Alcoa-Chef Kleinfeld:"Ich kann den Zorn der Menschen verstehen"

Klaus Kleinfeld ist viel herumgekommen. Der Chef des US-Konzerns Alcoa über Auswüchse des Finanzsektors und das Krisenmanagement.

Nikokaus Piper, New York

Seit Mai 2008 steht der frühere Siemens-Chef Klaus Kleinfeld, 51, an der Spitze des amerikanischen Alcoa-Konzerns, eines der größten Aluminiumhersteller und -verarbeiter der Welt. Die Finanz- und Wirtschaftskrise belastet Alcoa schwer. Der Aluminiumpreis ist innerhalb kurzer Zeit um 60 Prozent eingebrochen, Alcoa machte Milliardenverluste, und Kleinfeld setzte ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm um. 15.000 der zuvor 119.000 Mitarbeiter wurden entlassen. An den Finanzmärkten wird das Programm mittlerweile als Erfolg bewertet. Der Kurs der Alcoa-Aktie, der von über 40 Dollar im Frühjahr 2008 auf knapp fünf Dollar im März 2009 eingebrochen war, ist inzwischen wieder auf über 13 Dollar gestiegen. Klaus Kleinfeld leitete von 2005 bis 2007 den Siemens-Konzern in München. Er trat zurück, als der Aufsichtsrat im Zuge der Aufklärung der Korruptionsaffäre mit einer Vertragsverlängerung zögerte.

Alcoa-Chef Kleinfeld: Alcoa-Chef Klaus Kleinfeld: "Wir haben uns darauf konzentriert, so viel Barmittel wie möglich zu generieren, um unabhängig von der Finanzwirtschaft agieren zu können."

Alcoa-Chef Klaus Kleinfeld: "Wir haben uns darauf konzentriert, so viel Barmittel wie möglich zu generieren, um unabhängig von der Finanzwirtschaft agieren zu können."

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Herr Kleinfeld, was ist für Sie die wichtigste Lehre aus der großen Wirtschafts- und Finanzkrise?

Klaus Kleinfeld: Vor allem, dass man gerade in der Wirtschaft den gesunden Menschenverstand nicht ausschalten darf. Bei uns zu Hause galt es als nicht besonders fein, Schulden zu machen. Das war auch richtig so. Dann hat irgendjemand in der internationalen Finanzwirtschaft das Wort "leverage" erfunden, und plötzlich hieß es überall, die Unternehmen hätten nicht zu viel, sondern zu wenig Schulden. Wie oft musste ich mir als CEO anhören, unser Unternehmen sei "under-leveraged". Und ich solle mit kurzfristigen Schulden langfristige Projekte finanzieren. Das war blanker Unsinn, wie sich in der Krise gezeigt hat. Es geht nichts über Solidität und Nachhaltigkeit. Als mir mein früherer Fahrer erzählte, er habe gerade in Florida seine dritte Immobilie gekauft, und zwar auf Kredit ohne Anzahlung, da war mir klar, dass der Finanzsektor weit über sein Ziel hinausgeschossen war.

SZ: Ihr Unternehmen Alcoa ist durch die Rezession in eine schwere Krise geraten. Wie ernst ist die Lage?

Kleinfeld: Es sieht wieder deutlich besser aus. Die Aluminiumindustrie hat die schwerste Krise hinter sich, die es je gab. In nur fünf Monaten war der Preis um 60 Prozent gefallen, das ist ohne Beispiel. Dadurch hatte sich unsere bis dahin relativ solide Bilanz schlagartig verschlechtert. Wir haben darauf sehr schnell und sehr frühzeitig mit einem umfassenden Programm reagiert. Das ganze Unternehmen wurde auf Cash-Management umgestellt, also auf die Steuerung der Liquidität. Es war uns klar, dass wir Liquidität sichern mussten, weil die Banken in Finanzierungsprobleme geraten würden. Das hat sich als richtig erwiesen.

SZ: Was bedeutet das in der Praxis? Kleinfeld: Wir haben uns darauf konzentriert, so viel Barmittel wie möglich zu generieren, um unabhängig von der Finanzwirtschaft agieren zu können: Besserer Einkauf, geringere Verwaltungskosten und Lagerbestände, effizienteres Forderungsmanagement. Investitionen wurden zurückgefahren, ohne freilich strategische Projekte aufzugeben, wie eine neue Bauxit-Mine in Brasilien mit zugehöriger Raffinerie und ein Walzwerk in China. Da haben wir weiter investiert.

SZ: Vor allem haben Sie 15.000 Mitarbeiter entlassen.

Kleinfeld: Ja, und das hat weh getan, aber es war unumgänglich. Und wir haben 20 Prozent unserer Kapazität stillgelegt. Das Schwierigste war eine Kapitalerhöhung im März.

SZ: Die kam am Tiefpunkt des Aktienmarktes. War das Mut oder Verzweiflung?

