Die Tarnung ist perfekt: eine kleine Zweizimmerwohnung, schlicht eingerichtet mit hellgrauen Holzmöbeln, im Bücherregal stehen Harry-Potter-Bände neben dem Bestseller "Der Medicus". Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass von hier irgendeine Gefahr ausgeht. Es wirkt wie eine gemütliche Studentenbude. Doch dann fällt der Blick auf eine Reihe von Leitz-Ordnern links neben dem Schreibtisch am Fenster. Sie sind beschriftet mit "DataDesign", "Jagenberg" und "TDS" - den Namen von drei Aktiengesellschaften. Vermutlich wäre es allen lieber, ihre Namen befänden sich nicht auf den Ordnern. Denn in diesem Regal, in dieser Wohnung in Würzburg zu stehen, kann Ärger bedeuten, richtig Ärger.

Die Ordner gehören keiner harmlosen Studentin, sondern einer Betriebswirtin, die man in Vorstandskreisen als extrem lästig empfindet: Caterina Steeg - die einzige Frau unter Deutschlands räuberischen Aktionären. Bei dem Begriff verzieht Steeg das Gesicht. "Ich kann natürlich nur für mich reden und lege auch für keinen anderen die Hand ins Feuer", sagt die 37-Jährige mit den schwarzen gewellten Haaren, "aber ich versichere, dass ich niemals heimlich Geld angenommen oder auch nur gefordert hätte." Ihren Ruf hat sie dennoch weg - das ist ihr klar.
Räuberische Aktionäre oder Berufskläger, wie sie auch genannt werden, sind für Vorstände und Aufsichtsräte zunehmend ein Ärgernis. Die Methode, die ihnen nachgesagt wird, ist simpel: Sie kaufen sich Aktien eines Unternehmens, gehen auf die Hauptversammlung, provozieren Rechtsfehler, indem sie endlos Fragen stellen oder das Rednerpult blockieren, anschließend fechten sie die Beschlüsse an und verzögern so deren Umsetzung. Erst gegen Zahlung eines gewissen Betrags nehmen sie die Klage zurück. Missbrauch von Aktionärsrechten hat es zwar schon immer gegeben, glaubt man aber wissenschaftlichen Studien, ist die Zahl der Klagen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
Es habe sich regelrecht ein Gewerbe entwickelt, das davon lebt, systematisch gegen Unternehmen vorzugehen und sich seinen Lästigkeitswert abkaufen zu lassen, stellt Rüdiger von Rosen fest, Chef des Deutschen Aktieninstituts. Fast jeder Squeeze-out, also jeder Beschluss, mit dem ein Mehrheitsaktionär verbliebene Minderheitsaktionäre aus einem Konzern drängen will, wird mittlerweile angefochten. Bundesweit tauchen dabei immer wieder die gleichen Namen auf. So gibt es zehn Kläger, die für jede dritte Anfechtungsklage verantwortlich sind. Zu den am häufigsten genannten Namen zählt auch der von Caterina Steeg.
Über Nacht berühmt geworden
"Es macht mich wahnsinnig, wenn ich das Gefühl habe, dass mich jemand über den Tisch ziehen will", sagt die Diplomkauffrau, die vor elf Jahren bei dem Würzburger Wirtschaftsprofessor Ekkehard Wenger studiert hat. Wenger gilt seit mehreren spektakulären Auftritten auf Aktionärstreffen als Hauptversammlungsschreck. "Bei vielem, was er kritisiert, hat er sicher recht", sagt Steeg und setzt sich an den kleinen Esstisch in ihrem Wohnzimmer. Von ihren Aktiengeschäften kann sie mittlerweile leben. "Ich mache einen ganz guten Schnitt, wenn zum Beispiel ein Abfindungsangebot für die Minderheitsaktionäre nachträglich erhöht wird", sagt Steeg, ohne dass sie Zahlen nennen möchte. "Daran ist nichts verwerflich, schließlich profitieren alle Aktionäre davon." Sie zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich zurück.
Die Statistik über die vielen Anfechtungsklagen ist aus ihrer Sicht kein Beweis dafür, dass Kläger die Aktionärsrechte missbrauchen. "Sie beweist einfach nur, dass Unternehmen immer wieder versuchen, ihre Aktionäre für dumm zu verkaufen." Als Beispiel nennt sie den Fall Karstadt-Quelle vor gut drei Jahren. Damals wurde Steeg über Nacht berühmt: als die Frau, die mit ihrem Widerspruch den Konzern fast in den Ruin getrieben hätte. "Ich hätte gern drauf verzichtet", sagt sie heute und grinst. Damals war ihr überhaupt nicht zum Lachen zumute. 95000 Arbeitsplätze standen auf dem Spiel - und alles hing angeblich von ihr ab.
