Albion Knitting:Teure Masche

Von wegen Asien: Ausgerechnet im kostspieligen London bauten zwei Briten eine erfolgreiche Strickfabrik auf. Der Immobilienboom aber wird jetzt zum Problem - und der Brexit.

Von Björn Finke

Eine ruhige Straße im Norden Londons. Die Reihe zweistöckiger schmaler Häuser wird von einem kleinen Gewerbepark unterbrochen. Dort, in Halle 12, werkeln Strickmaschinen made in Germany. Lange graue Kästen, in denen hinter einer Scheibe flink Abschnitte von Leggings oder Pullovern entstehen. Die verschiedenen Fäden werden von oben zugeführt, bei einer Maschine - alles Modelle der Reutlinger Firma Stoll - plumpst unten gerade ein schwarzes Rechteck mit weißen Rändern in die Wanne. Das gehört zu einer Kaschmir-Leggings.

Am Rand der Halle sitzen Frauen vor anderen Maschinen, mit denen sie die einzelnen Teile zu fertiger Maschenmode zusammenfügen. An den Tischen daneben nähen Arbeiterinnen Säume. Auf der anderen Seite der kleinen Fabrikhalle zieht eine Kollegin eine Leggings über ein Holzbrett, um sie danach zu bügeln. Das Brett gibt die Form vor. An der Wand hängen Bretter mit vielen verschiedenen Formen - für die vielen verschiedenen Produkte, die hier gestrickt werden.

Eins haben all diese Strickwaren gemein: Im Laden werden sie am Ende sehr teuer sein. "Wir fertigen vor allem Pullover für Designer", sagt Christian Murphy. "Die meisten werden für mehr als 300 Pfund verkauft." Das sind 350 Euro. Murphy gründete die Strickfabrik - die einzige in London - vor drei Jahren zusammen mit einem Freund. "The Albion Knitting Company" heißt die Firma, sie beschäftigt inzwischen 31 Menschen und wirft nach Murphys Worten bereits einen kleinen Gewinn ab. Kunden sind in erster Linie luxuriöse britische Designermarken, etwa Victoria Beckham, Alexander McQueen, Gieves & Hawkes oder Paul Smith.

Eine Textilfabrik in Großbritannien zu gründen - und dann auch noch im teuren London - ist mutig. Die Textilindustrie im Königreich hat zwar eine glorreiche Vergangenheit. So stammten einst 80 Prozent des weltweit produzierten Baumwollgarns aus der Gegend um Manchester. Doch das war im 19. Jahrhundert. In den vergangenen Jahrzehnten machte Billigkonkurrenz aus Asien der Branche zu schaffen; wie in Deutschland erlebte sie einen langen Niedergang. In den Siebzigerjahren beschäftigte die Textilindustrie mehr als eine Million Menschen in Großbritannien, nun sind es 100 000.

Murphy und sein Mitgründer lernten sich in China kennen, wo die beiden Briten für eine schottische Textilfirma arbeiteten. Murphy, der in London Chinesisch studiert hatte, gründete 2002 in Peking eine Strickfabrik. Die führt er weiterhin, "jedoch bin ich nur noch alle sechs Wochen vor Ort", sagt der heute 48-Jährige. In China kam er auf die Idee, so ein Werk auch in London aufzumachen, nur viel kleiner und spezialisiert auf Edelmarken.

"Britische Designermarken schätzen es, sagen zu können, dass ihre Pullover made in London sind", erklärt Murphy. Außerdem seien die Lieferzeiten deutlich kürzer als bei einem Standort in China. Dafür nehmen die Kunden höhere Preise in Kauf. Chinesische Fabriken seien bei anspruchsvollen Produkten, etwa Kaschmir-Pullovern, ein Drittel billiger als Albion Knitting, bei einfachen Leibchen sei der Abstand noch viel größer, sagt er.

