarbeiter zu finden. Auch IAB-Arbeitsmarktforscher Alexander Kubis beobachtet diese Entwicklung. Fast jede dritte Stelle sei im vergangenen Jahr über persönliche Kontakte besetzt worden, sagt er.

Die Online-Modefirma Zalando hat zum Beispiel ein Bonussystem für gute Kontakte eingeführt. Sie verteilt Flyer an die Belegschaft: "Bring your friend to work". Für jeden angeworbenen Freund oder Bekannten können Zalando-Angestellte zwischen 100 und 2000 Euro verdienen, mit einem Computerprogramm können sie verfolgen, wie es mit der Bewerbung des Freundes vorangeht.

Zalando stellt seit 2010 pro Jahr mehr als 1000 neue Mitarbeiter ein. Von einem Start-up mit 20 Angestellten wuchs das Unternehmen auf derzeit etwa 11 000 Grafiker, Softwareentwickler und Modeverkäufer. Bei persönlichen Empfehlungen sei "die Qualität deutlich höher", sagt Zalando-Personalchefin Frauke von Polier.

Auch andere große Unternehmen machen sich darüber Gedanken, wie sie Bewerbungen besser aussieben. Nico Rose, der beim Medienkonzern Bertelsmann die Rekrutierung leitet, setzt auf möglichst scharf formulierte Ausschreibungen mit hohen Anforderungen. So müssten etwa Geisteswissenschaftler, die sich auf die Medienjobs bewerben, nicht nur Jahrgangsbeste ihres Studiengangs sein, sondern auch Arbeitserfahrung in der Privatwirtschaft vorweisen. Der Automobilkonzern Daimler setzt auf sein elektronisches Karriereportal, um vorzusortieren. Die Modekette H & M erklärt seinen Interessenten mit einem Leitfaden, wie sie sich bewerben sollten: "Lies dir die Stellenbeschreibung genau durch", steht dort zum Beispiel. "Die Sorgfalt, Bewerbungsunterlagen zu erstellen, war insgesamt in einem Offline-Bewerbungsprozess stärker", sagt eine Unternehmenssprecherin. "Die Persönlichkeit konnte stärker zum Ausdruck gebracht werden, als Werbung für die eigene Person."

Kleine Betriebe, bei denen sich weit weniger Menschen bewerben, suchen besonders stark in ihrem persönlichen Umfeld nach neuen Mitarbeitern. Nur ein knappes Drittel der Bewerber, die sich in Betrieben unter zehn Mitarbeitern vorstellen, ist auch geeignet, ergibt die IAB-Befragung. Bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern waren immerhin gut 40 Prozent der Bewerber geeignet. Hardy Gude von der Handwerkskammer Halle an der Saale sagt, kleine Betriebe suchten fast gar nicht über Online-Jobbörsen oder die eigene Website nach Personal. Sie schauten sich unter ihren ehemaligen Praktikanten oder in der Verwandtschaft um. Ohnehin seien schriftliche Bewerbungen im Handwerk nicht besonders aussagekräftig.

Auch bei Air Berlin hat man sich dafür entschieden, lieber die praktischen Fähigkeiten zu testen, als Unterlagen zu wälzen. Zum Beispiel mit der Abfrage von Allgemeinwissen. Vier richtige Antworten bei sechs Fragen reichen aus. Eine Spanierin, die seit drei Jahren in Deutschland lebt, scheitert an den Jahreszahlen des Zweiten Weltkriegs, weiß aber, wo Manhattan liegt. Möglichst viele Menschen durch ein 25-minütiges Casting zu bringen, auch darum geht es. Die bayerische Flugbegleiterin, die als Jurorin auftritt, wurde bei ihrer eigenen Bewerbung vor mehr als 20 Jahren gewogen, vermessen, getestet und geprüft. Inzwischen lautet bei Air Berlin das Motto: Wir wollen den Menschen, wenn der passabel Englisch kann, ein bisschen was weiß und authentisch rüberkommt. "Die Zeiten ändern sich, jetzt müssen wir den Bewerbern etwas bieten, damit die zu uns kommen", sagt sie. Das Casting ist also auch ein Zugeständnis an die jungen Menschen, und das Unternehmen spart sich jede Menge Zeit

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