Karstadt-Quelle befand sich zu dem Zeitpunkt in einer tiefen Krise. Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung im November 2004 sollten die Aktionäre einer Kapitalerhöhung und einem Sanierungsplan zustimmen, den der Konzern mit den Banken ausgehandelt hatte. "Ich selbst besaß keine Karstadt-Quelle-Aktien, aber ich vertrat ein paar Aktionäre, die mich beauftragt hatten herauszufinden, was da genau läuft", erzählt Steeg. "Doch die haben gemauert." Mit "die" meint sie Vorstand und Aufsichtsrat.
Steeg gilt nicht gerade als diplomatisch und fällt angeblich bisweilen sogar aus der Rolle. Ein Ruf, der zu einem Teil daran liegen mag, dass sie zu Kraftausdrücken neigt, wenn sie wütend ist. "Es regt mich halt tierisch auf, wenn ich merke, dass ich verarscht werde", sagt die Frau, die bei ihren ersten Auftritten noch weiche Knie bekam. Pöbeln wolle sie aber ganz sicher nicht. "Jede Frage, die ich stelle, hat einen Grund." Bei Karstadt-Quelle habe sie wissen wollen, in welche Richtung es weitergehe. "Wo stehen wir nächstes Jahr? Wo in fünf Jahren?", sagt sie. "Doch es kam nichts." Daher habe sie einen Widerspruch zu Protokoll gegeben, "was normalerweise überhaupt keine rechtlichen Folgen hat", sagt Steeg und klopft die Asche von ihrer Zigarette ab.
Ruf einer Abzockerin
Doch plötzlich habe der Konzern mitgeteilt, dass es eine Nebenabrede mit den Banken gebe, nach der sämtliche Kreditzusagen hinfällig seien, sobald Widersprüche zu Protokoll gegeben werden. "Das hatte man bis dahin, obwohl danach gefragt worden war, mit keinem Wort erwähnt." Am nächsten Tag war bundesweit in der Presse zu lesen, dass eine Kleinaktionärin aus Würzburg die Sanierung von Karstadt-Quelle gefährde. Steeg schüttelt den Kopf, als könnte sie es immer noch nicht glauben. "Und dann dauerte es nicht lange, bis erste Gerüchte kursierten, ich würde die Hand aufhalten."
Seither gilt Steeg als Abzockerin, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht ist. Ein Image, das auch anderen Berufsklägern anhaftet, ob sie nun Peter Eck, Karl-Walter Freitag oder Klaus Zapf heißen. Letzterer ist Umzugsunternehmer in Berlin, gilt zugleich aber als notorischer Anfechtungskläger. Das Landgericht Frankfurt verurteilte ihn jüngst in einer spektakulären Entscheidung zu Schadensersatz. Zapf soll einer Firma angeboten haben, seine Klage gegen Gewährung gewisser Vorteile zurückzuziehen. Das Gericht war überzeugt, dass Zapf "das Institut der Anfechtungsklage zu gesetzesfremden Zwecken missbrauchen wollte". Sollte das Urteil in der Berufung bestätigt werden, wäre es das erste, das einen erpresserischen Aktionär für die Folgen seines Verhaltens haftbar macht.
Normalerweise werden unsaubere Absprachen zwischen Konzern und Kläger nicht bekannt, denn es ist gar nicht erlaubt, dass ein einzelner Aktionär Vorteile erhält. Daher sind die Beteiligten erfinderisch geworden. So erstatten die Firmen den Klägern bei Klagerücknahme offiziell einfach nur die Anwalts- und Gerichtskosten - dies allerdings in beachtlicher Höhe. Inwieweit der Anwalt seinen Mandanten an dem Betrag beteiligt, bleibt geheim. In Wirtschaftskreisen heißt es, dass dieses Vorgehen absolut üblich sei. Steeg runzelt die Stirn. "Ich kann auch diesmal nur für mich sprechen, aber mein Anwalt erstattet mir exakt den Betrag, den ich als Gerichtskosten vorgestreckt habe. Mehr nicht." Zum Fall Zapf äußert sie sich nur ungern. "Ich weiß ja nicht, ob das alles überhaupt stimmt." Sie zögert kurz. "Aber sollte es tatsächlich so abgelaufen sein, dann wäre das richtig schlimm", sagt sie und wiederholt: "richtig schlimm". Dann fände sie es auch angemessen, dass der Schaden ersetzt werden müsse.
