Airbus-Konzern EADS:"Major Tom" übernimmt die unmögliche Firma

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Intrigen, Schlammschlachten und peinliche Rangeleien: Den Luft- und Raumfahrtkonzern EADS plagen seit Jahren deutsch-französische Machtkämpfe. Der neue Vorstandschef Thomas Enders, ein ehemaliger Bundeswehroffizier, soll das ändern. Bei den Planungen, EADS aus dem staatlichen Klammergriff zu lösen, gibt es jedoch eine unbekannte Größe: Frankreichs Präsident Hollande.

Caspar Busse und Jens Flottau, Toulouse

In der Aula des Naturkundemuseums von Toulouse hängt ein riesiges Dinosaurierskelett. Thomas Enders steht vor seinen Zuhörern und soll über das Thema Innovation reden. Er hat eine Rede vorbereitet, aber die vielen Blätter in der einen Hand und das Mikrofon in der anderen Hand, das ist ihm schnell zu umständlich. Er schaut nach oben an die Decke und lässt sich von dem Dinosaurier inspirieren: "Dass die Stärksten überleben, darum geht es bei Innovation." Der scheidende Airbus-Chef räumt plötzlich freimütig ein, dass er "gemischte Gefühle" habe, wenn er an Innovationen denke. Im Falle von Airbus bedeute dies ja, neue Flugzeuge zu bauen: "Und wenn man das falsch macht, dann kann man die Firma damit erledigen."

Thomas Enders (links im Bild) beerbt Louis Gallois als Vorstandschef bei EADS. (Foto: AFP)

Enders, 53, ehemaliger Bundeswehroffizier mit Spitznamen "Major Tom", ist unbequem, impulsiv, durchsetzungsstark. Dennoch vertrauen ihm Politiker ein Amt an, das bisher vor allem Diplomatie erfordert. Von Freitag dieser Woche an, mit Ablauf der EADS-Hauptversammlung, ist Enders am Ziel seine Karriere: Der Sohn eines Schäfers wird alleiniger Vorstandschef des deutsch-französischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS und damit einer der mächtigsten Unternehmensbosse in Europa.

Alle Beteiligten stellen sich auf turbulente Zeiten ein.

Der Deutsche soll EADS zwölf Jahre nach der Gründung in eine neue Ära führen, soll aus dem von deutsch-französischen Machtkämpfen gequälten Konzern endlich ein normales Unternehmen machen. Ein Insider sagt: "Tom will die nächste Phase starten." Der Chef habe klare Vorstellung von der Zukunft, "und die wird er auch durchsetzen", meint ein Vertreter aus dem Verwaltungsrat. Verbiegen werde er sich nicht. Mehr Effizienz, mehr Gewinn, eine stärkere Integration von EADS mit der wichtigsten Konzerntochter Airbus - darum geht es. Und er macht keinen Hehl daraus, dass vor allem der Staatseinfluss bei EADS künftig deutlich sinken soll.

Die Voraussetzungen, dass der Neue stärker durchgreifen kann als sein zögerlicher Vorgänger, der Franzose Louis Gallois, seien geschaffen, erzählt ein Aufseher. Dazu kommt: Die EADS-Zahlen können sich sehen lassen: volle Auftragsbücher, Umsatz und Gewinn steigen.

Enders, Vater von vier Kindern, lebt mit seiner Familie am Tegernsee. Als Hubschrauberpilot und Fallschirmspringer ist er am liebsten in den bayerischen Voralpen unterwegs: "Man muss nur sehr genau wissen, wo die Strom- und die Seilbahnkabel sind", sagte er einmal zu den Risiken seines Hobbys. Die fürchtet er auch nicht in seinem Job. EADS soll künftig frei agieren wie andere Konzerne auch - ohne öffentliche Anteilseigner, mit möglichst wenig staatlichem Einfluss. Das wird ein Kraftakt mit ungewissem Ausgang.

Wäre es nach dem bisherigen EADS-Management gegangen, wäre der Konzern längst ausschließlich in privater Hand. Aber es geht sogar in die andere Richtung: Voraussichtlich bis zum Jahresende wird die staatliche deutsche Förderbank KfW im Auftrag der Regierung einen Anteil von bis zu 15 Prozent übernehmen.

