Flugzeugbau:Zurück auf die Langstrecke

Flugzeugbau: Geht es bald wieder richtig los? Zwei Kapitäne im Cockpit des Langstreckenflugzeugs Airbus "A 350".

Geht es bald wieder richtig los? Zwei Kapitäne im Cockpit des Langstreckenflugzeugs Airbus "A 350".

(Foto: Sebastian Gabriel)

Die wirtschaftlichen Indikatoren verheißen eigentlich nichts Gutes. Doch die Flugzeughersteller und -finanziers gehen mittlerweile sogar davon aus, dass die Nachfrage nach Großraumjets schnell zurückkehrt.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es hat sich schon wieder etwas zusammengebraut. Das Flugbenzin ist teuer wie selten, die Inflation macht alles schwieriger, die Zinsen steigen, die Schulden der Fluggesellschaften sind immens, die Gehälter der Mitarbeiter in der Branche steigen weltweit rapide, und gleichzeitig droht in Nordamerika und Europa eine neue Rezession. Die Liste von Faktoren, die die Luftfahrtindustrie in die nächste Krise stürzen könnten, könnte derzeit beinahe beliebig verlängert werden.

In Marrakesch, Marokko, sind in dieser Woche die Mitglieder der International Society of Transport Aircraft Trading (ISTAT) für ihre alljährliche Tagung zusammengekommen, Banker, vor allem aber die Leasingunternehmen, die mittlerweile mehr als 50 Prozent aller Flugzeuge bestellen und dann an die viel finanzschwächeren Fluglinien gewinnbringend vermieten. Die größten Leasingkonzerne verfügen über Flotten von jeweils zwischen 500 und 1000 Flugzeugen, Branchenführer Aercap hat sogar rund 2000 Maschinen im Portfolio. Ihre Kunden sind jeweils viele Dutzend Fluggesellschaften. Die Leasingunternehmen sind daher sowohl extrem wichtig für die Flugzeughersteller Airbus und Boeing, zudem haben ihre Marktprognosen großes Gewicht.

Das Überraschende: Die Flugzeug-Großabnehmer sind trotz allem extrem optimistisch. "Die Stärke der Umsätze kompensiert alles", sagt der neue Avolon-Chef Andy Cronin. Avolon gehört neben Aercap und Air Lease Corporation (ALC) zu den wichtigsten Leasingfirmen. In Europa war selbst in diesem Jahr noch das Ostergeschäft wegen Corona-Reisebeschränkungen ausgefallen. Doch seit die meisten Länder ihre Bürger wieder frei reisen lassen, ist die Nachfrage geradezu explodiert und hat das System Luftverkehr im Sommer vielerorts komplett überfordert - lange Schlangen, Flugausfälle, verlorene Koffer. Doch auch die europäischen Airlines haben zum ersten Mal seit Herbst 2019 wieder Geld verdient - mehr als nötig angesichts des in der Corona-Zeit angehäuften Schuldenberges.

Cronin weist auf einen großen Unterschied zwischen der Corona-Krise und einer möglicherweise nahenden Rezession hin. Corona hat die Airlines mehr als die allermeisten anderen Wirtschaftssektoren getroffen, viele mussten ihre Arbeit über Monate mehr oder weniger vollständig einstellen. Ein Abschwung wäre sozusagen nur eine normale Krise, mit der die Fluglinien und Hersteller über die Jahrzehnte umzugehen gelernt haben. "Das Wachstum wird sich ein wenig abschwächen, aber wir werden nicht umkehren", prognostiziert ALC-Chef Steve Udvar-Hazy.

Die Airlines wollen neue Flugzeuge, aber es gibt Produktionsprobleme

Kurzfristig kann allerdings auch von Abschwächen nicht die Rede sein. "Die Fluggesellschaften wollen Flugzeuge bekommen, so schnell sie können", sagt Cronin. "Ich wünschte, wir hätten mehr Maschinen zu verleasen", sagt auch Firoz Tarapore, Chef von Dubai Aerospace Enterprise.

Dass die Nachfrage nach Kurz- und Mittelstreckenjets wie der Airbus A320neo-Familie stark zurückgekehrt ist, ist spätestens seit Frühjahr 2021 keine Neuigkeit mehr: Damals kündigte Airbus an, die Produktion in den nächsten Jahren von 40 Maschinen im Monat auf 75 zu steigern. Boeing kommt da schon lange nicht mehr hinterher, zumal es die 737 Max nach zwei Abstürzen über praktisch zwei Jahre nicht ausliefern durfte. Doch nun geht es nicht mehr nur um Europa- oder Inlandsstrecken: die Airlines interessieren sich wieder für Langstreckenjets.