Kleinfeld: Das war keine Verzweiflung, im Gegenteil. Wir wussten, dass wir die Anleger überzeugen würden, denn wir hatten gute Argumente. Seither ist der Aktienkurs nur noch gestiegen. Wir haben auch die Chance genutzt, das Unternehmen umzubauen. In 90 Prozent unserer Geschäftsfelder sind wir jetzt die Nummer eins oder zwei auf dem Markt.

SZ: Trotzdem haben Sie im zweiten Quartal einen hohen Verlust gemeldet.

Kleinfeld: Ja, der kam auch nicht überraschend, aber er war deutlich geringer, als die Analysten erwartet hatten.

SZ: Und wie geht es jetzt weiter? Kleinfeld: Wir werden bis Ende dieses Jahres den Barmittelabfluss beendet haben und vom nächsten Jahr an wieder einen positiven Cashflow haben. Das haben wir versprochen, und wir sind auf gutem Weg. Das Unternehmen kommt stärker als vorher aus der Krise.

SZ: Sie haben Krisenmanagement bei Siemens in Deutschland betrieben und jetzt bei Alcoa in den USA. Wo ist der Unterschied?

Kleinfeld: Zunächst einmal in den Rahmenbedingungen. In Deutschland wurde die Kurzarbeiterregelung ausgeweitet - eine sehr intelligente Maßnahme, die es den Unternehmen ermöglicht, flexibel zu reagieren und trotzdem soziale Härten zu vermeiden. So etwas gibt es in den USA nicht. Die deutsche Regierung hat hier hervorragend reagiert. Der Vorteil in Amerika ist dagegen, dass man sehr schnell reagieren kann. Wir haben gehandelt, sobald sich die ersten Vorboten der Krise zeigten. Dabei hatten wir übrigens immer die Unterstützung der Arbeitnehmer. Die Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern ist heute besser als vor der Krise. Wenn man gemeinsam durchs Feuer geht, schweißt das zusammen.

SZ: Sie haben 15.000 Mitarbeiter konfliktfrei entlassen?

Kleinfeld: Ja, weitgehend. Alle wussten: Wenn wir eine Chance haben sollten, durch die Krise zu kommen, waren drastische Maßnahmen unvermeidlich.

SZ: Ist Konsens in Amerika weniger wichtig als in Deutschland?

Kleinfeld: Auch in den USA brauchen Sie eine Mannschaft, die hinter Ihnen steht. Die Leute müssen Entscheidungen verstehen und akzeptieren, sonst ziehen sie nicht mit. Eine Kombination europäischer und amerikanischer Elemente ist dabei gar nicht so schlecht. Amerikanisch ist die Verbindung von Tempo und Pragmatismus. Man weiß, dass man nicht immer die hundertprozentige Lösung haben muss. Europäisch ist der Gedanke der Nachhaltigkeit, das Nachhaken, die Überprüfung, ob die Dinge wirklich laufen, wie sie sollen. Das ist nicht unbedingt eine amerikanische Tugend.

SZ: Und was ist mit der Mitbestimmung?

Kleinfeld: Ich war und bin ein Fan der betrieblichen Mitbestimmung. Bei allen Restrukturierungen in Deutschland waren Betriebsräte ungemein wichtig.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, welche Rolle die Wirtschaft der USA nach Auffassung Kleinfelds künftig spielen wird

"Ich würde die US-Industrie keinesfalls abschreiben"

SZ: Und die Mitbestimmung in Aufsichtsräten?

Kleinfeld: Sie hat sich halt außerhalb Deutschlands nirgendwo durchgesetzt. Man sollte sich fragen, warum das so ist.

SZ: Wäre es nicht gut, wenn im Verwaltungsrat von Alcoa Vertreter der Arbeitnehmer säßen?

Kleinfeld: Unser Board ist hervorragend besetzt mit Direktoren, die nicht nur aus der Wirtschaft kommen, sondern auch Belange der Gesellschaft und der Arbeitnehmer vertreten.

SZ: Aber die Gewerkschaften selbst sitzen nicht drin.

Kleinfeld: Das nicht, das ist aber auch nicht nötig, da wir eine sehr starke soziale Komponente im Board haben. Wir verstehen uns als ausgesprochen wertegetriebenes Unternehmen. Wenn man diese Werte nicht täglich lebt, wird man schnell unglaubwürdig.

SZ: Ist in der Krise nicht auch das angelsächsische Modell des Kapitalismus gescheitert, jedenfalls so weit es die starke Rolle der Finanzmärkte betrifft?