Derzeit hält der französische Staat 15 Prozent der Aktien, der Medienkonzern Lagardère 7,5 Prozent. Auf deutscher Seite ist die Daimler AG noch mit 15 Prozent beteiligt, 7,5 Prozent sind schon bei einem Bankenkonsortium mit dem schönen Namen Daedalus geparkt. Sowohl Lagardère als auch Daimler wollen sich zurückziehen. Die KfW wird zunächst die Hälfte des Daimler-Paketes kaufen, voraussichtlich auch die bei den Banken geparkten Aktien.

Erfolgsgeschichte EADS: Die Zahl der Mitarbeiter ist seit 2000 von 89.000 auf 133.000 gestiegen. (Foto: dpa)

Im Konzern hoffen viele, dass Deutschland und Frankreich nun überlegen, wie sie ihre Beteiligung im Gleichschritt reduzieren. Offenbar wird sogar diskutiert, dass die beiden Länder ihre EADS-Anteile in einer gemeinsamen Einheit poolen. Das wäre neu, der erste Schritt, die Staatsbeteiligung deutlich zurückzufahren. Enders wird nicht nur mit der Politik viel zu tun haben. Er muss EADS und Airbus einander näher bringen. Zuletzt wurde sogar die Möglichkeit einer vollen Fusion mit der Muttergesellschaft durchgespielt, aber verworfen. Das, so Insider, hätte "die Unternehmen völlig überfordert".

Zwölf Jahre EADS: Das ist eine Erfolgsgeschichte. Die Zahl der Mitarbeiter ist seit 2000 von 89.000 auf 133.000 gestiegen, vor allem im außereuropäischen Ausland, in den USA, in China, in Russland. Aber auch in Deutschland erhöhte sich die Zahl der EADS-Jobs von 39.800 auf 48.400. Der Umsatz verdoppelte sich auf 49 Milliarden Euro. In zwölf Jahren wurden 29 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investiert.

EADS ist in vier Bereichen aktiv: Der Verkehrsflugzeugbauer Airbus liefert sich mit Boeing ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Dazu kommen der Hubschrauberproduzent Eurocopter, das Raumfahrtunternehmen Astrium und die Verteidigungssparte Cassidian.

Zwölf Jahre EADS, das sind bis heute aber auch Intrigen, peinliche Rangeleien, Führungsdiskussionen, Schlammschlachten. "Viele haben sich nicht an die Spielregeln gehalten", heißt es aus dem Konzern. Zu oft ging es in dem Gemeinschaftsunternehmen um "Nationalitäten-Arithmetik". Die Positionen mussten paritätisch mit Franzosen und Deutschen besetzt werden, für jeden Franzosen musste ein Deutscher befördert werden.

Kurz vor Enders endgültiger Nominierung hatten die Franzosen mal wieder versucht, einen Posten mehr für sich durchzudrücken, diesmal ohne Erfolg, aber es gab viel Unruhe. Viele Jahre, bis 2007, wurde der Konzern sogar von einem deutsch-französischen Tandem geführt, das sich gegenseitig behinderte.

Die Geschichte des unmöglichen Konzerns begann in Straßburg, im schmucklosen Hilton in der Avenue Herrenschmidt, nicht weit vom Europäischen Parlament. Am Morgen des 14. Oktober 1999 wurden in München, Berlin, Madrid und London eilig Journalisten zusammen telefoniert und mit Sondermaschinen ins Elsass geflogen. Das Thema der internationalen Pressekonferenz wurde bis zuletzt streng geheim gehalten, einige Gäste, die zu früh eingetroffen waren, machten im Bus noch eine Stadtrundfahrt, das Konferenzzentrum war noch nicht fertig dekoriert.

Es gab Komplikationen, Kanzler Gerhard Schröder musste den damaligen französischen Regierungschef Lionel Jospin noch überreden, andere Termine kurzfristig sausen zu lassen. Am späten Nachmittag dieses Donnerstags war es dann soweit. Aus der Daimler-Tochter Dasa, der französischen Aerospatiale-Matra und der spanischen Casa entstand EADS. Schröder verkündete sichtlich stolz vor unzähligen Kameras: "Das ist ein guter Tag für Frankreich und Deutschland, und ein guter Tag für Europa."

