Süddeutsche Zeitung

Alipay:Den Chinesen auf der Spur

Rita Liu soll den Bezahldienst auch in Europa verbreiten. Der weltweit größte Dienstleister für mobiles Bezahlen hat nach eigenen Angaben 450 Millionen Nutzer, ist im Westen aber fast unbekannt. Die Europa-Chefin lockt mit dem Versprechen traumhafter Geschäfte.

Von Stephan Radomsky

Das Handy, das Rita Liu in die Runde hält, zeigt einen QR-Code, ganz ähnlich dem auf Bahnfahrkarten oder Flugtickets: Ein quadratisches Wirrwarr schwarzer und weißer Flächen, nur dass hier in der Mitte ein kleines blaues Kästchen mit geschwungenem chinesischem Schriftzeichen prangt. In China kennt das Logo und den Code jeder, vor allem Händler und Verkäufer. Denn dort ist das Bild auf dem Display so gut wie bares Geld. Und Liu soll es nun auch in Europa verbreiten.

Den Barcode erzeugt die App von Alipay, dem weltweit größten, aber im Westen praktisch unbekannten Dienstleister für mobiles Bezahlen. 450 Millionen Nutzer hat die Tochter des chinesischen Online-Imperiums Alibaba nach eigenen Angaben, praktisch alle davon im Heimatmarkt. Zum Vergleich: Paypal, der Marktführer im Westen, hat dagegen weltweit "nur" 192 Millionen aktive Nutzerkonten.

Nun soll Europa-Chefin Liu von London aus dafür sorgen, dass auch hier verstärkt mit dem Dienst bezahlt werden kann. Ihr Fokus ist klar: "Wir folgen den Spuren der reisenden Chinesen." Daheim können sie mit der App bereits fast alles bezahlen: Nicht nur den Einkauf beim Online-Händler Alibaba - der Ursprung des Geschäfts im Jahr 2004 - sondern auch den Einkauf im Supermarkt, die Taxifahrt, das Essen im Restaurant oder die Hotel-Übernachtung. Der von der App erzeugte QR-Code wird einfach von der Kasse oder einem anderen Handy abgescannt, schon wird der Betrag vom Konto abgebucht.

Die Richtung ist klar: Gerade die chinesische Mittelschicht wird immer reiselustiger. "Wir sehen ein riesiges Wachstum an Reisenden, die nach Europa kommen und hier Geld ausgeben", sagt Liu. Und das nicht zu knapp: Umgerechnet rund 3000 Euro gebe jeder dieser Touristen pro Auslandsreise aus, heißt es in einer chinesischen Statistik - nur beim Shoppen. Davon will Alipay profitieren. Der Dienst erhält, ähnlich wie ein Kreditkartenanbieter, für jede getätigte Zahlung eine Provision vom Händler.

"Wir sehen ein riesiges Wachstum an Reisenden, die nach Europa kommen und hier Geld ausgeben."

Also lockt Liu sie mit dem Versprechen geradezu traumhafter Geschäfte: Um 90 Prozent und mehr steige der Umsatz durch chinesische Touristen schon kurzfristig, sobald sie an der Kasse mit dem vertrauten Handy-Dienst zahlen könnten, versprechen sie und ihr europäischer Partner, der Finanzdienstleister Wirecard. Im Schnitt, so rechnen sie vor, habe eine Alipay-Zahlung hierzulande derzeit einen Wert von mehr als 500 Euro. Außerdem sei der Dienst "mehr als nur eine weitere Bezahlmöglichkeit", wirbt Liu: Die App stelle auch die Akzeptanz-Stellen vor und liefere den Nutzern selbständig Empfehlungen, wo sie in der Nähe einkaufen, essen gehen oder übernachten können - natürlich nur, wenn dort anschließend auch das Zahlen per Smartphone als Zahlungsmittel funktioniert. Quasi frei Haus komme also ein Marketingeffekt für die Partner hinzu.

Eine Reihe von Läden am Münchner Flughafen nutzen den Service seit Kurzem

Die ersten sind davon offenbar überzeugt, wohl auch weil Wirecard verspricht, dass für die neue Technik nicht gleich die gesamten teuren Kassensysteme ausgetauscht werden müssen. Innerhalb weniger Wochen und mit geringen Anlaufkosten lasse sich Alipay auch in bestehende Anlagen installieren, ähnlich einem Kartenzahlungs-Terminal. Eine Reihe von Läden im Münchner Flughafen nutzen den Service deshalb schon, außerdem die Geschäfte des Besteckherstellers WMF und das Pariser Nobelkaufhaus Printemps. Weitere Partner würden bald folgen, heißt es, ohne dass Liu Namen nennt. Nur so viel: Im Fokus stünden Luxus- und Markengeschäfte, Shoppingmalls, Flughäfen, Hotels und die gehobene Gastronomie - Orte eben, an denen die Touristen aus Fernost gern und viel Geld ausgeben.

Europäer seien dagegen vorerst nicht Ziel der Expansion, sagt Liu. "Europa ist ein komplizierter Markt." Das dürfte auch mit den strikten rechtlichen Vorgaben aus Peking zusammenhängen: Jeder Alipay-Nutzer muss ein Konto in Festland-China besitzen, außerdem gelten strenge Devisenkontrollen. Maximal 50 000 Dollar dürfen pro Person jährlich nach China ein- oder von dort ausgeführt werden.

Hinzu kämen die unterschiedlichen Kulturen. Europäer zahlten im Geschäft häufig per Karte oder gleich bar. Hinzu komme beispielsweise in Deutschland, dass Online-Bestellungen hier in aller Regel völlig problemlos und sicher per Rechnung und Überweisung abgewickelt werden können. In China dagegen sei weder die Akzeptanz noch die Infrastruktur für Überweisungen oder Kartenzahlungen so weit gereift wie in Europa oder den USA. Deshalb würden Dienste wie Alipay oder das konkurrierende WeChat diesen Schritt einfach überspringen. "Die Chinesen leben mobil", sagt Liu und meint damit auch, dass ihre Landsleute mit ihren Mobilgeräten leben. "Die Frage ist jetzt, welchen Mehrwert wir Nutzern hier konkret bieten könnten. Daran arbeiten wir noch."

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SZ vom 28.11.2016
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