Süddeutsche Zeitung

Aktionäre:Die netten Jahre sind vorbei

Selten wurden die Manager großer Konzerne von ihren Investoren so hart angegangen wie zuletzt. Die Aktionäre werden selbstbewusster und wollen nicht mehr zahm sein.

Von Meike Schreiber und Jan Willmroth

Ein gewisses Maß an Optimismus gehört dazu für den wichtigsten Bankmanager in Deutschland, denn ohne Zuversicht könnte Christian Sewing seinen Job nicht machen. An diesem Donnerstag wird er zum zweiten Mal als Chef der Deutschen Bank vor den Aktionären des Instituts sprechen. Er wird vortragen, was er im ersten Jahr als Vorstandschef erreicht hat, wird schildern, warum die Lage in seinen Augen ganz und gar nicht aussichtslos ist. Dann wird er Platz nehmen auf der Bühne, in einer Reihe mit Paul Achleitner, seinem Aufsichtsratschef. Bis spät am Abend werden die beiden harte Kritik hören, die ganze Wut der Anteilseigner.

Die Hauptversammlung der Deutschen Bank ist immer ein Riesenzirkus: mit Aktionären, die den Managern eine rote Karte zeigen, mit eloquenten Investoren, die das Strategieproblem der Bank sezieren. Meist dauert es an die zwölf Stunden, bis alle gesprochen haben, alle Anträge gestellt sind und alle Abstimmungen ausgezählt. Eines aber ist diesmal anders: Am Ende könnte zumindest Achleitner nicht entlastet oder gar aus dem Amt gedrängt werden.

Würden die Aktionäre ihm oder dem Vorstand die Entlastung verweigern, es wäre ein Misstrauensvotum ohne unmittelbare Folgen - aber mit Wucht. Und es wäre das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass Aktionäre gegen die Führung eines Dax-Konzerns aufstehen. Nach dem Monsanto-Desaster wurde mit Bayer-Chef Werner Baumann erstmals ein amtierender Dax-Chef nicht entlastet. Die Aktionäre der Schweizer UBS verweigerten Vorstand und Verwaltungsrat die Entlastung. Ob bei der Investmentfirma GAM, beim VW-Konzern oder dem Flugzeugbauer Boeing: Die Auseinandersetzungen sind heftig.

Was passiert da gerade? Häufen sich die Problemfälle zufällig, ob derer Aktionäre aufbegehren? Oder beginnt da eine neue Zeit, in der die Hauptversammlung nicht mehr nur lästiges Pflichtprogramm ist, sondern immer öfter auch Scherbengericht? Und wie steht es um die Macht von Stimmrechtsberatern wie ISS und Glass Lewis, die im Dienste großer Investoren konzernspezifisch empfehlen, wie abzustimmen sei?

Die Investoren wissen um die Wirkung, wenn sie Vorstände und Aufsichtsräte maßregeln

"Investoren nehmen ihre Verantwortung stärker wahr als früher, sie beobachten die Leistung von Management und Aufsichtsrat genauer", sagt Michael Schmidt, Vorstandsmitglied der selbst börsennotierten Fondsgesellschaft Lloyd Fonds. "Es ist wichtig, dass Investoren auch öffentlich wahrnehmbar ihre Stimme erheben, damit eine positive Veränderung angestoßen wird." Damit würden sie ihrer Verantwortung besser gerecht als früher. Eine groß angelegte Revolte der Eigentümer, wie sie viele nun ausrufen, erkennt Schmidt aber nicht: Noch sind das alles Einzelfälle.

Unstreitig aber ist das gestiegene Selbstbewusstsein der Investoren, im Wissen um die Wirkung, wenn sie öffentlich Vorstände und Aufsichtsräte maßregeln. Antreiber sind große Geldgeber wie Stiftungen, Pensionskassen und Versicherungen, die von Fondsgesellschaften verlangen, genauer auf Umwelt- und Sozialstandards zu achten und auf die Regeln guter Konzernführung. Zudem fordert das Gesetz Firmen wie Investoren künftig stärker. Nach der Novelle der Aktionärsrechterichtlinie müssen Konzerne ihre Eigentümer genauer informieren und umfangreicher Rechenschaft ablegen über Vorstandsgehälter; zugleich müssen institutionelle Anleger und Vermögensverwalter transparenter agieren. Das erzeugt Rechtfertigungsdruck.

Außerdem verändern börsengehandelte Indexfonds (ETFs) das Aktionärsgefüge. Sie bilden Aktienindizes nach, es gibt keine Fondsmanager mehr, die entscheiden, wie und wo sie investieren. Die Fonds halten alle Aktien aus einem Index, also auch dann, wenn sie mit Konzernen unzufrieden sind. Daraus erwächst immer mehr der Anspruch, sich für bessere Unternehmensführung einzusetzen. Wobei allein die Größenverhältnisse offenbaren, wie wenig etwa Blackrock seiner Verantwortung als oft größter Einzelaktionär gerecht werden kann: Durch seine ETF-Beteiligungen stimmt der Konzern nach eigenen Angaben auf mehr als 17 000 Hauptversammlungen pro Jahr ab - in den Teams, die konzernweit damit betraut sind, arbeiten derzeit genau 43 Menschen.

Der Einfluss der großen Stimmrechtsberater wächst - und mit ihm das Unbehagen

Das überlässt aktiven Investoren das Feld, aber auch den Stimmrechtsberatern. Im Kern ist das Geschäftsmodell der Berater vergleichbar mit dem von Ratingagenturen: Firmen wie ISS und Glass Lewis bewerten die Unternehmen nach festen oder individuell vereinbarten Kriterien und erstellen Studien, die sie an Profi-Investoren verkaufen. Zuvorderst geht es dabei um die Frage, ob die Manager die Regeln guter Unternehmensführung einhalten und ob die Vergütung angemessen ist, auch die Entwicklung von Aktienkurs und Dividende spielen eine Rolle. Waren ISS und Glass Lewis in den vergangenen Jahren eher wohlwollend, schlagen sie inzwischen kritischere Töne an.

Mit dem Einfluss der Berater wächst das Unbehagen. "Die Stimmrechtsberater besitzen selbst keine einzelne Aktie, beeinflussen aber zum Beispiel im Dax das Fünffache des größten Einzelinvestors", sagt Michael Kramarsch von der Unternehmensberatung HKP. Noch dazu seien ISS und Glass Lewis quasi ein Duopol. "Wenn man die beiden gegen sich hat, hat man keine Chance mehr, mit individuellen Argumenten zu überzeugen", sagt Kramarsch. Ein Problem sei vor allem, dass viele Investoren nur noch nach Maßgabe der Berater abstimmten. Außerdem sieht Kramarsch einen Interessenkonflikt darin, dass eine ISS-Tochter auch Unternehmen berät, wie etwa Vergütungssysteme modifiziert werden können. Glass Lewis spricht sich gegen solche Beratungsangebote aus.

ISS weist die Kritik zurück. Ohnehin sei man nicht "Rädelsführer eines Aufstandes", sagt Thomas von Oehsen, Deutschland-Chef des Marktführers. Interessenkonflikte vermeide man durch starke Trennung der Bereiche. ISS erstelle lediglich Analysen mit Stimmempfehlungen, die für die Kunden oft nur eine von mehreren Entscheidungsgrundlagen seien. Dass man dieses Jahr zur Nicht-Entlastung bei Bayer, UBS und Deutscher Bank rate, habe bei Bayer an den "wirklich großen Problemen" gelegen, bei UBS an der "hohen Strafe" und bei der Deutschen Bank an der "Gesamtsituation". Bei dem Geldhaus habe sich bereits 2018 abgezeichnet, dass im Folgejahr mit einer Nicht-Entlastung zu rechnen sei, sofern sich die Situation nicht bessere. Danach sieht es wirklich nicht aus.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2019
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