Geldanlage:Land der Sparer

Lesezeit: 2 min

Die Deutschen investierten im Corona-Jahr viel an der Börse. Der große Teil ihres Vermögens aber liegt weiter unverzinst auf Konten.

Von Harald Freiberger, München

Im März 2020, als sich die Corona-Pandemie ausbreitete, brachen die Börsen weltweit um 35 bis 40 Prozent ein. Es war der kürzeste und heftigste Crash aller Zeiten. Die Reaktion der Bundesbürger darauf hat viele Anlageexperten aber überrascht: Sie haben nicht wie früher oft bei Einbrüchen panisch Aktien verkauft, sondern sind im Gegenteil eingestiegen. In den ersten drei Quartalen 2020 haben die Deutschen Aktien im Wert von 34 Milliarden Euro gekauft, zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Das waren dreimal so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Direktbanken und Broker verzeichneten gerade im März und April einen regelrechten Ansturm von Anlegern. "In beiden Monaten registrierten wir jeweils mehr als 50 000 Eröffnungen von Depots, normalerweise liegt die Zahl im niedrigen fünfstelligen Bereich", sagt eine Sprecherin von Comdirect, der Direktbank der Commerzbank. In den ersten neun Monaten des Jahres seien 230 000 neue Depotkunden hinzugekommen, das sei das stärkste Wachstum seit 20 Jahren. Die Zahl der Trades, also der Kauf- und Verkaufsaufträge, verdoppelte sich auf 36 Millionen. An der Spitze standen Aufträge für Einzelaktien, es folgten Zertifikate, dann ETFs, also Fonds, die automatisch einem Index folgen, und andere Fonds. Auch die Zahl der Sparpläne nahm deutlich zu.

Ähnlich sieht es bei der Direktbank Consors aus, die zur französischen Großbank BNP Paribas gehört: Der Bestand an Depots legte um 106 000 auf 1,33 Millionen zu, die Zahl der Trades verdoppelte sich auf 18 Millionen, der Bestand an Sparplänen stieg um 43 Prozent auf 1,1 Millionen. Besonders stark ist das Wachstum bei jungen Kunden: Sechs von zehn neuen Kunden sind jünger als 35, zwei von zehn jünger als 25. Die Zahl von Kunden im Alter von 18 bis 25 Jahren legte 2020 um 160 Prozent zu - so viel wie in keiner anderen Altersklasse.

Die Deutschen sparten im Corona-Jahr 2020 so viel wie seit Jahrzehnten nicht: 16 Prozent ihrer Einkünfte

Dass vor allem die junge Generation Aktien, ETFs und Sparpläne für sich entdeckt, beweist auch der Erfolg sogenannter Neobroker, die sich auf die einfache Abwicklung von Orders per Smartphone oder Computer spezialisiert haben. Der erfolgreichste ist das Berliner Fin-Tech Trade Republic, das sein Geschäft von Frühjahr bis Ende 2020 laut Branchenkreisen vervierfacht hat. Die Zahl der Kunden stieg demnach auf rund 600 000, das verwaltete Vermögen auf etwa vier Milliarden Euro.

Sind die Deutschen also dabei, ein Volk von Aktionären zu werden? Dahin ist es noch ein weiter Weg. Die DZ Bank weist darauf hin, dass die Zuwächse auf niedrigem Niveau stattfinden. So lagen Ende des Jahres 528 Milliarden Euro in Aktien und 823 Milliarden Euro in Investmentfonds - das entspricht sieben beziehungsweise zwölf Prozent des gesamten Geldvermögens der Deutschen in Höhe von 7,1 Billionen Euro. In Ländern wie den USA, Großbritannien oder Schweden ist diese Quote deutlich höher.

Die Deutschen sparten im Corona-Jahr 2020 so viel wie seit Jahrzehnten nicht: Sie legten 16 Prozent ihrer Einkünfte auf die hohe Kante, 2019 waren es elf Prozent gewesen. Doch der größte Teil des Ersparten floss nicht in Aktien, ETFs oder Fonds. "Viele Anleger wissen nicht wohin mit frei werdenden oder neuen Anlagemitteln", sagt DZ-Bank-Ökonom Michael Stappel. Inzwischen seien 28 Prozent des Geldvermögens, also rund zwei der 7,1 Billionen Euro, dauerhaft "zwischengeparkt", vorwiegend auf unverzinsten Giro- und Sparkonten. "Es ist zu früh, um von einer neuen Aktienkultur in Deutschland zu sprechen", resümiert Stappel.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: