Alfred Herrhausen:Der gute Mensch aus dem Bankenturm

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Er wollte das Wesen der Deutschen Bank verändern, dann schlug die RAF zu: Vor 20 Jahren starb Alfred Herrhausen.

Harald Freiberger

Es ist eines der prägendsten Bilder in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Ein einst gepanzerter, nun zerfetzter und verkohlter Mercedes, der an diesem klaren, sonnigen Herbsttag noch Stunden nach der Tat quer auf der Straße steht. Die Wucht einer sieben Kilogramm schweren Bombe, auf dem Gepäckträger eines Kinderfahrrads versteckt und per Lichtschranke gezündet, hat den Wagen durch die Luft geschleudert.

Alfred Herrhausen wollte mit der Geschichte der Deutschen Bank brechen. Vor 20 Jahren ermordete ihn die RAF. (Foto: Foto: dpa)

Die hintere rechte Tür ist aus der Verankerung gerissen. Ein Teil daraus ist in den Oberschenkel von Alfred Herrhausen eingedrungen und hat seine Hauptschlagader verletzt. Er verblutet innerhalb weniger Minuten, sein Fahrer überlebt schwer verletzt.

Das Attentat der Rote-Armee-Fraktion (RAF) auf den Chef der Deutschen Bank am frühen Morgen des 30. November 1989 bewegt die Menschen noch heute. Der 20. Todestag ruft ihnen in Erinnerung, dass es da einmal einen Banker gab, der anders war. Bei seinem Nachfolger Hilmar Kopper denkt man zuerst an den "Peanuts"-Spruch, bei dessen Nachfolger Rolf-Ernst Breuer an den Kirch-Prozess und bei dessen Nachfolger Josef Ackermann wiederum, dem jetzigen Deutsche-Bank-Chef, an das Victory-Zeichen.

"Wir müssen das, was wir tun, dann auch sein"

Und an was denkt man bei Alfred Herrhausen, außer dem zerfetzten Mercedes? Daran, dass er zwei Jahre vor seinem Tod einen Schuldenerlass für Länder der Dritten Welt forderte. Und dass er Sätze sagte wie diese: "Wir müssen das, was wir denken, sagen. Wir müssen das, was wir sagen, tun. Wir müssen das, was wir tun, dann auch sein."

Es gibt einen Grundkonsens in der Bundesrepublik, was Herrhausens herausragende Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft betrifft. Kanzler Helmut Kohl, der mit ihm befreundet war, sagte nach dessen Tod, dass er eine Lücke hinterlasse, die auf Jahrzehnte nicht zu schließen sein werde.

Kanzler Gerhard Schröder mahnte 16 Jahre später Josef Ackermann, als dieser gleichzeitig Rekordgewinn und Stellenabbau verkündete, sich Herrhausens "Philosophie noch einmal zu Gemüte zu führen". Der habe sein Unternehmen stets auch in der Pflicht gegenüber den Beschäftigten und dem Land gesehen. Die Zeitzeugen geraten ins Schwärmen, wenn sie über Herrhausen reden. Ludwig Poullain, der ehemalige Chef der WestLB, nennt ihn "den Letzten unserer Zunft, der noch die nötige Courage aufbrachte".

Noch immer versteht kaum jemand, warum sich die RAF Herrhausen als Opfer ausgesucht hat. Im Bekennerschreiben der Terroristen heißt es: "Durch die Geschichte der Deutschen Bank zieht sich die Blutspur zweier Weltkriege und millionenfacher Ausbeutung, und in dieser Kontinuität regierte Herrhausen."

Bruch mit der Geschichte der Deutschen Bank

Carolin Emcke, Herrhausens Patenkind, die zum Zeitpunkt der Tat 22 Jahre alt war, fragte in einem Aufsatz 2007: "Wie ist die Entscheidung gefällt worden, ihn zu töten? Wie geht so was? Wird da abgestimmt? Sitzen sie alle in einer Runde und nicken dann zustimmend mit den Köpfen? Heben sie die Hand? Hat jemand widersprochen? Darf das jemand in diesem Kollektiv?" Noch immer ist nicht geklärt, wer der Mörder war. "Die Ermittlungen gegen unbekannt dauern an", teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Freitag mit. Einen konkreten Tatverdacht gebe es trotz moderner DNA-Analysen nicht.

In Wirklichkeit setzte Herrhausen die Geschichte der Deutschen Bank nicht fort, er brach mit ihr. Schon der Einstieg des Branchenfremden in das Institut war gegen jede Konvention. 1969 holte der damalige Vorstand F. Wilhelm Christians den gebürtigen Essener, der in der Gas- und Elektrizitätsindustrie aufgestiegen war. Mancher verspottete ihn als den "Elektriker" aus dem Ruhrpott, doch wegen seiner überragenden Fähigkeiten berief man ihn schon nach einem Jahr in den Vorstand.

Die Deutsche Bank kontrollierte damals über ihre Beteiligungen noch einen großen Teil der deutschen Industrie, und Herrhausen tat sich dabei hervor. Er war maßgeblich an der Sanierung von Continental und der Neuordnung der Stahlindustrie beteiligt.

