Air Berlin:Mitarbeiter von Air Berlin fühlen sich erpresst

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Ende vergangener Woche flog der letzte Flieger von Air Berlin. Hunderte Mitarbeiter müssen sich trotzdem weiter bereithalten, obwohl sie keine Arbeit mehr haben. (Foto: Getty Images)
  • Die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin hat Hunderte Mitarbeiter "widerruflich von der Arbeit freigestellt".
  • Die Beschäftigten bekommen so vorerst kein Arbeitslosengeld - und fühlen sich deshalb gedrängt, schlechter bezahlte Jobs etwa bei der Lufthansa-Tochter Eurowings anzunehmen.
  • Das Unternehmen widerspricht und verweist auf laufende Verhandlungen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, und Stephan Radomsky

Die E-Mail aus der Air-Berlin-Personalabteilung kommt nur ein paar Minuten nach Mitternacht am 1. November: "Liebe Kollegin, lieber Kollege", heißt es da in ungewöhnlich warmem Ton. Doch nach dem kumpeligen "Du" ist es schnell vorbei mit den Nettigkeiten: Alle Mitarbeiter, die diese Mail bekommen haben, müssen seitdem nicht mehr zur Arbeit kommen. Sie seien mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die ehemals zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft "zunächst widerruflich von der Arbeit freigestellt". Das werde ihnen demnächst noch per Post bestätigt. Auch diese Briefe sind inzwischen bei den betroffenen Air-Berlinern angekommen, beide Schreiben liegen der Süddeutschen Zeitung vor.

Damit beginnen für Tausende Mitarbeiter, die gerade eine Insolvenz miterleben mussten, neue schwierige Zeiten. Denn die Freistellung auf Widerruf bedeutet für sie, dass sie zwischen allen Stühlen sitzen: Air Berlin, mögliche Käufer, das Arbeitsamt - irgendwie scheint gerade niemand zuständig für sie. Und wer sie bezahlt, bleibt offen. Denn auf dieser Basis können sich die Mitarbeiter nicht arbeitslos melden.

Das Personal vermutet dahinter Kalkül: Die widerrufliche Freistellung sei "ein genialer Schachzug, um uns jetzt schnell zur Eurowings-Bewerbung zu treiben", sagt ein Air-Berlin-Pilot, der seinen Namen aus Sorge um zukünftige Jobchancen nicht in der Zeitung lesen möchte. Denn eigentlich braucht sie das Unternehmen nicht mehr, der Flugbetrieb von Air Berlin ist seit vergangener Woche eingestellt, die Flieger bleiben seitdem am Boden, und die meisten Piloten, Flugbegleiter oder Mechaniker haben nichts mehr zu tun.

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Dass hinter der Freistellung auf Widerruf ein perfider Plan steht, bestreitet Air Berlin - es sei viel einfacher: Weil die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Kabinenpersonal und den Cockpit-Crews noch nicht abgeschlossen seien, habe das Unternehmen diese gar nicht gänzlich freistellen können. Mit den Piloten und Kopiloten sei man dabei auf einem gutem Weg. Und nachdem das Arbeitsgericht Berlin am Donnerstag eine einstweilige Verfügung der Personalvertretung Kabine abgelehnt hat, könnten nun auch hier die Gespräche beginnen. "Wenn die nötigen Vereinbarungen mit dem Gesamtbetriebsrat Boden, der Personalvertretung Cockpit und der Personalvertretung Kabine abgeschlossen sind, folgt - voraussichtlich im Monat November - die Kündigung mit unwiderruflicher Freistellung", heißt es in einer internen Mitteilung von Air Berlin.

Ob die Gespräche so schnell abgeschlossen werden und damit zumindest die Unsicherheit für die Mitarbeiter endet, ist allerdings offen. Dauert die Hängepartie, könnte das den größten Kaufinteressenten der Air-Berlin-Überbleibsel nutzen: Der Lufthansa-Konzern und die Billigfluggesellschaft Easyjet wollen große Teile der Flotte von Air Berlin übernehmen, das dazugehörige Flugpersonal soll sich aber in beiden Fällen auf neu geschaffene Stellen bewerben. Bei Easyjet in Berlin sind dafür derzeit etwa 1000 Jobs ausgeschrieben, bei der Lufthansa-Tochter Eurowings sind es sogar rund 1300 - allerdings für deutlich weniger Gehalt als bisher.

Arbeitsrechtler rät von freiwilliger Kündigung ab

Genau das aber wirft zumindest Fragen auf: Womöglich könnte beispielsweise die Lufthansa darauf zielen, die gesetzlichen Regeln für einen Betriebsübergang zu unterlaufen, sagt Rechtsanwalt Johannes Schipp, der beim Deutschen Anwaltverein auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht ist. "Das Risiko dafür scheint jedenfalls relativ hoch." Bei einem Betriebsübergang müsste die Lufthansa die neuen Mitarbeiter zu den gleichen Bedingungen weiter beschäftigen wie bei ihrem insolventen Alt-Arbeitgeber. Die Lufthansa dagegen argumentiert, dass sie nur einige Flugzeuge aus der Air-Berlin-Flotte kauft und keinen ganzen Unternehmensteil übernimmt.

Welche Version die richtige ist, müsste wohl erst langwierig vor Gericht geklärt werden. "Kündigen die Air-Berlin-Mitarbeiter jetzt aber freiwillig, könnten sie später nicht mehr den Fortbestand ihrer Arbeitsverhältnisse geltend machen und dann keine Ansprüche mehr stellen", erklärt Schipp. Es sei deshalb fraglich, ob sie gut beraten wären, freiwillig zu gehen. Noch besteht ihr alter Vertrag zumindest auf dem Papier weiter - und eigentlich muss Air Berlin sie auch bezahlen.

Air Berlin droht die Pleite in der Pleite

Ob dafür allerdings jemals Geld da sein wird, ist inzwischen höchst fraglich geworden. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Berliner Rechtsanwalt Lucas Flöther jedenfalls hat schon einmal festgestellt, dass Air Berlin "zahlungsunfähig und zugleich überschuldet" sei. Die verfügbaren Mittel reichten abzüglich der Verfahrenskosten voraussichtlich nicht, um die sogenannten Masseverbindlichkeiten - und dazu gehören nun auch die Gehälter der freigestellten Mitarbeiter - zu decken, teilte seine Kanzlei am Mittwoch mit. Air Berlin droht damit, salopp formuliert, die Pleite in der Pleite. Und die Ansprüche der Mitarbeiter hätten dann keinen Vorrang vor anderen Verbindlichkeiten.

Insolvenzverwalter Flöther wollte sich am Donnerstag nicht zu den Schreiben an die Belegschaft äußern, die im Namen des Air-Berlin-Managements verschickt wurden. Nur so viel ließ seine Kanzlei klarstellen: Der Steuerzahler hat in der Air-Berlin-Insolvenz das geringste Risiko. Denn der staatliche Überbrückungskredit über 150 Millionen Euro ist besonders abgesichert. Er wird deshalb zu allererst bedient, sobald Geld in die Kasse kommt. Das allerdings dürfte dann an anderer Stelle fehlen, beispielsweise bei den Gehaltszahlungen der Mitarbeiter.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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