MeinungNvidia:Geldanlage: Wer auf Hype-Aktien setzt, kann auch gleich Lotto spielen

Kommentar von Harald Freiberger

Lesezeit: 3 Min.

Chef des Chip-Herstellers Nvidia, Jensen Huang. (Foto: JOSH EDELSON/AFP)

Denn heutiger Erfolg sagt am Aktienmarkt nichts über die Zukunft aus. Das gilt auch für den Nvidia-Boom.

Wer ab und zu ein Gespräch von Börsenanlegern belauscht, kommt zu dem Schluss, dass der beliebteste Verbmodus bei ihnen der Konjunktiv II ist: „Hätt’ ich, tät’ ich, wär’ ich...“ In diesen Tagen ist es die Aktie des US-Chipkonzerns Nvidia, die Anlass gibt zu solchen Sätzen: „Wäre ich vor vier Jahren bei Nvidia eingestiegen, hätte sich mein Geld fast verdreißigfacht. Hätte ich 10 000 Euro in die Aktie investiert, wären es heute 300 000 Euro.“ Ähnliche Sätze hat man oft auch in Zusammenhang mit anderen boomenden Unternehmen wie dem Elektroauto-Konzern Tesla (Aktienkurs seit Anfang 2020 mal 15) gehört oder dem iPhone-Hersteller Apple (in 20 Jahren mal 440). „Hätte ich 2004 genau 2272 Euro in Apple-Aktien angelegt, wär’ ich heute Millionär.“

So beliebt solche Satzkonstruktionen sind, so sinnlos sind sie. Sie haben nichts mit seriöser Geldanlage zu tun, sondern gehen in Richtung Glücksspiel. Denn wenn man vor der Lotto-Ziehung am Samstag nur sechs aus 49 Zahlen richtig ausgewählt hätte, wär’ man heute auch Millionär. Wer solche Sätze gebraucht, unterliegt einem psychologischen Irrtum, der in der Verhaltensforschung gut dokumentiert ist: der Glaube an die Zwangsläufigkeit eines Ereignisses, der sich aus der Ex-post-Betrachtung ergibt. „Musste ja so kommen“, sagt der Volksmund, ohne zu bedenken, dass es vor Eintritt des Ereignisses unzählige Möglichkeiten gab, dass es ganz anders kommt. Dann stellt man sich die nächste Falle: Man verlängert gedanklich Entwicklungen aus der Vergangenheit in die Zukunft, weil man sich nicht vorstellen kann, dass es einmal wieder anders wird.

Übertragen auf die Börse heißt das: Es ist leicht, jene Aktien zu identifizieren, die sich in der Vergangenheit hervorragend entwickelt haben, aber unmöglich, jene zu finden, die das in Zukunft tun. Wer meint, es werden dieselben sein, der kann genauso gut die Lottozahlen von der Vorwoche wieder ankreuzen. In einem Aktienkurs steckt nach der Börsentheorie immer alles schon drin, also auch die Fantasie für die Zukunft. Die Wahrscheinlichkeit, dass er steigt, ist genauso groß wie die, dass er fällt.

Der Aktienkurs von Tesla drittelte sich binnen gut eines Jahres

Am Beispiel von Nvidia durchgedacht: Der Konzern wurde groß mit Grafikarten für Computerspiele, deren Chips viel Speicherplatz benötigen und schnell sein müssen. Dieses Know-how hat ihm großen Vorsprung vor anderen Chipherstellern eingebracht, der sich durch den Boom der künstlichen Intelligenz nun monetarisieren lässt. Wie es damit weitergeht, ist jedoch unklar: Bleibt Nvidia noch lange konkurrenzlos? Erfüllen sich die Erwartungen an die künstliche Intelligenz oder platzt irgendwann eine Blase, so wie nach 2000 die Blase des Internet-Hypes geplatzt ist? Man weiß es nicht. Es kann sein, dass sich der Nvidia-Aktienkurs in wenigen Monaten noch mal verdoppelt. Es kann aber auch sein, dass er sich halbiert, weil sich herausstellt, dass die Erwartungen überzogen waren.

Tesla ist dafür ein gutes Anschauungsbeispiel: Von Ende 2019 bis Ende 2021 stieg der Aktienkurs um das 17-fache, doch danach kam es zu Problemen, und binnen eines guten Jahres drittelte sich der Kurs auf einmal. Anleger brauchten gute Nerven, wer ausstieg, verlor viel Geld. In jüngster Zeit geht es wieder aufwärts mit Tesla und seinem Chef Elon Musk, der den künftigen US-Präsidenten berät. Doch wie es in Zukunft weitergeht? Nobody knows.

Die Lehre daraus für Anleger ist, dass sie den Verbmodus des Konjunktiv II möglichst aus ihrem Wortschatz streichen sollten. Es bringt nichts, verpassten Möglichkeiten auf dem Aktienmarkt hinterherzuweinen, und es kann fatal sein, sie auf die Zukunft übertragen zu wollen. Wer von den Chancen des Aktienmarkts profitieren will, tut das am besten, indem er langfristig in viele verschiedene Unternehmen investiert, zum Beispiel mit einem ETF, der einen weltweiten Aktienindex eins zu eins abbildet. Mit ihnen investiert man ohnehin auch in gehypte Aktien, aber in stark verdünnter Form.

Übrigens: Man redet immer von Nvidia, Tesla oder Apple, hört aber nie den Satz: „Hätte ich vor 20 Jahren in Cisco, Yahoo oder AOL investiert, dann wäre ich heute...“ Die Unternehmen sind die gefallenen Engel aus der Frühzeit des Internets, deren Erfolg vor mehr als 20 Jahren viele Anleger fälschlicherweise auch für die Zukunft annahmen.

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