Süddeutsche Zeitung

Aktienindex:Der Trump-Effekt ist versickert

  • Der wichtige Aktienindex Dow Jones kämpft seit Wochen damit, die historische Marke von 20 000 Punkten zu überschreiten.
  • Am 6. Januar fehlte dem Index zwischenzeitlich nur noch ein Punkt - und dann sackte er doch wieder ab.
  • Das Schauspiel zeigt: Psychologie ist an der Börse extrem wichtig - und der Trump-Effekt mittlerweile schon wieder abgeschwächt.

Von Harald Freiberger

Schon vor vier Wochen kamen die Investoren in Sektlaune. Am 14. Dezember 2016 erreichte der amerikanische Aktienindex Dow Jones erstmals die Nähe der magischen Marke von 20 000 Punkten. Um das Ereignis zu würdigen, muss man wissen, dass der Dow Jones nicht irgendein Aktienindex ist, sondern schlichtweg der Aktienindex. Er wurde im Jahr 1884 gegründet und spiegelt heute die Kurse der 30 größten börsennotierten Unternehmen der USA wider. Seit 132 Jahren gilt er als Symbol und Gradmesser für Stärke oder Schwäche der USA, der größten Volkswirtschaft der Welt.

Wenn so ein Symbol eine runde Marke überwindet, ist das ein fast historisches Ereignis. Über die 10 000 Punkte kletterte der Index schließlich noch im alten Jahrhundert, anno 1999. Das sind die Ereignisse, bei denen es an der an Floskeln reichen Börse immer heißt, dass "die Sektkorken knallen".

Das Problem ist nur, dass die Sektkorken auch vier Wochen später noch nicht geknallt haben. Denn der Dow Jones kommt immer nur in die Nähe der 20 000 Punkte, er springt aber nicht darüber. Höhepunkt dieses fast schon skurrilen Schauspiels war der 6. Januar, als es bis auf 19 999,63 Punkte hochging. Gerade 0,37 Pünktchen fehlten noch - doch dann kratzte der Index wieder die Kurve.

Amazon kündigt 100 000 neue US-Jobs an - und der Dow fällt

Auch die erste Rede des künftigen US-Präsidenten Donald Trump am Mittwoch konnte die Kurse nicht beflügeln. Und am Tag darauf kündigte Amazon-Chef Jeff Bezos an, 100 000 neue Jobs in den USA zu schaffen, so als wollte er Trump besänftigen, der zuvor gegen unpatriotische Unternehmen getwittert hatte. Doch alles half nichts: Der Dow Jones fiel sogar, er bleibt weiter unter 20 000 Punkten.

Es ist die Stunde der Charttechniker, jener Spezialisten, die auf den Kursverlauf einer Aktie oder eines Index blicken und daraus ihre Schlüsse für die Zukunft ziehen. Ein wichtiges Wort für Charttechniker ist das Wort "Widerstand". Es bedeutet, dass ein Kurs über eine bestimmte Marke nicht hinauskommt oder - in der bildreichen Sprache der Börsianer - "an ihr abprallt". Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass Widerstände existieren, braucht man nur auf die Dow-Jones-Kurve der vergangenen Wochen zu blicken.

Sie ist auch ein Indiz dafür, dass an der umstrittenen Disziplin der Charttechnik eben doch etwas dran ist. Einige Börsenkenner halten sie zwar für Hokuspokus. Doch sobald es Anleger gibt, die an Charttechnik glauben, spielt sie auch eine Rolle für den Markt. Es ist wie bei einer Prophezeiung, die sich selbst erfüllt.

Runde Zahlen üben eine Faszination auf die Anleger aus. "Je mehr Nullen eine Zahl hat, umso wichtiger wird sie für die Börse", sagt Christian Henke, Analyst des Börsen-Dienstleisters IG Markets. Aus charttechnischer Sicht stehe der Aktienmarkt damit am Scheidepunkt: Schafft er es, den Widerstand nachhaltig zu durchbrechen, ist der weitere Weg nach oben frei. Schafft er es nicht, ist die Wahrscheinlichkeit einer Korrektur nach unten groß. Je länger es dauert, umso größer ist die Rückschlaggefahr. Viele Investoren warten derzeit ab, in welche Richtung der Markt dreht.

Was sich beim Dow Jones abspielt, erinnert Börsenexperten an die Vorgänge um den Deutschen Aktienindex (Dax) vor zwei Jahren. Das deutsche Börsenbarometer kämpfte damals über Monate mit der runden Marke von 10 000 Punkten. Anfang 2015 wurde der Widerstand schließlich durchbrochen, und dann folgte über Monate ein steiler Anstieg. Ganz so, wie es die Charttechnik lehrt. Was bedeutet das für die aktuelle Situation? "Ein Anstieg auf 20 002 Punkte würde für den Dow Jones noch nicht reichen, 20 100 Punkte könnten aber eine Initialzündung bedeuten", sagt Analyst Henke. Er warnt jedoch davor, ausschließlich auf den Kursverlauf zu schauen. "Charttechnik und Marktanalyse sollten sich unterstützen", sagt er.

Aktien können nur steigen, wenn es den Unternehmen gut geht

Mit Marktanalyse ist das gemeint, was Börsianer auch "fundamentale Daten" nennen: Wie steht eine Volkswirtschaft da, wie ist die Konjunkturlage, welche Chancen haben die Unternehmen, künftig Gewinne zu erwirtschaften? Denn am Ende können Aktien nur steigen, wenn es den Unternehmen gut geht. Der 1999 verstorbene Börsen-Großmeister André Kostolany prägte dafür das Bild vom spazierenden Herrn mit Hund: Der Hund (der Aktienkurs) läuft mal hinter dem Herrn (dem wahren Wert eines Unternehmens) her oder ihm auch voraus, aber am Ende kehrt er immer zu ihm zurück.

Und wie sieht es mit den fundamentalen Daten? "Nach der Trump-Wahl Anfang November sind US-Aktien enorm gestiegen", sagt Markus Reinwand, Analyst bei der Landesbank Hessen-Thüringen. Vorher seien die Finanzmärkte skeptisch über Trump gewesen, doch auf einmal habe man nur noch das Positive an ihm gesehen: die angekündigten Steuererleichterungen für Unternehmen, die staatlichen Investitionen in Infrastruktur und Rüstung, die Deregulierung.

Die Risiken wurden dabei ausgeblendet. Schließlich kann Trumps Devise "Amerika zuerst" in einen Handelskrieg münden, der auch der einheimischen Wirtschaft schadet. Trumps Rede am Mittwoch hat dazu nicht viel Erhellendes gebracht. Die Folge: Der Dow Jones tat weiter das, was er seit Wochen tut, er dümpelt unter der Marke von 20 000 Punkten.

"US-Aktien sind inzwischen relativ teuer, sie haben sich von ihrem wahren Wert entfernt", sagt Reinwand. Für ihn spricht einiges dafür, dass es zwischenzeitlich abwärts geht. Die Wahrscheinlichkeit dafür sei größer, als dass der Boom anhält. Eine Korrektur um fünf Prozent auf 19 000 Punkte fände Reinwand sogar gesund. Sollte der Dow Jones die 20 000-Punkte-Marke aber nachhaltig durchbrechen, kann es durchaus weiter steil nach oben gehen - siehe das Beispiel des Dax vor zwei Jahren, der danach von 10 000 bis auf über 12 000 Punkte kletterte. Anschließend fielen die Aktienkurse in Deutschland allerdings wieder. Am Ende kommt der Hund doch immer zum Herrchen zurück.

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SZ vom 13.01.2017/vit
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