In den achtziger Jahren setzte er als Oberkontrolleur bei Daimler das SPD-Mitglied Edzard Reuter als Chef durch - ein Tabubruch, ebenso wie 1977 schon die Scheidung von seiner ersten Frau. Bei der erzkonservativen Deutschen Bank war das damals eigentlich unmöglich, Herrhausen bot deswegen seinen Rücktritt an, aber man wollte den brillanten Manager nicht gehen lassen.

1985 wurde Herrhausen einer der Vorstandssprecher, 1988 alleiniger Vorstandssprecher. Er war der mächtigste Mann in der deutschen Wirtschaft, und er stand dazu, anders als seine Vorstandskollegen, die lieber verschwiegen im Hintergrund wirkten. Es sei keine Frage, dass die Deutsche Bank Macht habe, sagte er, entscheidend sei, dass man verantwortungsvoll mit dieser Macht umgehe.

Mit seiner Offenheit eckte Herrhausen bei den Kollegen an. Immer wieder beklagte er sich über die "Bedenkenträger" im eigenen Haus. Das Missfallen beruhte auf Gegenseitigkeit: "Herrhausen war ein intellektueller Snob, der andere die Arroganz des Hochbegabten spüren ließ", erinnert sich ein früherer Deutsch-Banker. Privaten Umgang mit seinen Vorstandskollegen pflegte er nicht.

Herrhausen war es auch, der sein Institut gegen interne Widerstände auf den Weg zu einer internationalen Investmentbank führte, als er 1989 die britische Morgan Grenfell übernahm - eine Strategie, die seine Nachfolger später fortsetzten. Als er den Morgan-Grenfell-Chef aber wenige Tage vor seiner Ermordung als Vorstandsmitglied durchsetzen wollte, ließ ihn das Gremium auflaufen. Seine zweite Frau Traudl sagte später, er sei damals kurz vor dem Rücktritt gestanden.

Schuldenerlass für arme Länder

Den Vorschlag des Schuldenerlasses für arme Länder tat Hilmar Kopper als "intellektuelle Bemerkung" ab. Die Bankenszene war damals fassungslos. Herrhausen war 1987 bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds auf die Idee gekommen, als ihm der mexikanische Präsident Miguel de Madrid Hurtado die katastrophale wirtschaftliche Lage seines Landes schilderte.

Bei dem Deutsch-Banker setzte sich die Überzeugung durch, dass die Länder ihre Schulden nie zurückzahlen würden können. Und wenn sie es täten, würde das ihre Lage noch verschlimmern. Das einzig Richtige sei es deshalb, den Ländern Schulden zu erlassen und sie im Gegenzug zu wirtschaftlichen Reformen anzuhalten. "Herrhausen war seiner Zeit um zehn, 15 Jahre voraus", sagt Edzard Reuter.

Vor allem der Vorschlag des Schuldenerlasses ist es, der Herrhausen auch heute noch abhebt von vielen anderen seiner Zunft. Er gilt als der Banker mit menschlichem Antlitz, der nicht nur an Geld dachte, sondern über den Tellerrand hinausblickte. Der Aufsätze über Demokratie und Verantwortung in der Gesellschaft veröffentlichte. Nach seinem Tod gründete die Deutsche Bank die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft, die sich dafür einsetzen sollte, das Leben in den Großstädten zu verbessern.

Schatten in der Biographie

Herrhausens gewaltsamer Tod führte dazu, dass man ihm in der Öffentlichkeit einen Glorienschein aufsetzte und ihn fast bis ins Heldenhafte verehrte. Dabei gibt es in seiner Biografie auch Schatten: Als Hochbegabter wurde er drei Jahre in der Nazi-Eliteschule Napola am Starnberger See ausgebildet.

Über die Zeit sagte er später, er habe dabei keinen Schaden erlitten, sondern eine Menge preußischer Tugenden erworben, die ihm später geholfen hätten, darunter "die Freude an der Arbeit".

Es gibt auch andere Geschichten, zum Beispiel jene von der jungen, linken Studentin Tanja, die im Jahr 1982 bei einer Fernseh-Talkshow, an der er teilnahm, im Publikum saß. Hinterher sagte sie ihm ihre Meinung, und er forderte sie auf: "Schreiben Sie mir mal." Sie schrieb ihm, er telefonierte zurück. So ging das bis zu seinem Tod. Hunderte Briefe von ihr, Hunderte Rückrufe von ihm.

"Ich war geistige Tankstelle für ihn. Er wollte mit jemandem sprechen, der andere Werte verkörperte, nicht an Geld und Karriere dachte", erzählte sie vor wenigen Jahren. Sie berichtete ihm von ihren Problemen in der Liebe und von ihrer Wut auf das politische System. Er gab ihr väterlichen Rat, und wenn es ihm zu radikal wurde, mahnte er sie mit den Worten "Aber Tanjuscha...".

"Du musst doch das Leben lieben"

Drei Wochen vor seinem Tod fiel die Mauer. Herrhausen, der den damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow gut kannte, freute sich sehr darüber. Er wusste aber auch, dass die deutsche Vereinigung ein wirtschaftlich schwerer Prozess werden würde. "Es kommt darauf an, ob Ihr, die Jungen, das bezahlen wollt, Ihr seid entscheidend. Versteckt Euch da nicht", sagte er damals zu Tanja.

Sie höre immer noch seine Stimme, erzählte sie. Was die Stimme denn sage, wurde sie gefragt. Sie antwortete: "Aber Tanja, Du musst doch das Leben lieben."

© SZ vom 28.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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