Süddeutsche Zeitung

Alitalia:Sinkflug einer ganzen Nation

Die Geschichte Alitalias ist beispielhaft für die barocke, oft folgenschwere Vernetzung von Staat und Wirtschaft im Land. Und für Italiens Mühe, sich zu reformieren.

Von Oliver Meiler, Rom

Vielleicht hätten die neuen Uniformen ein Alarmsignal sein sollen. Als Alitalia im vergangenen Sommer ihre Flugbegleiterinnen frisch einkleidete, gab es viel Hohn und Kritik. Diese grünen Strümpfe. Dieser großmütterliche Schnitt. Diese Hütchen, die wie missratene Törtchen aussehen.

Die neue Uniform wirkte so angestrengt altmodisch, so überdreht retro, dass man den Eindruck gewann, die Fluggesellschaft glaube nicht mehr an ihre Zukunft, sie schwelge nur noch in ferner, sehr ferner Glorie.

Doch außer diesem modischen Fehlgriff ließ wenig erahnen, dass Alitalia auf Schwierigkeiten zusteuerte. Nun, es ist alles noch viel schlimmer: Alitalia steht vor dem Aus. Sechs Monate Zeit gibt sich die italienische Regierung, um einen Käufer zu finden. Wählerisch ist man nicht.

Nachdem die Belegschaft in einem Referendum einen recht milden Sanierungsplan abgelehnt hat, der dem Unternehmen ein Fortleben garantiert hätte, geht es nur noch um die Frage: Kann Alitalia ganz oder nur in Teilen verkauft werden?

Alitalia versprach, das Land auf Flügeln zu tragen

Es ist ein Jammer mit Ansage. Schon lange befindet sich Alitalia im Niedergang, ein Rettungsplan, der stets der letzte sein sollte, folgte dem anderen. Acht Milliarden Euro an Steuergeldern hat das bisher gekostet. Und es wurden viele Fehler gemacht. Die Geschichte Alitalias ist auch beispielhaft für die barocke, oft folgenschwere Vernetzung von Staat und Wirtschaft im Land. Und für Italiens Mühe, sich zu reformieren.

Ihren ersten Flug operierte Alitalia vor genau siebzig Jahren, am 5. Mai 1947, von Turin über Rom nach Catania. Der Name der Gesellschaft ist eine hübsche Wortschöpfung: "Ali" ist das Wort für Flügel. Alitalia versprach also, das Land zu tragen. Die Nachkriegsdekaden waren eine gute Zeit, eine Zeit des Wirtschaftswunders, des "Miracolo economico", wie anderswo in Europa auch. Italien hob ab, schaffte den Sprung in die industrialisierte Welt. Und war plötzlich sexy.

Mit ihrem Sinn für Stil und Schönheit, mit dieser scheinbaren Leichtigkeit des Seins eroberten die Italiener die Welt. Alitalia flog bald überall hin, eine Ikone der Modernität, die Nationalfarben am Heckflügel. Und wenn dann und wann auch noch Filmstars wie Sophia Loren oder Gina Lollobrigida über die Treppen schwebten, herangezoomt von den Paparazzi, oder Päpste im weißen Gewand, da war das Bild perfekt. Schöne Werbung, ohne Anstrengung.

Bis heute nennen die Italiener ihre Fluggesellschaft "Compagnia di bandiera", Gesellschaft der Flagge, als wäre sie noch staatlich. Was sie längst nicht mehr ist. Doch man ist stolz darauf, trotz allem.

So war Alitalia auch immer ein Spielball der Politik. Die nationale Eigenständigkeit der Airline war vielen Regierenden so wichtig für den Machterhalt, dass sie auch den Absturz in Kauf nahmen. 2008 schlug der damalige Premierminister Silvio Berlusconi ein Angebot von Air France aus und verkaufte stattdessen die Mehrheit an zwei italienische Großbanken.

Die brachten frisches Geld mit, aber keine Fachexpertise. Für die Sanierung hatte man sich einen unfreiwillig komischen Namen ausgedacht: "Piano Fenice", Plan Phönix - wie der Vogel aus der griechischen Mythologie, der am Ende verbrennt.

Die Politiker missbrauchten die Firma auch, um Freunden eine Posten zu verschaffen. Es gab Zeiten, da saßen 200 Personen im Management. Nicht selten gelangten Herrschaften ganz nach oben, die vom Geschäft gar nichts verstanden. Das Karussell an der Spitze drehte so schnell, dass das Versagen der Einzelnen nicht einmal auffiel.

