Süddeutsche Zeitung

Expansion:Auch Chinesen können jetzt bei Aldi einkaufen

  • In Shanghai haben an diesem Freitag die ersten beiden Aldi-Filialen Chinas eröffnet.
  • Der Discounter positioniert sich in der Volksrepublik völlig neu: Zielgruppe ist die wachsende chinesische Mittelschicht.
  • Die Expansion nach China ist - wie immer bei Aldi - auch eine Kampfansage an den Konkurrenten Lidl.

Von Christoph Giesen, Shanghai, und Michael Kläsgen

Es ist Mittag in Shanghai: Menschen stehen an, eine Schlange, 50, 60 Meter, seit sieben Uhr morgens geht das schon so. Alle paar Minuten lässt ein Wachmann einige Leute vorrücken, sie dürfen den Laden betreten, sich ein Körbchen nehmen und einkaufen - ausgerechnet bei Aldi geht es zu wie vor der Tür einer Szenedisco.

An diesem Freitag haben die ersten beiden Aldi-Filialen in China geöffnet, beide in Shanghai, der reichsten Stadt der Volksrepublik. Fast genauso groß ist der Kontrast drinnen: Keine schummrige Lagerhalle mit lieblos aneinandergereihten Euro-Paletten, sondern warmes Licht und dezente Musik erwarten die Kunden, ein Innenarchitekt hat die Regale entworfen. Die Weinflaschen kann man einscannen und erhält auf einem Bildschirm Informationen zum Anbaugebiet, die richtige Trinktemperatur und eine Empfehlung, zu welchem Essen er am besten passt. Es gibt anständigen Bordeaux, einen Grand Cru. Genauso wie Barolo: 399 Yuan die Flasche - das sind mehr als 50 Euro. Das Fleisch ist aus Australien importiert, genauso wie die Frischmilch. Der Liter kostet 25 Yuan - umgerechnet 3,20 Euro.

In Deutschland würde das wohl kein Aldi-Kunde zahlen, ganz anders in China. Der Discounter positioniert sich in der Volksrepublik völlig neu. Die Zielgruppe ist die wachsende chinesische Mittelschicht, die keine Billigware haben möchte, sondern ausgesuchte, höherwertigere Produkte, am besten importiert. Bei Waren die aus China stammen, hat Aldi sein Logo aufbringen lassen, die Qualität soll garantiert werden, schließlich haben chinesische Kunden schon so manchen Lebensmittelskandal erlebt. 2008 etwa erkrankten 300 000 Kleinkinder, nachdem sie mit verunreinigtem Milchpulver gefüttert worden waren. Sechs von ihnen starben an Nierenversagen. Chinesische Hersteller hatten damals versucht, mit Melamin, einem Stoff, der normalerweise bei der Produktion von Leimen und Klebstoffen eingesetzt wird, einen höheren Proteingehalt ihrer Trockenmilch vorzutäuschen. Seitdem ist ausländisches Milchpulver sehr begehrt in China. Natürlich bietet Aldi das auch in den neuen Läden an. Allerdings doppelt so teuer wie in Deutschland, hergestellt in Fulda.

Doch warum erst 2019? Ein wenig spät für einen China-Einstieg möchte da mancher argwöhnen. Die Wahrheit ist, dass alle jene Einzelhändler, die sich bereits vor mehr als 20 Jahren in Volksrepublik ansiedelten, heute in Schwierigkeiten stecken. Der spanische Discounter Dia hat im vergangenen Jahr nach 15 Jahren in China seine 450 Filialen an die chinesische Suning-Gruppe verkauft, die Verluste waren zu groß. Der britische Einzelhändler Tesco gab 2014 auf. Marktführer war viele Jahre die französische Kette Carrefour, mit Filialen in Dutzenden Städten, inzwischen machen erste Meldungen die Runde, dass Carrefour sein China-Geschäft verkaufen möchte. Genauso wie die Metro, lange Zeit waren die Märkte in der Volksrepublik hochprofitabel, inzwischen überlegt der Konzern aus Düsseldorf, sich von den chinesischen Filialen zu trennen. Das gute alte Konzept Supermarkt funktioniert nur noch sehr eingeschränkt in China.

