Süddeutsche Zeitung

Luftverkehr:Air India bestellt bei Airbus und Boeing fast 470 Flugzeuge

Die Aufträge sollen den Neustart der einst vor sich hin gammelnden staatlichen Fluggesellschaft als privates Unternehmen beschleunigen. Airbus legt sich fest, mehr Komponenten in Indien produzieren zu lassen.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Jahrzehnte lang war Air India der Inbegriff von Misswirtschaft. Die staatliche indische Fluggesellschaft konnte nur dank staatlicher Subventionen weiterfliegen, ein Teil der Flotte vergammelte trotzdem am Boden, weil der Konzern keine Ersatzteile leisten konnte. Der schlechte Service an Bord lieferte Material für unzählige Anekdoten, während Neueinsteiger wie die Billiglinie Indigo aufblühten und mittlerweile den Großteil des indischen Marktes kontrollieren.

Nun soll alles anders werden. Air-India-Muttergesellschaft Tata Group verkündete am Mittwoch zunächst eine Absichtserklärung für den Kauf von 250 Flugzeugen bei Airbus. Der Auftragswert für den europäischen Hersteller ist vertraulich, dürfte aber leicht bei annähernd 20 Milliarden Dollar liegen. Der indische Premierminister Narendra Modi und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron waren der Bekanntgabe online zugeschaltet und gaben dem Ereignis die entsprechende politische Fallhöhe. Auch Boeing darf Air India ausrüsten: Die Fluggesellschaft bestellte 220 Maschinen bei dem amerikanischen Hersteller. Mit insgesamt 470 Flugzeugen ist dies einer der größten Aufträge in der Geschichte der zivilen Luftfahrt, mutmaßlich mit einem Volumen von rund 40 Milliarden Dollar.

Der Air-India-Auftrag ist Airbus zwar sehr willkommen, aber nicht unkompliziert. Die Produktion vor allem bei der A320neo-Baureihe ist eigentlich auch ohne den neuen Vertrag auf viele Jahre ausverkauft, schnellere Expansion ist wegen der Lieferanten nicht denkbar. Andererseits will Air India schnell Flugzeuge bekommen und große Aufträge mit indischen Firmen sind oft mit Gegengeschäften, sogenannten Offsets, verbunden. Airbus-Chef Guillaume Faury kündigte an, indische Lieferanten stärker einzubinden. Auch das in der Regel lukrative Wartungsgeschäft soll dabei eine wichtige Rolle spielen. Zunächst äußerten sich allerdings weder Airbus noch Air India zu den weiteren Details.

Air India ist erst durch die Privatisierung vor einem Jahr in die Lage versetzt worden, solch ein Wachstum zu beginnen - die Fluglinie betreibt derzeit gerade einmal rund 100 Maschinen. Der Mischkonzern Tata hatte die Airline, die er einst in den 30er Jahren gegründet hatte, wieder übernommen. Der indische Luftfahrtmarkt war in den vergangenen 20 Jahren vor allem dank der Billig-Airlines stark gewachsen, nun will sich Air India wieder zurückkämpfen an die Spitze. Und zwar nicht nur auf den Inlandsstrecken, auf denen Indigo derzeit dominiert, sondern auch auf den Langstrecken. Derzeit ziehen Emirates, Etihad und Qatar Airways einen großen Teil des Verkehrs aus Indien über ihre Drehkreuze in Dubai, Abu Dhabi und Doha ab.

Laut Tata-Chef Natarajan Chandrasekaran setzt sich der Airbus-Auftrag aus zwei Komponenten zusammen: Air India kauft demnach 210 Kurz- und Mittelstreckenmaschinen der A320neo-Familie und 40 Großraumjets vom Typ A350. Branchenüblich hat sich die Airline noch zahlreiche Optionen gesichert, bei denen sie zu bestimmten Stichtagen entscheiden muss, ob sie sie in feste Aufträge umwandelt. Der Boeing-Teil des Auftrages sollte zehn respektive 20 Langstreckenjets der Typen 777X und 787 sowie 190 737 MAX umfassen.

Normalerweise bevorzugen die Fluglinien, nur bei einem Hersteller zu bestellen, denn dann sind Schulungs- und Wartungskosten niedriger. Bei mehreren hundert Flugzeugen hingegen ist es sinnvoll, beide einzubeziehen. Denn damit ist Air India nicht von einem allein abhängig und hat bei Folgeaufträgen mehr Druckmittel. Außerdem kann die Fluglinie die Maschinen auf diese Weise viel schneller übernehmen - schließlich sind neue Flugzeuge im Moment angesichts der zum Teil dramatischen Problemen bei den Lieferketten in der Industrie sehr knappe Güter. Airbus liefert derzeit Maschinen mit bis zu einem halben Jahr Verspätung aus, weil einzelne Teile nicht rechtzeitig fertig werden.

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