Aktienkurse:Unterschiedliche Welten

Die US-Börsen haben ständig neue Rekorde erreicht, dort sind Aktien erheblich teurer als in Europa. Experten warnen vor dem Aktienmarkt in den USA.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Robert Shiller ist besorgt. Seit Monaten steigen die US-Aktienmärkte von einem Rekord zum nächsten, die Hoffnung der Investoren auf Donald Trumps Infrastruktur- und Deregulierungspolitik hält an, im Vergleich zu Anleihen sind Aktien immer noch attraktiv. Shiller, Ökonom an der US-Eliteuni Yale, fühlt sich an den Internet-Boom um das Jahr 2000 erinnert: Damals feierten Anleger das Internet als Beginn einer neuen Zeitrechnung, herkömmliche Bewertungsmerkmale spielten keine Rolle mehr.

Das ging nicht gut aus. Ist diesmal alles anders, wenn nicht mehr technologische, sondern vor allem politische Heilsversprechen die Aktienkurse beflügeln? Shiller findet: "Der Markt ist erheblich überteuert."

Das ist eine unmissverständliche Warnung des Nobelpreisträgers, der sich Kapitalmarktstrategen zunehmend anschließen. So gut es klingt, dass die neue US-Regierung Steuern senken, Regulierungen aufweichen und Milliarden Dollar in die Infrastruktur investieren will: Wenn sie die hohen Erwartungen nicht erfüllt, wird die Euphorie an den US-Börsen rasch enden.

Um einzuschätzen, wie teuer Aktien sind, verwenden Börsianer Kennzahlen wie das Verhältnis von aktuellem Aktienkurs und Gewinn eines Unternehmens, das sogenannte KGV. Eine Abwandlung davon ist nach Shiller benannt: Das Shiller-KGV vergleicht den aktuellen Marktwert eines Unternehmens mit den Durchschnittsgewinnen der vergangenen zehn Jahre und gilt als aussagekräftiger. Im wichtigen US-Aktienindex S & P 500 liegt das Shiller-KGV derzeit bei mehr als 29. Das ist zwar noch 30 Prozent vom bisherigen Rekordhoch im Jahr 2000 entfernt - aber beinahe so hoch wie vor dem Kurssturz im Jahr 1929. Teurer waren US-Aktien sonst nie.

Eine derart hohe Bewertung ist bemerkenswert, im Vergleich zu den Märkten in Europa ist sie es umso mehr. Während die Trump-Euphorie die US-Börsen beflügelt, haben Anleger in Europa vor allem Gefahren im Blick: Die unklaren Brexit-Folgen, die griechische Schuldenkrise, Italiens politisches Vakuum, die Wahlen in Frankreich und Deutschland. Neben harten Kennzahlen brauchen Aktienmärkte vor allem Fantasie - die mit Blick auf Europa fehlt.

Es mehren sich die Zweifel, ob US-Konzerne ihre Gewinne so steigern können wie zuletzt

In den Jahren seit der Finanzkrise waren die Aktienkurse in den Vereinigten Staaten deutlich schneller gestiegen als auf dem alten Kontinent. Dort liegt das Shiller-KGV derzeit bei 17,5. So groß war der Unterschied in der Aktienbewertung dies- und jenseits des Atlantiks seit Anfang der Siebzigerjahre nicht mehr. Rob Arnott, Finanzmarktforscher und Gründer der Investmentgesellschaft Research Associates, hält das für eine Anomalie. "Es ist eine Fehleinschätzung", sagt er. "Wenn Sie einen so hohen Bewertungsunterschied sehen, müssen Sie sich fragen: Ist der wirtschaftliche Ausblick für Europa so fundamental anders als für die USA? Nein, das ist er nicht." Insofern haben die europäischen Börsen das Potenzial aufzuholen.

Hohe Aktienpreise sind allerdings nicht unbedingt irrational. Sie drücken nur die Erwartung aus, dass Unternehmen in der Zukunft deutlich mehr Geld verdienen. Es müsse also zu einem starken Wachstum bei den Unternehmensgewinnen kommen, sagt Lars Edler, Chef-Investmentstratege von Sal. Oppenheim - oder es drohe mittel- bis langfristig eine Kurskorrektur. Unter anderem nähren steigende Zinsen Zweifel daran, ob US-Unternehmen ihre Gewinne weiter so steigern können, wie sie es in den vergangenen Jahren geschafft haben. Steigende Zinsen verteuern Investitionen für Firmen. In den vergangenen Jahren haben US-Konzerne bereits relativ wenig investiert, was die Gewinnchancen in der Zukunft schmälert. Zudem belasten höhere Schulden die Bilanzen. Strafft die Fed ihre Geldpolitik, fließt außerdem tendenziell weniger Geld in die Aktienmärkte.

Private Investoren sollten sich also gut überlegen, ob sie ihr Vermögen derzeit noch am US-Aktienmarkt anlegen wollen. Robert Shiller kauft jedenfalls vorerst keine weiteren amerikanischen Aktien. Auch Rob Arnott hat sich festgelegt: "Den US-Aktienmärkten bleibe ich fern. Ich habe viel übrig für Schwellenländer, für Europa und Japan."

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