Wenn man sich den Albtraum eines Luftfahrtmanagers vorstellen will, dann lohnt sich ein Besuch am Berliner Flughafen. Auf dem Vorfeld sind dort Flugzeuge der Lufthansa abgestellt, die seit Wochen nicht fliegen können. Es fehlen Ersatzteile, vor allem für die Motoren. Hunderte Jets vieler Airlines stehen weltweit derzeit am Boden, obwohl die Nachfrage im Luftverkehr so hoch ist wie nie zuvor.
Womit die Airlines schon lange kämpfen, ist nun auch für Airbus endgültig Realität geworden. Am Montagabend nach Börsenschluss verkündete das Unternehmen eine Gewinnwarnung, die es in sich hatte, und gab die Produktionsziele für die kommenden Jahre auf – die eigenen Lieferanten können schlicht mit dem geplanten Wachstum nicht mehr mithalten. Die Aktie verlor am nächsten Morgen daraufhin zeitweise bis zu elf Prozent ihres Wertes und auch die Papiere des Münchner Triebwerksherstellers MTU Aero Engines gaben um sechs Prozent nach.
Konkret hat Airbus das Ziel aufgegeben, bis 2026 die Produktion der Kurz- und Mittelstreckenbaureihe A320neo auf bis zu 75 Flugzeuge pro Monat zu erhöhen. Dies soll nun erst ein Jahr später erreicht werden. Derzeit baut das Unternehmen zwischen 40 und 50, wobei die Zahlen je nach Monat stark variieren. Das von Analysten eigentlich ursprünglich als sehr konservativ wahrgenommene Ziel, im laufenden Jahr insgesamt mindestens 800 Jets zu bauen (nach 820 im Jahr 2023), ist auch nicht mehr zu erreichen. Airbus hat nun die Marke von 770 Maschinen ausgegeben und fällt damit auf das Niveau des Jahres 2022 zurück, als der Konzern nach der Corona-Pandemie erst wieder begann, die Produktion auszubauen.
Außerdem erwartet Airbus nun nicht mehr einen bereinigten operativen Gewinn von rund sieben Milliarden Euro für das laufende Jahr, sondern nur noch 5,5 Milliarden.
Die Probleme in der Lieferkette plagen die Luftfahrt mittlerweile seit Jahren. In der Pandemie hatten viele Unternehmen Mitarbeiter entlassen und hatten, als die Nachfrage zurückkehrte, größte Probleme, genügend neue Mechaniker und Ingenieure zu finden. Einige Lieferanten wie Spirit Aerosystems, sowohl für Boeing als auch für Airbus absolut systemrelevant, sind in extreme finanzielle Schwierigkeiten geraten. In der Folge verzögerten sich die Liefertermine – mittlerweile warten Airlines bei Airbus routinemäßig mindestens mehrere Monate länger als geplant auf ihre A320neo-Jets. Die Produktion ist bis Anfang der 2030er-Jahre ausverkauft, und zwar auf Basis des geplanten Hochlaufs.
Zuletzt sind die Lieferanten noch unzuverlässiger geworden
Beide Flugzeugbauer, Boeing und Airbus, hatten bis zuletzt die Hoffnung, dass sich die Lage langsam bessert und sie die vielen Maschinen, die sie ihren Kunden verkauft hatten, auch wirklich einigermaßen pünktlich ausliefern können. Doch zuletzt sind die Lieferanten noch unzuverlässiger geworden.
„Das ist eine neue Situation, die wir nicht erwartet haben“, sagte Airbus-Vorstandschef Guillaume Faury vor Analysten. Ohne die Einschnitte in der eigenen Produktion hätte Airbus schon bald Flugzeuge gebaut, für die es keine Motoren gibt und somit ein schnell milliardenschweres Inventar aufgebaut. Vor allem bei den Triebwerken habe sich die Situation in den vergangenen Wochen „signifikant verschlechtert“, so der Airbus-Chef. Die Motoren für die A320neo-Reihe werden von zwei konkurrierenden Konsortien geliefert: CFM International mit GE Aerospace und dem französischen Unternehmen Safran sowie einer Gruppe um den US-Hersteller Pratt & Whitney unter anderem mit MTU Aero Engines.
Die Triebwerke sind aber nicht das einzige Problem. Auch bei der Kabinenausstattung, die Airbus weitgehend ausgelagert hat, sind viele Lieferanten schwer in Verzug geraten. Oft handelt es sich um fehlende Teile der Bordküchen oder Toiletten. Besonders schwierig aber ist die Lage Branchenkreisen zufolge bei den Sitzherstellern. Diese kommen wegen der schieren Menge der Bestellungen nicht mehr hinterher. In Airbus-Kreisen heißt es aber auch, dass sich die Qualitätsmängel häufen, sodass langwierige Tests für die Sitze oft wiederholt werden müssen.
Besonders kritisch ist die Lage bei Spirit Aerosystems. Das Unternehmen ist aus einem ehemaligen Boeing-Werk in Wichita/Kansas hervorgegangen und baut den Rumpf der Boeing 737. Aber auch für Airbus ist Spirit wichtig, denn die Firma ist für die Tragflächen der A220-Serie und für Komponenten des Langstreckenjets A350 verantwortlich. Weil Spirit in so existenziellen Schwierigkeiten steckt und Boeing auch die Qualität in der Produktion seines Lieferanten sicherstellen will, plant der Flugzeugbauer, die einstige Tochter wieder zurückkaufen. Airbus wiederum soll jene Werke übernehmen, die für die eigenen Programme arbeiten. Die komplizierte Transaktion der drei Parteien könnte schon in den kommenden Tagen verkündet werden.
Auch in der Raumfahrt hat Airbus bei wichtigen Programmen größere Probleme als bekannt und musste nun Abschreibungen in Höhe von 900 Millionen Euro vornehmen. Faury kündigte an, die Strategie für die Sparte zu überdenken. Denkbar sei es, Teile zu verkaufen oder in Kooperationen einzubringen.