Während in Deutschland Familien einmal in der Woche zum Großeinkauf fahren und das Auto vollpacken, gehen die Kunden in den dicht bevölkerten Metropolen Chinas häufiger ins Geschäft und kaufen kleinere Mengen. Zudem wächst der Onlinehandel in China enorm - in Konkurrenz zum traditionellen Geschäft. Alles kann man sich liefern lassen. Etwa von Meituan. Ein Heer von Hunderttausenden Kurieren arbeiten für das Unternehmen.

Wenn man nicht selbst einkaufen möchte, weil draußen die Feinstaubwerte wieder einmal auf Kokerei-Niveau liegen und man besser den Luftfilter surren lässt, hetzen die Kuriere auf Elektrorollern durch den Smog. Per App wählt man den Supermarkt aus und die Produkte, wenig später klingelt der Fahrer.

Die USA sind das bisher einzige Land, in dem beide Aldis vertreten sind

Online hat auch Aldi in China angefangen. 2017 begann das Unternehmen über das Portal Tmall, das vom Onlinehändler Alibaba betrieben wird, Waren aus dem Ausland zu importieren. H-Milch aus Australien, Salami aus Österreich und Babynahrung aus Deutschland. In den beiden Shanghaier Filialen kann man daher per App bezahlen und sich auch gleich größere Kontingente bestellen, geliefert wird bis an die Tür.

Während Aldi in China mit neuen Konzepten experimentiert, setzt das Unternehmen in den USA auf das klassische Geschäft. In 35 Bundesstaaten ist der Discounter bereits vertreten. Aber das reicht offenbar nicht. Allein in diesem Jahr sollen mindestens 130 weitere Filialen eröffnen werden. Zählt man alle Neueröffnungen in der Welt zusammen, dann wird 2019 wohl das Jahr, in dem die Mülheimer so stark expandiert haben wie noch nie in ihrer Geschichte. Allein in den USA lassen sie sich das fünf Milliarden Dollar kosten.

Das ist in etwa die Summe, die der Schwesterkonzern Aldi Nord für die Modernisierung vor allem in Deutschland ausgibt. Die USA sind zudem das bisher einzige Land, in dem beide Aldis vertreten sind: Aldi Nord betreibt dort Trader Joe's, einen eher als hochpreisig geltenden Lebensmittelladen mit vielen Bio-Artikeln. So grenzt sich Aldi Nord vom Bruder Süd ab und beide leben in friedlicher Koexistenz miteinander. Für den Rest der Welt gilt: Die haben sich beide Konzerne so wie Deutschland geografisch aufgeteilt. Offiziell ist Aldi Süd für China zuständig.

Im Ausland wie im Inland gilt: Kein Aldi ohne Lidl, die Discounter beäugen und beharken sich, wo sie können. Lidl expandierte 2017 in die USA, jetzt unterstreicht Aldi seine Dominanz. Das Reiz-Reaktionsschema zwischen Aldi und Lidl ist längst nicht mehr auf Deutschland beschränkt, sondern inzwischen zu einem globalen Wettrennen geworden. Vor 20 Jahren noch waren Aldi und Lidl nur in ein paar wenigen Ländern Europas vertreten, Aldi Süd verlor sich in den Weiten der USA. Heute sind ganz Europa, weite Teile der USA und Australien übersät mit deutschen Discountern. Nur Südamerika, Afrika und Südostasien fehlen noch. Und in den schwierigen Markt China hat sich bisher nur Aldi Süd vorgewagt. Lidl hat sich gerade leise aus dem Onlinegeschäft zurückgezogen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise berichtet, dass durch die Zugabe von Melamin versucht wurde, den Proteingehalt des Milchpulvers zu erhöhen. Richtig ist, dass dadurch jedoch nur vorgetäuscht wird, dass die Trockenmilch ein höheren Proteingehalt hat.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2019/vit/cat
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