Als besonders ruinös erwies sich die Idee, in Italien neben dem Flughafen Rom Fiumicino eine zweite interkontinentale Drehscheibe aufzubauen: in Mailand Malpensa, im lombardischen Nirgendwo. 1998 war das. Experten geißelten den Plan als Irrsinn, doch das schien niemanden zu kümmern. Für einen Irrsinn hielten die Idee auch jene Mitarbeiter in Rom, denen man sagte, sie müssten ins graue, neblige Mailand umziehen. Nur wenige taten das. Die anderen ließen sich fortan jeden Morgen mit Linienflügen von Rom nach Malpensa zur Arbeit bringen. Sie füllten die Morgenmaschinen und, nach Feierabend, die Abendmaschinen.

Auch die Gewerkschaften stemmten sich gegen jede Veränderung. Sie nutzten Alitalia als ihre Zweitbühne, neben jener bei Fiat. Nirgendwo sonst ließ sich der Klassenkampf besser und medial wirksamer aufführen als bei diesen beiden Firmen. Es gab Jahre, da zählte man bei Alitalia mehrere Hundert Streikstunden.

Meistens kreiste der Kampf um Privilegien, die sich andere, besser verdienende Airlines in anderen Staaten nicht gönnten, die aber den Mitarbeitern von Alitalia als sakrosankt galten. Zum Beispiel ließen sich die Crewmitglieder jeweils von schwarzen Limousinen zu Hause abholen, wenn sie zum Dienst mussten, und bezahlten dafür im Monat nur zwanzig Euro. Den Rest bezahlten die Italiener.

Verschwendung war ein Prinzip. Am römischen Flughafen "Leonardo da Vinci" in Fiumicino standen jahrelang sechs Flugzeuge vor einem Hangar unter freiem Himmel, gut sichtbar auch von der Autobahn. Sie waren da geparkt. Man hatte die Maschinen weiß lackiert und die Logos abgedeckt, auch die Trikolore am Heck. Die Flotte sollte mal wieder verkleinert werden, um die Verluste zu senken. Aus der Ferne sahen die weißen Flugzeuge schön aus, sie waren ja auch noch nicht alt.

Man suchte also einen Käufer, und es gab auch Interessenten. Doch als sich die vorstellten, fand Alitalia die nötigen Dokumente für den Verkauf nicht. Die waren einfach verschwunden. So blieben die sechs Maschinen zehn Jahre lang da stehen. Der Lack blätterte ab, Rost setzte an, die Fenster des Cockpits waren bald zerschlagen. Händler verschafften sich nächtens Zutritt zum Gelände und schlachteten die Flugzeuge nach Ersatzteilen aus. Wie Geier. Und natürlich war auch das ein passendes Sinnbild für das Drama um diese Fluggesellschaft.

Keine weiteren Hilfen mehr, heißt es aus Rom. Nicht alle glauben das

So ging das jahrzehntelang. Bis es nicht mehr ging. Auch der neue Partner, die Fluggesellschaft Etihad aus den Arabischen Emiraten, die vor drei Jahren 49 Prozent der Anteile kaufte, schaffte es nicht, den Niedergang zu stoppen. Die aufstrebenden Billigflieger nehmen Alitalia zunehmend das Geschäft im Heimatmarkt weg, der mit seinen vielen Urlaubsdestinationen eine Goldgrube sein könnte.

Man überließ Rivalen wie Ryanair oder Easyjet die kleinen Flughäfen in der Provinz, die man selber vernachlässigte, und die bauten sie aus. Unterschätzt hat Alitalia auch die Konkurrenz der Schnellzüge von Trenitalia und Italo. Zwischen Rom und Mailand, der alten Paradestrecke von Alitalia, fliegt fast niemand mehr. Mit dem Zug ist man schneller, reist bequemer und billiger, von Zentrum zu Zentrum.

Inzwischen verliert Alitalia zwei Millionen Euro - am Tag. Je mehr sie fliegt, desto mehr verliert sie. Die Regierung hat nun gleich drei Zwangsverwalter eingesetzt, um möglichst bald einen Käufer zu finden. Um Zeit für die Suche zu gewinnen, gewährte der Staat einen Kredit von 600 Millionen Euro. Das sei der letzte Hilfsakt, heißt es. Damit der Treibstoff nicht ausgeht, damit die Flieger nicht am Boden bleiben. Verstaatlicht soll Alitalia nicht werden. Sagen alle. Obschon die Versuchung natürlich groß ist.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2017/pram
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