Airbus:Neue Zeiten in Toulouse

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Airbus ist einer der wenigen echten europäischen Champions, die weltweit erfolgreich sind. Jetzt aber endet eine Ära: Tom Enders übergibt an Guillaume Faury. Der Neue erbt einige Probleme.

Von Caspar Busse und Jens Flottau

Neulich stand Tom Enders im Smoking und seinen roten Lieblings-Cowboystiefeln auf einer Bühne - und hatte die Krise. "Ich bin gerade 60 geworden, jetzt bekomme ich einen Preis für mein Lebenswerk - da kann man schon depressiv werden", sagte er zum Amüsement seiner Zuhörer. Zumal in den Wochen davor der Büroleiter gemeldet hatte, dass die Zahl der eingehenden E-Mails bereits zurückgehe. Offenbar schreiben schon viele an Guillaume Faury, 51, Enders' Nachfolger an der Airbus-Spitze.

Eineinhalb Jahre Zeit hatte Enders, um sich an den Gedanken zu gewöhnen: Am Mittwoch kommender Woche ist mit Ablauf der Hauptversammlung in Amsterdam endgültig Schluss. Nach 20 Jahren im Vorstand und sieben Jahren an der Spitze des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns wird der Deutsche Enders vom Franzosen Faury abgelöst, der erst für Hubschrauber und dann für das Tagesgeschäft der Flugzeugsparte zuständig war.

Der Deutsche ist unbequem und wenig diplomatisch, er sagt, was er denkt

Es ist eine Zäsur - für Enders persönlich und für das Unternehmen. Airbus, der Luft- und Raumfahrtkonzern mit heute etwa 134 000 Mitarbeitern, ist das Vorzeigebeispiel eines europäischen Champions, ein Leuchtturm - weltweit führend und inzwischen auf Augenhöhe mit dem US-Konkurrenten Boeing, der gerade mit ernsten Problemen bei der 737 Max zu kämpfen hat. Die Geschäfte bei Airbus laufen, der Börsenwert ist mit mehr als 90 Milliarden Euro so hoch wie nie, die Auftragsbücher sind voll, die Wartezeit etwa für einen neuen Airbus A320 ist lang - das alles ist auch das Verdienst von Enders.

Mit der übergroßen Transportmaschine Beluga befördert Airbus Flugzeugteile zwischen seinen europäischen Werken hin und her. (Foto: Christopher Furlong/Getty)

Der Mann, der aus dem Westerwald stammt und dessen Vater Schäfer war, arbeitete erst für die Bundeswehr und stieg schon 1991 bei einer Airbus-Vorläuferfirma ein. Enders ist unbequem und wenig diplomatisch, er sagt, was er denkt. Wie die meisten Vorstandschefs ist auch er keiner, der zu übertriebener Bescheidenheit neigt. Doch zuletzt hat es wohl in ihm gearbeitet und er ist zu einem wichtigen Schluss gekommen: Es sei einfach illusorisch zu glauben, man könne ein Unternehmen "besenrein" an seinen Nachfolger übergeben. "Sie übergeben ein Unternehmen immer mitten im Strom", bekannte Enders Ende vergangener Woche in kleiner Runde.

Es wird also nicht leicht für Faury, auch wenn Enders eines der größten Probleme noch beiseitegeräumt hat: Im Februar verkündete er das Ende des Riesenflugzeugs A380, eine desaströse Fehlkalkulation. Gleichzeitig läuft noch immer die Aufklärung der Korruptionsaffäre rund um frühere Berater, die eine zwielichtige Rolle bei der Vermittlung von Flugzeugaufträgen gespielt haben sollen. Mehrere Verfahren lasten auf Airbus, am Ende könnten hohe Strafen stehen. Dazu kommt, dass mit Enders eine ganze Generation von Managern verschwindet, die über Jahrzehnte Airbus stabilisiert haben: Enders' Dauer-Rivale Fabrice Brégier, Ex-Verkaufschef John Leahy, Programm-Chef Didier Evrard und Produktions-Experte Tom Williams sind schon weg - zuletzt ging auch Finanzchef Harald Wilhelm, der in gleicher Funktion zu Daimler wechselt. Die Neuen, angeführt von Faury, kommen von Infineon (Finanzchef Dominik Asam) oder Bosch (der operative Vorstand Michael Schöllhorn) und haben kaum Erfahrung in zentralen und komplexen Geschäftsbereichen. Gleichzeitig müssen dringend neue Antriebe entwickelt werden. Airbus steht vor einer neuen Ära.

Wird Faury künftig alles ändern? "Natürlich sind wir anders", sagt Enders. Hier der unwirsch auftretende Enders, da der verbindliche und unscheinbare Faury. So sehr Enders das große Ganze im Blick hatte, die Detailarbeit war nicht seine Stärke. Faury führt seit einem Jahr die Flugzeugsparte und versucht seither, Produktion und Organisation im Detail zu verstehen und zu verbessern. Mitarbeiter berichten, sie seien beeindruckt, mit welcher Akribie der Franzose Prozesse hinterfrage und auf Effizienz dringe. Enders sagt dazu: "Faury ist gut vorbereitet. Er wird vieles anders und vieles auch besser machen."

