Aldi in den USA:Servicewüste? Super!

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Der deutsche Discounter Aldi ist in den USA überrschend beliebt. (Foto: AFP)

Pfand für den Einkaufswagen, lieblos übereinander gestapelte No-Name-Artikel und keine Kreditkartenzahlung möglich: Aldi ist das Gegenteil dessen, was Kunden in normalen amerikanischen Supermärkten erwartet. Warum ist der deutsche Discounter trotzdem so erfolgreich in den USA?

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wenn ein Deutscher zum ersten Mal einen amerikanischen Supermarkt betritt, dann empfindet er meist eine Mischung aus Überraschung, Überwältigung und Überforderung. Manche Läden sind so groß, dass man darin auch ein Fußballspiel veranstalten könnte, es gibt mindestens 187 Varianten Brotaufstrich. Und dann erst die Mitarbeiter! Hach, die Mitarbeiter! Sie fragen ständig, wie es einem geht und ob man sich denn wohlfühle und alles zu seiner Zufriedenheit vorfinde.

An einer der mindestens zwölf Kassen scannt dann ein Angestellter die Produkte, ein anderer verpackt sie in Tüten - und hat zuvor natürlich gefragt, ob man denn die aus Plastik oder jene aus Papier bevorzugen würde. Bei günstiger Sternenkonstellation oder ausreichender Attraktivität schiebt ein Mitarbeiter den Einkaufswagen bis zum Auto, wünscht einem einen großartigen Tag und bringt den Wagen zurück zum Eingang. Was für ein Service!

Trotzdem ist sind Ableger der deutschen Supermarktkette Aldi, die eher für ihre Schlichtheit bekannt sind, in den Vereinigten Staaten äußerst beliebt. Mehr als 1270 Filialen in 32 Bundesstaaten gibt es mittlerweile, seit 2011 sogar eine in Manhattan - wo nicht einmal der weltgrößte Einzelhandelskonzern Walmart einen Ableger hat. 25 Millionen Amerikaner kaufen nach Angaben des Unternehmens bei Aldi ein, bald soll die erste Filiale in Kalifornien eröffnet werden. Der Konzern selbst veröffentlicht keine Bilanzen. Von Branchenexperten wird der Umsatz in den USA für das Jahr 2013 auf neun Milliarden US-Dollar geschätzt.

Aber bitteschön nicht mit Kreditkarte

Wenn ein Amerikaner zum ersten Mal bei Aldi einkauft, in der Pennsylvania Avenue in Lansing im Bundesstaat Michigan etwa, dann ist er zunächst ebenfalls überrascht und überfordert - vor allem aber ist er unterwältigt: Pfand für den Einkaufswagen. Keine Markenprodukte, sondern übereinander gestapelte No-Name-Artikel. Niemand packt einem die Einkäufe in Tüten. Ach ja: Eine Tüte muss bezahlt werden. Aber bitteschön nicht mit Kreditkarte.

Ja, richtig: In einem Land, in dem selbst ein Kaugummi an der Tankstelle bargeldlos bezahlt wird (aber auch immer noch anachronistisch Schecks geschrieben werden), gibt es bei Aldi nur Cash und Debitkarte. Die Servicewüste Deutschland gibt es auch in den Vereinigten Staaten. Bei Aldi. Warum ist der Discounter dennoch derart beliebt?

Einen ersten Hinweis auf die Beliebtheit von Aldi liefert der Prospekt mit den Sparangeboten der Woche. "Aldi truth #66: Our low prices are worth celebrating", steht da - die Aldi-Wahrheit Nummer 66 besagt also, dass sich die niedrigen Preise gefeiert gehören. In dieser Woche gibt es ein Päckchen Zucker für 1,49 Dollar, eine Star-Wars-Figur für 8,99 Dollar, Truthahn kostet pro Pfund 1,19 Dollar.

Aldi als Gewinner der Finanzkrise

"Zucker ist Zucker, Mehl ist Mehl", sagt Addie Finelli, die gerade einen vollen Einkaufswagen zur Kasse schiebt. Die 30 Jahre alte Lehrerin hat Aldi vor drei Jahren entdeckt, als in einer Zeitung auf eine Studie hingewiesen wurde, nach der Aldi in Michigan fast 20 Prozent billiger als Walmart sei und gar mehr als 30 Prozent billiger als lokale Supermärkte.

"Bei Grundnahrungsmitteln kann man einiges sparen", sagt Finelli, "ich brauche niemanden, der meine Einkäufe in Tüten packt oder meinen Wagen zurückbringt, das kann ich selbst machen." Und wer wisse, dass bei Aldi keine Kreditkartenzahlung möglich ist, der bringe eben Bargeld oder eine Debitkarte mit. "Kein Problem", sagt Finelli. Servicewüste? Super! So lange die Preise niedrig sind.

Durch das spartanische Konzept gilt Aldi als einer der Gewinner der Finanzkrise in den Vereinigten Staaten, im Time Magazine war im Jahr 2008 zu lesen: "Aldi: a grocer for the Recession" - Aldi, das Lebensmittelgeschäft für die Rezession. Die ist zwar offiziell seit vier Jahren vorbei, doch laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Reportbuyer habe diese Krise zu einem Umdenken bei den Verbrauchern geführt: Der Ketchup auf dem Hot Dog muss nicht mehr unbedingt von Heinz sein, die Frühstücksflocken nicht mehr unbedingt von Kellogg's.

Auch Lidl will in die USA

Einer Umfrage von Marketforce im Juli zufolge ist Aldi der beliebteste Billig-Discounter des Landes, die Liste der besten Supermärkte insgesamt führt Trader Joe's an. Nun wird es interessant: Die amerikanischen Ableger von Aldi gehören zu Aldi Süd, Trader Joe's seit 1979 zu Aldi Nord. Fast 500 Filialen gibt es in den USA, knapp die Hälfte davon in Kalifornien. Trader Joe's gilt als hipper Supermarkt mit ökologischen Produkten, die dennoch nicht überteuert sind - wie gemacht für den kalifornischen Lifestyle. Der Umsatz wird auf acht Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt.

Es gibt also zwei Strategien der beiden durch den Aldi-Äquator getrennten Unternehmen, beide sind derzeit überaus erfolgreich. So erfolgreich, dass die Konkurrenz angelockt wird. Klaus Gehrig, Chef der Schwarz-Gruppe, sagte im Juni, dass es bald Filialen von Lidl in den Vereinigten Staaten geben könnte. In einem ersten Schritt im Jahr 2015 seien etwa 100 Ableger geplant. Es scheint sich zu lohnen in einem Land, in dem sich kaum jemand über die Servicewüste beschwert, so lange die Preise niedrig genug sind.

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