Aktien:Böse Erinnerungen an die Blase

Deutsche Unternehmen drängt es an die Börse - trotz der weltweiten Turbulenzen. Verbraucherschützer warnen vor einem allzu eiligen Zugriff.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Was war das für ein ausgelassener Rummel im vergangenen Herbst. Rocket Internet ging an die Börse und große Teile der deutschen Finanzmarktszene ergaben sich dem Charme der Samwer-Brüder - und die Anleger auch: Sie zeigten reges Interesse an der Aktie, die zum Börsengang einen Preis von 42,50 Euro erzielte. Knapp ein Jahr später notiert das Wertpapier bei 22,50 Euro. Das entspricht einem Minus von 47 Prozent.

Die Geschichte von Rocket Internet sollte Anlegern als warnendes Beispiel dienen. Es passiert immer wieder, dass Unternehmen die Erwartungen der Eigentümer nicht erfüllen. Der Preis am Tag des Börsengangs ist nur eine Momentaufnahme, die im schlimmsten Fall viel zu vorteilhaft wirkt. Börsen können grausam sein.

Das schreckt in diesen Tagen aber niemanden ab. Die Bayer-Kunststoff-Sparte Covestro möchte am Freitag mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Euro den größten Börsengang in Deutschland seit dem Boom-Jahr 2000 hinlegen. Am Montag darauf folgt der fränkische Auto- und Industriezulieferer Schaeffler. Bereits am Donnerstag plant die Internet-Anzeigen-Plattform Scout 24 ihr Börsendebüt, Ende des Monats folgt der Baustoffkonzern Xella. Die Modefirma Steilmann plant in den kommenden Wochen ein öffentliches Angebot von neuen Aktien sowie eine Zulassung im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse, teilte Steilmann am Freitag mit. In der Warteschlange steht Finanzkreisen zufolge auch noch Deutschlands größte Containerreederei Hapag-Lloyd.

Frankfurt im Börsenfieber: Es könnte das beste Jahr seit langem werden. Man kann sich kaum noch daran erinnern, dass so viele große Unternehmen an die Börse drängen. Altgediente Profis denken da an das Jahr 2000 zurück. Damals gingen die Deutsche Post, Infineon und T-Online an die Börse und sammelten dabei viele Milliarden ein. Es war die Zeit der Internet-Euphorie. Mit der Jahrtausendwende begann eine lange Leidensphase, in der die Aktienkurse stark fielen.

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Trotz Unsicherheiten auf dem Finanzmarkt wagen in nächster Zeit mehrere große Unternehmen den Schritt an die Börse.

(Foto: Daniel Roland/AFP)

Auch in diesen Wochen geben sich die Börsen extrem unruhig. Die Wachstumsraten in China gehen zurück. In den Schwellenländern, die auf hohen US-Dollarschulden sitzen, kriselt es. Der deutsche Aktienindex Dax hat in den vergangenen sechs Wochen gut 15 Prozent an Wert verloren. Die amerikanische Notenbank Federal Reserve wich angesichts der wachsenden Unruhe an den internationalen Finanzmärkten vom geplanten Kurs ab und verschob die erste Leitzinserhöhung nach neun Jahren weiter in die Zukunft.

Sind das wirklich geeignete Rahmenbedingungen für den Gang an den Kapitalmarkt? "Börsengänge haben mindestens sechs Monate Vorlauf, manchmal sogar ein Jahr und mehr", sagt ein Frankfurter Investmentbanker. "Einen solchen gut vorbereiteten Plan möchte man nicht einfach zurückziehen, denn das hinterlässt bei den Investoren auch keinen guten Eindruck." Schließlich sehe es dann so aus, als ob das Unternehmen nur an einem möglichst hohen Zeichnungspreis interessiert gewesen sei. Wenn später der Kurs falle, sei die Frustration dann aber umso größer. Siehe Rocket Internet. Zudem könne niemand ausschließen, dass sich das Börsenumfeld im nächsten Jahr sogar noch verschlechtere.

Wer sein Geld in Aktien steckt, der sollte seine Spargelder weltweit streuen

Die Unternehmen und ihre beratenden gut verdienenden Investmentbanken wollen es also durchziehen. Egal, was an den Finanzmärkten gerade los ist. Die Börsenaspiranten tragen dem schwankungsanfälligen Börsenumfeld Rechnung, indem sie eine weite Preisspanne wählen. Dabei gilt: Je größer der Börsengang, desto eher kann man die Aktien auch in unruhigen Zeiten bei Investoren platzieren.

Verbraucherschützer sind von der aktuellen Welle an Börsengängen aber nicht beunruhigt. "Problematisch wird es erst, wenn Verbraucher neue Aktien zeichnen, ohne die Risiken zu kennen, oder wenn sie reingetrieben werden in diese Investments, sei es durch Medien oder Verkaufsgespräche der Finanzberater", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Dieses "Reintreiben" in Geldanlagen erlebe man auch derzeit. "Doch im Vergleich zum Boom im Jahr 2000 mit dem Neuen Markt ist die Situation doch eine völlig andere.", sagt Nauhauser, der zu einer breiten weltweiten Streuung der Spargelder rät, die in Aktien angelegt werden sollen. "Wer das Risiko mit Börsengängen kennt und es tragen kann, der kann natürlich das Wagnis eingehen".

Der starke Drang an die Frankfurter Börse steht im Kontrast zur globalen Entwicklung. Die Unruhe an den Finanzmärkten, die von China ausgeht, hat den Markt im dritten Quartal gebremst, heißt es in einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. "Die Zahl der Börsengänge ist weltweit im dritten Quartal um 31 Prozent auf 192 gesunken. Das Emissionsvolumen sank sogar um 73 Prozent von 67 auf knapp 18 Milliarden US-Dollar", so das Ergebnis der Untersuchung.

In China sei die Zahl der Börsengänge im vergangenen Vierteljahr von 139 auf nur noch 26 zurückgegangen. "In den Vereinigten Staaten sank die Zahl im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 48 Prozent von 62 auf 32, der Wert sank sogar um 88 Prozent von 42 auf knapp fünf Milliarden Dollar." In Europa gab es im dritten Quartal 29 Börsengänge, im vergleichbaren Vorjahreszeitraum waren es noch 44. Der Erlös der Börsengänge schrumpfte stark von sieben auf drei Milliarden Dollar.

Nur Deutschland schert aus. Drei Börsengänge brachten im dritten Quartal insgesamt 1,6 Milliarden Euro ein. "Damit war Deutschland der mit Abstand stärkste Markt innerhalb Europas."

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