Das, was von der britischen Textilindustrie übrig ist, sitzt meistens im ärmeren Nordengland. Aber Murphy wählte London, die Stadt mit den unverschämten Mieten, für sein Abenteuer, weil dort die Luxusmodefirmen ihre Büros haben. "Die Designer mögen die Nähe zur Fabrik. Jeden Tag schaut einer unserer Kunden bei uns vorbei", sagt er.

Pro Woche fertigen die Londoner 800 Teile, was winzig ist im Vergleich zu asiatischen Werken. Murphy investierte 1,5 Millionen Euro in die Maschinen. Deren Hersteller Stoll aus Schwaben gewährte den Gründern Kredit auf die Hälfte der Ausrüstung - "ein Vertrauensvorschuss, der uns sehr geholfen hat", sagt der Manager.

Vor Albion Knitting hat es in London lange keine Strickfabrik mehr gegeben. Daher muss die Firma ihre Beschäftigten anlernen. Am Anfang flog Murphy dafür Fachleute aus seinem Pekinger Werk ein. "Jeder der jungen Mitarbeiter in der Produktion hier wurde von Chinesen geschult - außer die Rumänen", sagt er. In der Fabrik sind auch erfahrene Textilarbeiter aus Rumänien tätig, die kein Training brauchten. Gut die Hälfte der Angestellten sind Ausländer, die meisten aus EU-Staaten. Doch die britische Regierung verspricht, nach dem EU-Austritt Einwanderung zu erschweren. "Für uns könnte das eine Katastrophe sein", sagt Murphy.

Der Brexit steht 2019 an. Im selben Jahr läuft der Mietvertrag für die Fabrik aus. "Es war schwierig, in London eine Halle zu finden, und die Miete ist hoch", klagt der Maschenmode-Manager. "Aber wir befürchten, dass der Eigentümer die Miete 2019 sogar noch verdoppelt. Vielleicht können wir auch gar nicht bleiben, falls er in dem Gewerbepark lieber Wohnungen bauen will." Um langfristig Sicherheit zu haben, versucht Murphy nun, diese oder eine andere Halle in der Stadt zu kaufen oder zumindest einen Mietvertrag über 20 Jahre auszuhandeln.

Christian Murphy, Firmengründer

"Jeder der jungen Mitarbeiter in der Produktion hier wurde von Chinesen geschult."

Die Probleme sind typisch für London. Die Preise für Wohnungen sind rasant gestiegen, die Nachfrage ist groß. Daher werden massenhaft Industriebrachen und Gewerbeviertel in Wohngebiete verwandelt.

Gewerbegebiete werden zu Wohnsiedlungen - schlecht für Firmen wie Albion Knitting

Für die Landbesitzer ist das sehr lukrativ, und wegen der grassierenden Wohnungsnot genehmigt die Stadtverwaltung solche Vorhaben meistens. Allein in den vergangenen sieben Jahren gingen so mehr als 600 Hektar Gewerbefläche in London verloren, das entspricht gut 840 Fußballfeldern. Leidtragende sind kleine Industriebetriebe wie Albion Knitting.

Trotz der Querelen hat Murphy ehrgeizige Pläne. Die Londoner Strickfirma will nicht mehr nur für andere Designer arbeiten, sondern auch eigene Kollektionen herstellen und vertreiben - unter dem Namen "Pink Dog", also rosa Hund. Die ersten "Pink Dog"-Pullover sollen im Herbst in den Boutiquen liegen. Dass er damit wichtige Fabrikkunden wie Victoria Beckham verärgert, glaubt Murphy nicht. "Wir machen unseren Kunden keine Konkurrenz", sagt er. Die Auftraggeber des Werks ließen vor allem Damenmode fertigen, Pink Dog hingegen konzentriere sich auf "eigenwillige und sehr moderne Männermode".

Die Pullover sollen zwischen 300 und 600 Euro kosten. Made in London hat eben seinen Preis.

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