"Bei dem Wort Ruhestand zucke ich noch", sagt er

Prozesse und Effizienz sind ein wunder Punkt. In den letzten Jahren hat Airbus enorme Probleme gehabt, die Produktion von Flugzeugen wie gewünscht hochzufahren. Schon Mitte 2019 sollen jeden Monat 63 Maschinen der Kurz- und Mittelstreckenreihe A320 gebaut werden, so viele wie nie zuvor. Der Hochlauf war geprägt von Verspätungen, die Airbus zum Teil selbst zu verantworten hat, zum Teil Lieferanten zuschreiben kann. Automatisierung und Digitalisierung werden immer wichtiger, zumal wenn Boeing wie angekündigt mit dem Projekt New Mid-Market Airplane (NMA) Ernst macht, bei dem die Produktion revolutioniert werden soll.

Enders hat mit seiner direkten Art aber auch viel erreicht. Der Konzern, der vor 20 Jahren als deutsch-französisches Gemeinschaftsunternehmen unter dem Namen EADS gegründet wurde, ist zu einem weitgehend "normalen" Unternehmen geworden und hat sich aus der Umklammerung der Politik gelöst. Das war eines der großen Ziele von Enders - er hat es auf geradezu irrwitzigen Umwegen erreicht. Gleich nach seinem Antritt als alleiniger Konzernchef im Jahr 2012 plante Enders eine Fusion mit dem britischen Verteidigungsunternehmen BAE Systems. Die Idee war, dass Airbus künftig auf zwei annähernd gleich starken Säulen stehen sollten, das traditionelle Geschäft mit den zivilen Flugzeugen, kombiniert mit der Militärluftfahrt der Briten. Zu Enders' großer Verblüffung zerschossen damals Bundeskanzlerin Angela Merkel und der mittlerweile verstorbene Luftfahrt-Staatssekretär Peter Hintze mit "einer Blutgrätsche" (Enders) den Deal - sie befürchteten, dass die Fusion die deutschen Standorte benachteilige.

Absurderweise halfen Merkel und Hintze Enders damit indirekt. Die Fusion mit BAE Systems war zwar geplatzt. Aber die französische Regierung, der selbst stets eine sehr aktive Industriepolitik nachgesagt wurde, verzichtete von da an bei Airbus auf zu großen Einfluss. Heute halten Frankreich, Deutschland und Spanien zusammen zwar noch 26 Prozent der Anteile (der Rest ist breit gestreut), aber ihre Mitspracherechte sind stark beschnitten.

Enders nutzte die neuen Freiheiten. Er glaubte schon lange nicht mehr, dass Airbus als rein europäisches Unternehmen weitermachen konnte. Stattdessen stärkte er die Präsenz in den wichtigsten Märkten: Airbus-Maschinen werden mittlerweile in Tianjin/China und Mobile/USA gebaut. 2017 gelang der Coup, dem Konkurrenten Bombardier das technisch hervorragende, aber finanziell desaströse C-Series-Programm abzunehmen, inklusive Mitgift von 600 Millionen Dollar. Die Transaktion zwang Boeing, die Mehrheit an der Zivilsparte des brasilianischen Flugzeugherstellers Embraer zu übernehmen und verhinderte den Einstieg chinesischer Investoren. Künftig will Airbus die in A220 umbenannten Jets auch in den USA montieren.

"Mir hat die Internationalität am meisten Spaß gemacht," sagt Enders nun im Rückblick. Ganz freiwillig hat er, der noch geschätzt knapp 37 Millionen Euro an Rentenzahlungen und Aktien von Airbus erhält, das alles nicht aufgegeben - hatte er doch zuvor mal angedeutet, dass er sich vorstellen kann, seinen 2019 auslaufenden Vertrag noch einmal um fünf Jahre zu verlängern. Dass das überhaupt infrage kam, wäre noch wenige Jahre zuvor eine Sensation gewesen, denn erst gab es bei EADS Co-Chefs - ein Franzose und ein Deutscher leiteten das Unternehmen gemeinsam -, später rotierte der Vorstandsvorsitz zwischen den Nationalitäten. Enders war der erste, der noch einmal hätte verlängern können. Nun geht er teils aus privaten Gründen, teils, um einen Neuanfang nach der Korruptionsaffäre zu ermöglichen. Enders selbst kämpfte gemeinsam mit seinem Finanzvorstand Wilhelm dafür, die dubiosen Praktiken zu beenden. Doch als im Herbst 2017 immer mehr Details über angebliche und tatsächliche Machtkämpfe, über seine eigene mögliche Verwicklung in der französischen Presse auftauchten, war klar, dass er selbst ein Zeichen setzen musste - er verkündete seinen Abschied.

Und jetzt? Ende vergangener Woche kommt er - wie oft freitags - mit Jeans, roten Cowboystiefeln und Trachtenjanker nach München. "Bei dem Wort Ruhestand zucke ich noch", sagt er. Als Berater oder Türöffner werde er sich nun sicher nicht verdingen, das sei "unwürdig". Er habe zwar schon andere Angebote, wolle aber deutlich weniger arbeiten und in die Berge gehen. "Im fliegerischen Bereich" habe er noch einiges vor, betont der passionierte Hubschrauberpilot und Fallschirmspringer, Vater von vier Kindern.

Und ganz am Ende sagt der scheidende Airbus-Chef noch, wenn auch etwas leiser: "Ich gehe mit einem guten Gefühl."

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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