Kleinfeld: Die Rolle der Finanzmärkte muss in der Tat neu gefasst werden. Aber man darf auch nicht alles verteufeln. Die Globalisierung hat in ungeheurem Maße Wohlstand geschaffen, das sollte man nicht vergessen. Dabei sind die Finanzmärkte nicht ersetzbar. Aber man muss immer wieder auf Regulierung und Transparenz achten. Ich habe nie das reine Shareholder-Konzept vertreten, denn das beruht auf einem Missverständnis. Shareholder-Value ist ein Ergebnis, keine Steuerungsgröße. Wie wollen Sie Wert für die Aktionäre schaffen, wenn sie nicht motivierte Mitarbeiter und zufriedene Kunden haben? Das geht höchstens mit sehr kurzfristigen Finanztransaktionen, und die interessieren uns nicht. Alcoa ist über 120 Jahre alt und soll auch die nächsten 120 Jahre erleben.

SZ: Und wie sieht es mit Grenzen für Managergehälter aus?

Kleinfeld: Angesichts der Auswüchse im Finanzsektor kann ich den Zorn der Menschen gut verstehen. Auf der anderen Seite sollte gute Leistung auch gut bezahlt werden.

SZ: Haben Sie im eigenen Unternehmen die Gehälter nach unten angepasst?

Kleinfeld: Die Bezahlung war bei uns immer sehr variabel. Sie hängt stark vom Abschneiden des Unternehmens ab, ein großer Teil der Leistungsvergütung wird in Aktien gewährt, die mindestens drei Jahre lang gehalten werden müssen.

SZ: Und verdienen Sie selbst jetzt weniger als vor der Krise?

Kleinfeld: Der Einbruch des Aktienkurses hat sich direkt auf die Bezahlung ausgewirkt. Für einige Führungskräfte wurde das Einkommen fast ausgelöscht.

SZ: Und in der Krise mussten Sie an Ihrem System nichts ändern?

Kleinfeld: Doch, wir haben die gesamte Anreizstruktur geändert. Erfolg misst sich derzeit vor allem daran, ob sich die Cash-Position verbessert. Aber das System der Bezahlung ist gleich geblieben, denn es ist hochgradig flexibel und an langfristiger Leistung orientiert.

SZ: Bis jetzt galt es als ausgemacht, dass die USA zu einer Dienstleistungsgesellschaft werden und der Industriesektor schrumpft. Ist diese Entwicklung mit der Krise des Finanzsektors zu Ende?

Kleinfeld: Ich habe von dieser Theorie nie viel gehalten. Ein Land von der Größe der Vereinigten Staaten braucht einen großen Industriesektor und kann sich nicht auf Finanzdienstleistungen allein verlassen. Und ich würde die US-Industrie keinesfalls abschreiben. Das haben schon viele getan, und sie lagen immer falsch. Man darf die Stärken der USA nicht unterschätzen. Amerika ist eine Einwanderergesellschaft und zeichnet sich durch positive Glaubenssätze aus: Es zählt nicht die Herkunft oder die Ausbildung, sondern das, was Sie wirklich können. Und wenn Sie die Ärmel aufkrempeln, bekommen Sie Ihre Chance - auch heute noch. Das Land ist weiterhin für Ausländer hochattraktiv. Um ihre Top-Bildungseinrichtungen werden die Amerikaner weltweit beneidet.

SZ: Präsident Barack Obama hat Sie zum Vorsitzenden des amerikanisch-russischen Wirtschaftsrates ernannt. Warum gerade Sie?

Kleinfeld: Der Rat soll sich um die Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen kümmern. Ich habe schon früher viel in Russland gearbeitet und kenne und schätze viele Partner dort. Das dürfte den Ausschlag gegeben haben.

SZ: Was halten Sie generell von Obamas Wirtschaftspolitik?

Kleinfeld: Zunächst einmal muss man feststellen: Die Krise war der erste Test für eine tief globalisierte Wirtschaft. Und die Regierungen und Notenbanken haben diesen Test bestanden. Das Wirtschaftsprogramm von Obama bestand bis jetzt zu 90 Prozent darin, die Krise zu meistern. Seine Leute haben schnell gehandelt, und es hat funktioniert, übrigens auch in enger Zusammenarbeit mit den Deutschen und besonders den Europäern. Ich kann die Kritik an dieser Politik oft nicht mehr hören. Das waren Entscheidungen, die mitten in der schlimmsten Krise getroffen wurden. Man sollte das einfach anerkennen. Darüber hinaus würde ich mir eine breite Debatte darüber wünschen, wie die US-Wirtschaft in den nächsten zwanzig Jahren aussehen soll. Die wird nicht einfach werden, aber sie wird kommen, sobald die Erregung um die Gesundheitsreform vorbei ist.

SZ: Ein Blick zurück: Ist das Kapitel Siemens für Sie abgeschlossen?

Kleinfeld: Siemens ist ein tolles Unternehmen, und ich habe noch viele Freunde dort. Aber jetzt bin ich bei Alcoa, und zwar sehr gerne. Hier ist mein Leben.

SZ: Wie gehen Sie mit den Schadenersatzforderungen von Siemens um?

Kleinfeld: Ich bin CEO von Alcoa und werde mich auch nur zu diesem Unternehmen äußern.

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