Süddeutsche Zeitung

Akustik:Hört, hört!

Moderne Hörgeräte haben natürliche Grenzen, aber sie werden trotzdem immer ausgefeilter - dank der Digitalisierung.

Von Helmut Martin-Jung, Berlin

Viele bräuchten sie, wenige tragen sie und viele nicht gerne: Hörgeräte haben nicht unbedingt den besten Ruf, was wohl vor allem an einer zu hohen Erwartungshaltung liegt, denn: "Das Ohr nachzubauen, wird wohl nie ganz gelingen", sagt Martin Schaarschmidt. Schaarschmidt betreibt eine PR-Agentur, die für den dänischen Hörgeräte-Hersteller GN arbeitet, einen der vier großen Player auf dem Markt für diese Produkte.

Er steht also nicht im Verdacht, gegen die kleinen Helfer zu argumentieren. So viel Ehrlichkeit ist aber auch geboten, denn es sind nahezu unmögliche Wünsche, die da auf kleinstem Raum vereint werden sollen: Möglichst natürliches Hören bei geringem Energieverbrauch und höchstem Tragekomfort. Da bleiben Kompromisse nicht aus.

Schaut man sich die Entwicklung der elektronischen Hörhilfen über die Jahre an, hat sich allerdings eine ganze Menge getan. Getrieben wurde der Fortschritt vor allem von der Digitalisierung. Diese mit ihrem rasend schnellen Fortschritt ermöglichte es erst, die Geräte immer kleiner, gleichzeitig aber leistungsfähiger und energieeffizienter zu bauen, und seit einigen Jahren auch immer schlauer.

Es geht nicht darum, wieder zu hören wie ein Kind

Das Hauptproblem eines Hörgerätes: Sie müssen in den Bereich, den der Träger eines Hörgerätes überhaupt noch gut hören kann, all das hineinquetschen, was er nicht mehr hört. Das verändert natürlich den Klang, aber es geht hier nicht darum, wieder zu hören wie ein Kind, sondern am Leben teilnehmen zu können. Wer in geselligen Runden oder bei Meetings im Büro bloß noch dabeisitzt und nichts mehr mitkriegt, fühlt sich ausgeschlossen; wer kaum noch etwas hört, bei dem steigt auch das Demenzrisiko.

Womit die Knöpfe im Ohr am meisten Probleme haben, ist, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Denn wenn Menschen bei einer Party sich mit einem anderen unterhalten, treffen aufs Ohr auch alle möglichen Nebengeräusche. Die werden vom Gehirn aber zu einem Teil herausgefiltert, weil das Denkorgan, das viele Informationen parallel verarbeiten kann, es möglich macht, zum Beispiel die Stimme des einen Menschen von der eines anderen zu unterscheiden. Der in diesem Fall unwichtige Sprecher und Nebengeräusche werden von dem Filter im Hirn sozusagen heruntergedimmt.

An solchen Fähigkeiten wird bei Hörgeräten gearbeitet. Die besseren (und natürlich auch teureren) unter ihnen können beispielsweise ihre Mikrofone auf einen Sprecher ausrichten, was Störgeräusche ebenfalls verringert. Die unvergleichlichen Fähigkeiten des Gehirns aber ersetzt das nicht völlig. Auch mit Musik tun sich Hörgeräte schwer. Das liegt vor allem daran, dass ihr Frequenzgang nicht ausreicht, um den Klang von Instrumenten einigermaßen unverfälscht zu erfassen.

Neue Apparate übertragen eine höhere Frequenz sowie Musik und Hörbücher

Dass eine Geige anders klingt als eine Flöte oder eine Oboe, liegt ja vor allem an den Obertönen. Wenn aber alles gleich klingt, sinkt das Hörvergnügen drastisch. Auch hier gibt es allerdings Fortschritte bei den Spitzenmodellen. Während Standardmodelle nur etwa bis 6000 Hertz übertragen können, schaffen die teuersten Knöpfe nun bereits 9500 Hertz. Wer mag, kann sich Musik, Hörbücher etc. vom Smartphone über die Hörgeräte anhören. Das funktioniert nun auch mit Googles Android, aber nur mit der derzeit jüngsten Version 10.

Die wohl spürbarsten Entwicklungen gibt es jedoch bei der Vernetzung. Mehr und mehr Hörgeräte lassen sich per Bluetooth mit einem Smartphone koppeln und über Apps der Hersteller auch genauer an die jeweilige Situation anpassen als durch Schalter direkt am Gerät. Auch Cochlea-Implantate lassen sich inzwischen per Smartphone steuern.

Die Verbindung zum Smartphone, sagt PR-Mann Schaarschmidt, sei den Trägern inzwischen wichtiger als die Größe der Hörgeräte. Die freilich ist auch ein wichtiges Kriterium. Auch leistungsstarke Hörhilfen sind mittlerweile nahezu unsichtbar, es gibt sogar welche, die direkt in den Gehörgang eingesetzt werden.

Zu teuer? Hörgeräte sind Medizinprodukte

Zur Energieversorgung von Hörgeräten dienen in den meisten Fällen noch Zink-Luft-Batterien, einige Hörgeräte werden allerdings auch schon von Lithium-Ionen-Akkus gespeist. Aufgeladen werden sie induktiv, drei Stunden Ladezeit ermöglichen etwa 30 Stunden Nutzung.

Gelegentlich gibt es Kritik daran, dass Hörgeräte überteuert seien. Schaarschmidt entgegnet, dass es sich um ein Medizinprodukt handle. Dessen Preis enthalte auch den Service durch einen Hörgeräteakustiker. Der passt die Geräte nicht bloß einmalig an, das erfordert meist mehrere Sitzungen. Es beginnt bei der Maßanfertigung der Ohrstücke und reicht bis zu den Einstellungen gemäß dem Hörvermögen des jeweiligen Kunden. In den spezialisierten Geschäften werden sie bei Bedarf aber auch nachjustiert, gereinigt und gewartet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4668724
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.