Airlines:Alitalia retten. Bitte. Jetzt

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Italiens Regierung sucht verzweifelt Investoren. Dabei stieß sie jetzt auf Benetton - den Konzern, den sie für den Einsturz der Autobahnbrücke verantwortlich macht.

Von Ulrike Sauer, Rom

In der Endlos-Saga um die absturzreife Alitalia hat sich ein neuer Hauptdarsteller in den Vordergrund gespielt. Vor elf Monaten zog Luigi Di Maio, 32, gerade angetretener Vize-Premier und Industrieminister, den Fall des ewigen Pleitekandidaten an sich. Seinem Ziel, sich als Retter des Krisenunternehmens in Szene zu setzen, kam der Parteichef der Cinque Stelle aber nicht näher. Am Freitagabend musste er zum vierten Mal die Frist für die Vorlage einer Übernahmeofferte verlängern. Denn Nothelfer, die Di Maios Plan einer Rückverstaatlichung der römischen Fluggesellschaft unterstützen, machen sich rar. Nicht nur die Lufthansa zog es vor, sich aus dem Polit-Poker zu verabschieden.

Drei Wochen vor der Europawahl bringt der Stillstand Di Maio in eine unangenehme Lage. Der staatliche Bahnkonzern Ferrovie dello Stato, dessen Chef die populistische Regierung aus Lega und Cinque Stelle nach ihrem Antritt ausgewechselt hatte, erklärte sich bereit, mit 30 Prozent bei Alitalia einzusteigen. Das Finanzministerium ist mit 15 Prozent von der Partie. Die amerikanische Delta Airlines, die an der Integration der Nordatlantikflüge in ihre Allianz Sky Team interessiert ist, will ebenfalls 15 Prozent übernehmen. Alle Anläufe, einen Partner für die restlichen 40 Prozent an Bord zu holen, schlugen fehl. Di Maio rennt nun die Zeit davon.

Vor zwei Jahren gewährte die damalige Regierung Alitalia einen Überbrückungskredit von 900 Millionen Euro, um den Flugbetrieb aufrechtzuerhalten. Zuvor war die arabische Fluggesellschaft Etihad an der Alitalia-Sanierung gescheitert. So wurden drei staatliche Zwangsverwalter berufen, die einen neuen Eigentümer finden sollen. Der Rückzahlungstermin für den staatlichen Notkredit wurde mehrmals verschoben. Bis die neue Regierung die Erstattungspflicht nun per Dekret aus der Welt schaffte. Wieder einmal müssen Italiens Steuerzahler ihr Geld wohl abschreiben. Sie haben die fliegende Geldvernichtungsmaschine bereits mit acht Milliarden Euro am Leben gehalten. Seit Anfang 2018 hat Alitalia mehr als 700 Millionen Euro Verlust gemacht, schätzen Branchenexperten.

Der Konkursverwalter Daniele Discepolo mahnte im März vor dem Parlamentsausschuss eine Entscheidung über die Zukunft von Alitalia an. Wenn das Verkaufsverfahren nicht schleunigst abgeschlossen werde, bliebe den Kommissaren nur eine Liquidation des Unternehmens, sagte er. Eine Abwicklung der insolventen Fluggesellschaft wäre eine Blamage für Vize-Premier Di Maio, dessen Popularität in den Umfragen stetig fällt. Der Studienabbrecher, der vor seiner politischen Blitzkarriere als Platzanweiser in Neapels Fußballstadion gejobbt hat, hatte den 11 000 Alitalia-Mitarbeitern den Erhalt ihrer Arbeitsplätze versprochen.

Und so strebt das Drama um Alitalia nach den Beinahe-Konkursen von 2008, 2014 und 2017 einem neuen Höhepunkt zu. In seiner Verzweiflung umwirbt Di Maio jetzt den privaten Infrastrukturkonzern Atlantia, der von der Industriellendynastie Benetton kontrolliert wird. Nach dem Einsturz der Autobahnbrücke Morandi in Genua am 14. August 2018 hatte die Regierung die schwerreiche Familie beschuldigt, 43 Menschenleben auf dem Gewissen zu haben. Die Benettons sind Hauptaktionär des Mautunternehmens Autostrade per l´Italia, das mehr als 3000 Kilometer des gebührenpflichtigen Autobahnnetzes betreibt, darunter auch das Teilstück der A10, an dem die eingestürzte Morandi-Brücke liegt. 20 Stunden nach dem Kollaps der Todesbrücke hatte Verkehrsminister Danilo Toninelli den Schuldigen gefunden. Auf Facebook verlangte der Cinque-Stelle-Mann den Rücktritt von Atlantia-Chef Giovanni Castellucci. Er kündigte zudem den Entzug der Betriebslizenz an. Man strebe eine Zwangsverstaatlichung des Autobahnbetreibers an, polterte Di Maio damals. Wahr machte die Regierung keine ihrer Drohungen.

Nun schickt sie sich an, die Benettons zu rehabilitieren. Vor neun Monaten war die Unternehmerfamilie "das absolut Böse", heute würde Di Maio ihr gern die Alitalia-Rettung anvertrauen. Atlantia soll die zum Neustart fehlenden 300 Millionen Euro lockermachen.

Der Unternehmenschef Castellucci winkte ab. "Wir sind derzeit an so vielen offenen Fronten gebunden, dass wir überhaupt nicht an ein Engagement in einer so komplexen Angelegenheit wie Alitalia denken können", sagte er neulich auf der Hauptversammlung des Konzerns. Die aufgeschreckten Anleger bestürmten ihn mit Fragen zum Regierungswerben. Die üppigen Gewinne aus dem Mautgeschäft demnächst für Alitalia auszugeben, halten sie für keine gute Idee.

Die überraschende Wende weckt Erinnerungen an die Bruchlandung, die Silvio Berlusconi 2008 mit seinem Rettungsversuch erlebte. Kurz vor den Wahlen sabotierte der damalige Premier den Verkauf von Alitalia an Air France und drängte einer Seilschaft italienischer Unternehmen die Übernahme auf. Die Sache ging schief. Die Benettons, die mit von der Partie waren, verloren damals ihren Einsatz von 300 Millionen Euro. Elf Jahre später stellt sich nun die Frage: Kann sich das hoch verschuldete Italien den Luxus einer Airline leisten, die täglich 1,4 Millionen Euro Verlust macht?

Nun kann die Regierung viel tun, um Castellucci aus seiner Blockadesituation zu helfen. Atlantia möchte seit Langem sechs Milliarden Euro in den Bau einer neuen Umgehungsautobahn bei Genua und in die Verbreiterung der A14 bei Bologna investieren. Der Verkehrsminister verweigert aber die Genehmigungen. Auch der Kampf um den Entzug der Konzession für den Betrieb der Autobahnen ist noch nicht ausgefochten. Zumal die Einsturzursachen ungeklärt sind. Es gäbe also durchaus Gesprächsstoff mit der Regierung.

Dass Di Maio die Frist für Kaufofferten jetzt bis zum 15. Juni verlängert hat, zeigt, dass die Regierung den Dialog sucht. Nimmt der Cinque-Stelle-Chef seine wüsten Anschuldigungen gegen die Familie Benetton zurück und ebnet Atlantia den Weg zum Alitalia-Einstieg, verliert er sein Gesicht. Tut er es nicht, muss er die Fluggesellschaft wohl in den Konkurs schicken.

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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