"Das Verheerende ist, dass so ein Fall viele Vorurteile bestätigt", sagt Steeg. In der Politik sieht man Berufskläger inzwischen als ernstes Problem. So haben die Länder Baden-Württemberg und Sachsen vorgeschlagen, den Instanzenweg zu verkürzen und auf diese Weise die Gerichtsverfahren zu beschleunigen. Auf Bundesebene hält man sich noch zurück. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sagt nur, sie beobachte die Entwicklung "mit großer Sorge". Steeg sieht die Gefahr, dass Berufskläger pauschal als lästige Querulanten abgetan werden. "Dass ihre Kritik inhaltlich oft völlig berechtigt ist, erkennen die wenigsten."
Helmut Krenek zählt zu diesen wenigen. Der Vorsitzende Richter am Landgericht München gab Anfang Februar einer Reihe von Kleinaktionären im Kampf gegen die Hypo-Vereinsbank recht. Und dabei ist Krenek kein ausgemachter Aktionärsschützer. Am Donnerstag ließ er zum Beispiel bei einem weiteren Prozess gegen die Bank erhebliche Zweifel an den Argumenten der Anleger erkennen. Berufskläger sind für ihn "ein überschaubarer Kreis von Aktionären, denen eine nicht unerhebliche präventive Funktion zukommt. Wenn Vorstand und Aufsichtsrat mit Klagen rechnen müssen, werden sie alles tun, damit bei der Hauptversammlung alles korrekt abläuft".
Grenze übeschritten
Auch Steeg hat in Sachen Hypo-Vereinsbank geklagt. "Es geht mir nicht darum, Krawall zu machen", sagt sie. "Aber wenn von mir als Aktionär erwartet wird, einer Fusion oder einem Beherrschungsvertrag zuzustimmen, dann ist es doch nur legitim, dass ich bitte, mir den Vorgang zu erklären." Einmal hatte sie das Gefühl, zu weit gegangen zu sein. "Da war jemand so genervt von meinen Fragen, dass er plötzlich sein Angebot zurückzog, mit dem er das Unternehmen vor der Insolvenz retten wollte. Ich dachte nur noch, ach du Scheiße, was für ein Bärendienst." Doch "zum Glück" sei der angebliche Helfer kurz darauf selbst pleitegegangen, "damit hatten sich meine Zweifel im Nachhinein bestätigt".
Auch bei Karstadt-Quelle ging es glimpflich aus. Nach dem Widerspruch verhandelten Steeg und andere widerspenstige Aktionäre stundenlang mit dem Konzernmanagement in einem Konferenzsaal am Flughafen. Am Ende stand eine Einigung, "als wir alle Antworten hatten, erklärten die betroffenen Aktionäre, dass sie keine rechtlichen Schritte gegen die Hauptversammlungsbeschlüsse ergreifen wollen", sagt Steeg. Geld, sie betont es wieder und wieder, sei nicht geflossen. Im Gegenteil. "Weil die Gerüchte nicht aufhörten, überwies ich etwa 300 Euro an Karstadt-Quelle" - als Ausgleich für die anteilige Miete des Konferenzraums, den Kaffee, die drei Flaschen Wasser und die Pizza, die sie bei den Verhandlungen konsumiert hatte. "Damit mir niemand was nachsagen kann."
Wenn Steeg sich mit einem Unternehmen einigt, komme der Vergleich in den allermeisten Fällen allen Aktionären zugute, sagt sie. "Ganz selten einigt sich die Aktiengesellschaften nur mit denjenigen, die auf der Hauptversammlung mit Nein gestimmt hatten." Doch selbst das ist aus ihrer Sicht in Ordnung: "Wer dafür war, war halt dafür." Während der Hauptsaison, also von April bis August, reist sie zwei- bis dreimal pro Woche auf Aktionärstreffen. Sie geht zum Regal und holt einen Ordner heraus: Darin befindet sich ein 64-seitiger Verschmelzungsbericht einer kleinen Firma sowie ein 80-seitiges Bewertungsgutachten. Alle paar Zeilen ist etwas gelb markiert, am Rand stehen Notizen wie "Höhe?" oder "Warum?". Vor einem Aktionärstreffen lässt sie sich alle relevanten Unterlagen kommen und arbeitet sie durch.
Nächste Woche steht die außerordentliche Hauptversammlung des Technologieunternehmens TDS an. Müssen die sich warm anziehen? "So weit bin ich noch nicht", sagt Steeg und lacht. "Ich muss mir erst alles in Ruhe durchlesen." Sicher ist nur: Weiche Knie bekommt sie schon lange nicht mehr.