Es war eine Ehe mit Hindernissen. Abgemacht sei eine vollständige Privatisierung gewesen. "Das war das Ziel, darüber wurde gesprochen. Aber ein Papier dazu gab es nie", erinnern sich die Verhandelnden von einst. Das war ein grundlegender Fehler. Der damalige Dasa-Chef Manfred Bischoff, der dann an die Spitze des EADS-Verwaltungsrats rückte, hatte bald den Spitznamen Mr. No, er zog immer dann die Notbremse, "wenn die Sache zu französisch wurde", erzählt ein Weggefährte.

Enders ist von Anfang an dabei, die Geschichte lastet auf ihm, wenn er jetzt ans Werk geht. Einen Vorgeschmack auf seinen künftigen Kurs hat er kurz nach seiner Nominierung gegeben. Auf einer Führungskräftetagung in Madrid verkündete er einfach, künftig EADS von Toulouse aus zu führen. Ein öffentlicher Aufschrei, insbesondere in Deutschland, war die Folge. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer fürchtet um den Standort München, drohte öffentlich. Enders schlug zurück, kritisiert die Politik hart. Die bayerische Landespolitiker hätten sich erst informieren sollen, "bevor sie ihren heiligen Zorn über EADS und mich persönlich ausschütten".

Enders Verhältnis zu Politik ist nicht das Beste. Er startete seine Karriere einst als Bundestagsmitarbeiter, dann im Planungsstab des Bundesverteidigungsministeriums. Später wechselte er zu MBB in München, eine Vorgängerfirma von EADS. Im vergangenen Jahr trat Enders aus der CSU aus, weil die Deutschen sich nicht am Libyen-Einsatz beteiligt hatten. Peter Hintze, einen Vertrauten von Kanzlerin Angela Merkel und Koordinator der Regierung für die Luft- und Raumfahrt, kanzelt er schon mal öffentlich ab. Enders sagte auf einer Betriebsversammlung zu Hintze: "Führen Sie doch das Unternehmen."

Wenn Enders neuer EADS -Chef wird, wechselt auch der Vorsitz im Verwaltungsrat des Konzerns. Bodo Uebber, der smarte Finanzvorstand von Daimler, gibt den Posten ab und wird einfacher Verwaltungsrat. Arnaud Lagadère, 51, der Sohn von EADS-Gründer Jean-Luc Lagadère, übernimmt den Vorsitz. Er gilt als Lebemann, wird von vielen schon jetzt als Fehlbesetzung bezeichnet, führt ein Medienimperium in Frankreich, zu dem unter anderem die Illustrierte Paris Match gehört.

Aufgefallen ist der Unternehmer mit Internetvideos, auf denen er mit seiner künftigen Frau, dem belgischen Model Jade Foret, 21, turtelte - aber nicht mit übergroßem Engagement für EADS. Bei den Verwaltungsratssitzungen fehlte er häufig. "Ihn interessiert nur sein Privatleben", hört man im Konzern. Aber einige Verwaltungsräte warnen davor, ihn zu unterschätzen. Als es jüngst um die Berufung Enders und weitere Personalien ging, habe er "wie eine Eins gegen alle Ansinnen der französischen Regierung" gestanden, heißt es.

Für Enders könnte die Personalie Lagadère gut sein, denn er kann möglicherweise freier agieren. "Er hat künftig die Möglichkeit, die Agenda noch mehr zu gestalten", glaubt ein Insider. Zudem wird wohl auch Uebber, ein Unterstützer von Enders, weiter eine wichtige Rolle im Hintergrund spielen. Zudem sitzen seit etwa fünf Jahren vier unabhängige Mitglieder im Verwaltungsrat, die nicht von den beiden Großaktionären Frankreich oder Daimler bestimmt wurden, darunter der Stahlunternehmer Lakshmi Mittal oder der Noch-Deutsche-Bank-Vorstand Hermann-Josef Lamberti. "Deren Redeanteil ist größer als die Zahl vier vermuten lässt", berichtet einer aus dem Verwaltungsrat.

Frankreich hat Jean-Claude Trichet in das Gremium entsandt. Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, der als unabhängig gilt, könnte mithelfen, das Unternehmen aus dem staatlichen Klammergriff zu befreien, er gilt als möglicher Nachfolger Lagardères an der Verwaltungsratsspize.

Alle Hoffnungen ruhen also auf Enders. Allerdings gibt es eine unbekannte Größe: Der neue Präsident François Hollande. Er hat gezeigt, das er durchaus für Überraschungen gut ist. Enders wird also möglicherweise improvisieren müssen, aber darin ist er ja geübt.

© SZ vom 30.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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