Flugzeugbau: Boeing hatte mit dem Modell "737 Max" zuletzt ziemlich viel Ärger.

Boeing hatte mit dem Modell "737 Max" zuletzt ziemlich viel Ärger.

(Foto: Elaine Thompson/AP)

In den meisten Regionen ist mittlerweile auch die Nachfrage nach internationalen Flügen, mithin oft Langstrecken, wieder stark. In Nordamerika ist der Verkehr wieder auf 87 Prozent des Niveaus von 2019, in Europa sind es rund 80 Prozent; auch Afrika, der Nahe Osten und Lateinamerika reichen knapp an diese Zahlen heran. Für den Moment hinkt allerdings Asien mit 35 Prozent noch weit hinterher - vor allem China mit seinen rigiden Reisebeschränkungen und Lockdowns ist dafür verantwortlich.

Gleichzeitig haben die Fluglinien in den vergangenen beiden Jahren große Teile ihrer Langstreckenflotten ausgemustert. British Airways hat mehr als 30 Boeing 747-400 von jetzt auf gleich in die Wüste geschickt. Auch Lufthansa hat vor allem viermotorige Jets wie den Airbus A380 oder A340 und die alternde Boeing 747-400 eingemottet - ein Teil der Maschinen kommt jetzt für einige Jahre zurück, weil der Konzern befürchtet, sonst zu viele Marktanteile zu verlieren. Boeing liefert Großraumjets wie die 787 und die neue 777-9 nur mit mehrjähriger Verspätung.

All das spielt denjenigen in die Karten, die Flugzeuge zu vergeben haben. "In den vergangenen 30, 60 oder 90 Tagen ist enorm Schwung in den Markt gekommen", sagt ALC-Vorstandschef John Plueger. "Aus unserem gesamten Portfolio müssen wir noch weniger als zehn unserer Großraumjets platzieren." Avolon hat überhaupt keine Langstreckenmaschinen zu vergeben. Malaysia Airlines hat gerade die letzten 20 abgenommen.

Flugzeugbau: Wie hier in Hongkong sind besonders in Asien noch viele Flughäfen ziemlich leer.

Wie hier in Hongkong sind besonders in Asien noch viele Flughäfen ziemlich leer.

(Foto: Isaac Lawrence/AFP)

Auch Airbus hat die Trendwende längst mitbekommen, aber ist noch vorsichtig. Die monatliche Produktion der beiden Großraummodelle A330neo und A350 wird in den nächsten Monaten nur von zwei auf drei respektive fünf auf sechs Maschinen wachsen - vorausgesetzt, die auch die Flugbranche plagenden Probleme in der Lieferkette lassen es zu. Bei den kleineren A320neo bekommt Airbus diese bereits voll zu spüren, sehr zum Ärger von Udvar-Hazy, der Verspätungen von "zwei bis vier Monaten" beklagt.

Doch es gibt auch warnende Stimmen. "Der nächste Winter wird für die Airlines brutal", glaubt Adam Pilarski, Chefökonom des Beratungsunternehmens Avitas mit dem Status eines Branchenorakels. Pilarski argumentiert, dass vielen Fluglinien in der verkehrsschwachen Zeit nun doch noch die Pleite drohen könnte. Die Gründe: die Schuldenlast, die explodierenden Kosten, die wegbrechenden Umsätze. Gleichzeitig würden die Staaten "ihren" Airlines nicht mehr mit Rettungsaktionen helfen.

Eine Bernstein-Research-Studie kommt zu einem etwas differenzierteren Ergebnis: in Europa seien vor allem kleine Anbieter in Zentral- und Osteuropa gefährdet, die in hohem Maß mit den Billiganbietern Ryanair und Wizz Air konkurrieren. Die Billig-Airlines selbst stünden finanziell sowieso blendend da, Lufthansa und Air France-KLM könnten sich im Zweifel doch wieder auf den Staat verlassen.

Wie sich das Geschäft 2023 entwickelt, hängt dann doch sehr stark davon ab, ob China nach drei Jahren wieder die Grenzen öffnet, denn dann könnten Airlines, Hersteller und Leasingunternehmen mögliche Rückgänge in Europa und Nordamerika mit vielen Reisenden aus Asien kompensieren. Ob die Rechnung aufgeht, weiß derzeit aber niemand: "Solange China seine Haltung in der Frage nicht geklärt hat, ist das schwer vorherzusagen", sagt Tarapore.

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