Alleinerziehende:Der Doris-Faktor

Schröder lernt von seiner Frau und will Alleinerziehenden helfen.

Ulrich Schäfer

(SZ vom 10.07.2003) — Vor viereinhalb Jahren haben sie es bereits durchgerechnet. Auch damals, in Bonn, haben die Beamten im Finanzministerium überlegt, wie sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem November 1998 umsetzen können.

Unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1057/91 hatten die Karlsruher Richter entschieden, dass die steuerliche Förderung der Kindererziehung nicht davon abhängen darf, ob die Kinder von beiden oder nur von einem Elternteil erzogen werden. Der besondere Steuerbonus für Alleinerziehende, der Haushaltsfreibetrag, sei deshalb nicht rechtens.

Das Urteil sorgte damals für gewisse Panik im Finanzministerium. Diskutiert wurde über zwei Lösungen, um dem Urteil aus Karlsruhe gerecht zu werden.

Die erste: Die Regierung weitet den Haushaltsfreibetrag auf alle Familien aus und erhöht, weil sonst nur Besserverdiener profitieren, auch noch das Kindergeld für alle. 15 bis 20 Milliarden Euro hätte das gekostet.

Deshalb entschied sich Hans Eichel für die zweite Variante: Er hat den Haushaltsfreibetrag abgeschafft - damit das nicht zu allzu großen Verwerfungen führt, geschieht dies in vier Schritten bis 2005.

Lösung bis Ende Juli

Alles schien also gelöst zu sein, alles geregelt. Doch nun wird im Hause Eichel wieder gerechnet. Denn die Boulevardpresse drängt, der Alleinerziehenden-Verband drängt, und Familienministerin Renate Schmidt auch.

Sie alle wollen verhindern, dass die Alleinerziehenden im nächsten Jahr weniger Geld in der Tasche haben, wenn die letzte Steuerreformstufe auf 2004 vorgezogen wird. Wie alle Bürger profitieren die zwei Millionen Alleinerziehenden zwar von den niedrigeren Steuertarifen - doch bei 300.000 von ihnen würde dieser Vorteil ins Gegenteil verkehrt, weil zugleich der Haushaltsfreibetrag ein Jahr früher verschwindet.

Was also tun? Der Kanzler, seit fast sechs Jahren mit Doris Köpf, einer zuvor allein erziehenden Mutter, verheiratet, forderte Schmidt und Eichel in der Kabinettssitzung am Mittwoch auf, bis Ende Juli eine Lösung zu finden.

Die Minister, fordert Schröder, sollen prüfen, ob die Vorgaben des Karlsruher Urteils wirklich so streng sind, wie alle meinen. Seit Tagen wird deswegen in beiden Häusern schon beratschlagt.

"Theoretisch denkbar" sei es, sagte Schmidt der Süddeutschen Zeitung, eine Förderung speziell für jene 1,1 Millionen Alleinerziehenden zu konstruieren, die tatsächlich ihre Kinder allein betreuen, ohne unverheirateten Partner.

Ähnliches gebe es in der Sozialhilfe: Wenn dort ein Partner im Haushalt vorhanden ist, wird dessen Vermögen und Einkommen bei der Stütze mit angerechnet.

Mehr Kindergeld?

Doch auch die teuerste aller Varianten hat das Finanzministerium prüfen lassen: eine Kindergelderhöhung für alle. 30 bis 45 Euro Aufschlag wären nötig, rund fünf bis sechs Milliarden Euro würde dies kosten.

Irgendwann, das weiß Eichel, ist eine maßvolle Kindergelderhöhung ohnehin fällig, spätestens in zwei, drei Jahren. Denn das Kindergeld muss sich, ebenso wie der Kinderfreibetrag, am steuerlichen Existenzminimum orientieren - und das steigt, wenn der Wohlstand wächst.

Selbst die Sozialdemokratin Schmidt hält angesichts leerer Kassen eine Kindergelderhöhung noch für "vollkommen illusorisch". Sie räumt allerdings auch ein: "Wenn Sie wüssten, was wir alles diskutieren, würden Sie garantiert mit den Ohren schlackern."

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