Alexander Gerst:@Astro_Alex und die wunderschöne Welt

Ankunft Alexander Gerst in Köln
(Foto: Marius Becker/dpa)

Der Unprätenziöse: Ohne jede Angeberei hat es der deutsche Astronaut zum Superstar gebracht.

Von Patrick Illinger

Wie hemdsärmelig Raumfahrt in Russland betrieben wird, zeigte sich im Dezember bei der Rückkehr des deutschen Astronauten Alexander Gerst nach fast 200 Tagen im All. Vier Helfer des Bergungskommandos schleppten den von der Schwerelosigkeit noch geschwächten Gerst - er hatte keinen Helm mehr auf dem Kopf, trug aber noch den Raumanzug - über den Schnee von Kasachstan. Die Männer sahen aus, als würden sie im Hauptberuf einen Skilift betreiben. Einer trug eine Norwegermütze mit Elchen als Strickmuster.

Das Unprätentiöse passt zu Alexander Gerst. Ohne Angeberei, ohne das machohafte Gehabe mancher seiner Vorgänger hat es der 1976 in Künzelsau geborene Gerst zum Superstar der Raumfahrt gebracht. Zweifellos stammt ein Teil seiner Bekannt- und Beliebtheit von seinen multimedialen Aktivitäten, von Bildern, Eindrücken und Ansichten, die @Astro_Alex über die einschlägigen sozialen Medien verbreitet. Aber Gerst ist eben auch Gerst, wenn er mit seiner angenehmen Stimme und dem spitzbübischen Lächeln erklärt, die Landung 2018 sei angenehmer gewesen als im Jahr 2014: Sein Landemodul sei diesmal nur mit 3,9 g, also bloß dem fast Vierfachen der Erdbeschleunigung, durchgerüttelt worden.

In einer Videobotschaft entschuldigt er sich bei seinen ungeborenen Enkeln

Sein Arbeitgeber, die europäische Raumfahrtagentur Esa, hatte ihn 2009 unter 8400 Bewerbern ausgewählt und ins Trainingsprogramm aufgenommen. 2014 flog er für ein halbes Jahr zur Raumstation ISS. Nachdem er dort monatelang als Junior-Crewmitglied unter anderem für die Instandhaltung der Toiletten zuständig gewesen war, durfte Gerst im Juni dieses Jahres erneut zur ISS starten und die Station von Oktober bis Dezember sogar als Kommandant befehligen. Dutzende wissenschaftliche Experimente waren an Bord der orbitalen Containeranlage zu erledigen. Doch zu den wichtigsten Aufgaben eines Raumfahrers gehört es heute, junge Menschen für Technik, für den Weltraum zu begeistern. Das geschieht meist über soziale Medien, oft dürfen auch Studenten und Schulklassen auf der Raumstation anrufen.

In Gersts Fall kommt noch ein besonderes Engagement für den Erhalt des Planeten hinzu. Politische Grenzen seien aus dem All betrachtet bedeutungslos, das betont er gerne. Noch während seines Aufenthalts an Bord der ISS schickte er über Twitter eine Videobotschaft an "seine Enkelkinder". Beim Blick auf den "wunderschönen Planeten" müsse er sich wohl bei seinen noch ungeborenen Nachfahren entschuldigen, sagt Gerst, von kitschigen Pianoklängen begleitet. Im Moment sehe es so aus, als werde seine Generation den Planeten wohl "nicht im besten Zustand hinterlassen". Er spricht den Klimawandel, den Ressourcenverbrauch und die Vermüllung der Meere an. Aber er habe noch Hoffnung für die Zukunft.

Manchmal muss ein Astronaut auch seine wahren Gefühle verbergen. Als im Oktober der Start weiterer Crew-Mitglieder mit einer Sojus-Rakete misslang, sagte Gerst, der Unfall mache die Sojus-Rakete nur noch sicherer. Aber wer weiß, vielleicht dachte er das wirklich.

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