Airline-Pleite:365 Tage nach Air Berlin

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Wartehalle in Hannover: Der Ausfall von Air Berlin führt immer noch zu Verspätungen an Flughäfen. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)
  • Genau ein Jahr ist es her, dass Air Berlin am 15. August 2017 Insolvenz anmeldete.
  • Viele Befürchtungen - etwa die eines Lufthansa-Monopols oder rasant steigenden Ticketpreisen - haben sich seitdem nicht bestätigt.
  • Dennoch sind die Folgen der Air-Berlin-Pleite nicht überwunden, wie sich an den Passagierzahlen zeigt.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Wem schuldet Air Berlin noch Geld? Rund eine Million Gläubiger haben die Nachlassverwalter der Airline mittlerweile identifiziert, darunter sind Lieferanten ebenso wie die Besitzer nicht mehr nutzbarer Tickets. Aber auf welchen Betrag sich deren Ansprüche summieren, ist auch Insolvenzverwalter Lucas Flöther noch ein Rätsel, denn nicht alle Ansprüche sind erfasst. Zugleich hat das Unternehmen selbst noch ausstehende Forderungen, womöglich in Milliardenhöhe, gegen ehemalige Anteilseigner. Auc hier geht es um die Frage: Wer schuldet was? Lucas Flöther glaubt deshalb, dass sich das Insolvenzverfahren noch bis zu zehn Jahre lang hinziehen könnte.

Vor einem Jahr, nach einem dramatischen Wochenende, hat am 15. August 2017 Air Berlin Insolvenz angemeldet. Gut zwei Monate später, am 27. Oktober, fand der letzte Linienflug statt, ein Airbus A320 landete, aus München kommend, in Berlin-Tegel. Die Maschine kam mehr als eine Stunde verspätet an, was angesichts der Umstände durchaus verständlich war. Andererseits passte dies eben zum Chaos, das Air Berlin in den letzten Wochen seiner Existenz erlebt hatte.

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Der Kollaps war das Ende einer Ära, die 40 Jahre dauerte, und die mit Abstand größte Pleite einer europäischen Fluggesellschaft. Geschuldet war sie im Wesentlichen haarsträubenden Managementfehlern und am Ende dem Großaktionär Etihad: Die Airline aus den Emiraten wollte trotz gegenteiliger Versprechungen kein Geld mehr in das zum Scheitern verurteilte Abenteuer stecken. Nach einem Jahr ohne Air Berlin fällt die Bilanz für die meisten Beteiligten gemischt aus. Die von manchem gehegten Befürchtungen, Lufthansa werde hierzulande ein Monopol aufbauen, haben sich nicht erfüllt. Ebenso wenig ist Fliegen insgesamt teurer geworden, ganz im Gegenteil. Die Passagiere zahlen in anderer Form, denn sie sind die Leidtragenden eines Transformationsprozesses, in dem andere Airlines die Air-Berlin-Lücke füllen wollen und sich dabei in der Eile selbst überfordern. Und wenn auch Eurowings und andere Anbieter langfristig davon profitieren werden, dass ein oft irrational handelnder Konkurrent verschwunden ist, so ist der Aufbau in Windeseile doch viel komplizierter, vor allem aber viel teurer, als erhofft. Die meisten Mitarbeiter haben einen neuen Job gefunden, aber die Bezahlung und Arbeitsbedingungen sind oft nicht mehr so kommod wie bei Air Berlin.

Die Passagiere

Nach den neuesten Zahlen des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) haben die Passagiere, was Preise und Angebot angeht, keinen Grund zur Sorge. Selbst im innerdeutschen Verkehr sind die Flugpreise seit Oktober 2017, also dem letzten Monat, in dem Air Berlin als Konkurrent vertreten war, um 1,3 Prozent gesunken. Noch vor Weihnachten gab es einen Aufschrei der Empörung, weil Fliegen für wenige Wochen in Deutschland angesichts des eingebrochenen Angebots und der hohen Nachfrage viel teurer geworden war. Angesichts des Streiks der Ryanair-Piloten und der Auswirkungen des starken Wachstums in den Zielgebieten wird derzeit eher diskutiert, ob Fliegen nicht eigentlich zu billig ist und teurere Tickets nötig wären, um Arbeitnehmer, Umwelt und Nachhaltigkeit zu schützen.

Dennoch: Die Folgen der Air-Berlin-Pleite sind noch nicht überwunden. Der Luftverkehr an den deutschen Flughäfen ist im ersten Halbjahr nur um 2,3 Prozent gewachsen. In Europa insgesamt waren es aber 6,7 Prozent, in Asien 8,2 Prozent und im weltweiten Durchschnitt immerhin noch 6,4 Prozent. Am deutlichsten zu spüren ist der Effekt im innerdeutschen Luftverkehr: Die Zahl der Passagiere ging um 4,9 Prozent zurück. Doch der Trend zeigt längst wieder in die andere Richtung: Für den Oktober 2018 prognostiziert der BDL 7,3 Prozent mehr Kapazität als im Vorjahresmonat, dem letzten, in dem Air Berlin noch halbwegs mitflog.

Die Konkurrenten

Nach der Insolvenz balgten sich zahlreiche Anbieter darum, möglichst viel des ehemaligen Air-Berlin-Geschäfts abzubekommen. Lufthansa-Tochter Eurowings sollte erst zwei Air-Berlin-Ableger (LGW und Niki) übernehmen, machte aber wegen des Widerstandes der Europäischen Kommission bei Niki später einen Rückzieher, was deren Insolvenz und zwischenzeitliches Grounding zur Folge hatte. Nach zahlreichen Wirrungen hat Eurowings auf dem einen oder anderen Wege rund die Hälfte der ehemaligen Air-Berlin-Flotte übernommen und damit einen wesentlichen Mangel beseitigen können - die bisher schwache Position am wichtigen Flughafen Düsseldorf. Andere Teile von Air Berlin haben Easyjet und Ryanair übernommen. Easyjet will bis zum Herbst die ehemalige Air-Berlin-Basis in Tegel mitsamt innerdeutschem Streckennetz weitgehend wiederhergestellt haben. Ryanair ist dabei, die Mehrheit an Niki-Nachfolger Laudamotion zu übernehmen. Zuletzt hat Gründer Niki Lauda angekündigt, sich aus dem Unternehmen sogar ganz zurückzuziehen. Der schnelle Aufbau kommt die Unternehmen extrem teuer: Eurowings machte im ersten Halbjahr, vor allem wegen der Anlaufkosten, einen Verlust von fast 200 Millionen Euro. Laudamotion wird laut Ryanair 2018 bis zu 150 Millionen Euro verlieren. Unter dem Strich ist der Marktanteil der deutschen Fluggesellschaften an den hiesigen Flughäfen weiter auf 56,7 Prozent zurückgegangen. Vor einem Jahr waren es noch 59,7 Prozent, vor sechs Jahren 66,1 Prozent.

Die Mitarbeiter

Laut Insolvenzverwalter Flöther hat die weit überwiegende Mehrheit der rund 8000 ehemaligen Air-Berlin-Mitarbeiter einen neuen Arbeitsplatz gefunden, viele allerdings offenbar zu schlechteren Bedingungen. Die Gewerkschaft Verdi spricht von bis zu 40 Prozent weniger, die Flugbegleiter nun bei Eurowings verdienen. Auch Piloten mussten in der Regel Einbußen hinnehmen, wenn auch nicht in ähnlicher Größenordnung. Die genauen Zahlen sind weiterhin umstritten. Für den fairen Übergang loben Arbeitnehmervertreter vor allem Easyjet.

© SZ vom 14.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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