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Agrar:Brodeln bei den Bauern gegen Agrarpolitik

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Berlin (dpa) - Neue Umweltvorgaben, strengere Düngeregeln - und im Supermarkt Billigpreise für Fleisch, Wurst und Milch? Unter den Bauern in Deutschland brodelt es.

Schon seit einigen Wochen formieren sich bundesweit Proteste gegen die Agrarpolitik in Berlin und gegen immer mehr Forderungen und Ansprüche, die bei vielen Landwirten nur noch als "negative Stimmungsmache" gegen ihren Berufsstand ankommen. An diesem Dienstag wollen erneut Tausende Bauern mit Traktoren in die Hauptstadt fahren und ihrem Unmut Luft machen. Am Brandenburger Tor will sich Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) den Demonstranten stellen. Die Politik schaltet mehr auf "Kümmermodus" für die Dörfer.

Zu der Kundgebung in Berlin werden rund 10.000 Teilnehmer erwartet, 2000 Fahrzeuge sollen per Sternfahrt anrollen. Mitte November gab es schon Proteste bei der Umweltministerkonferenz in Hamburg, im Oktober fuhren Bauern in mehrere Städte, allein 6000 nach Bonn. Aufgerufen zum Protest hat die Initiative "Land schafft Verbindung", in der sich Zehntausende Landwirte zusammengeschlossen haben. Auch Landes- und Kreisbauernverbände seien beteiligt und unterstützten die Aktionen, hieß es beim Deutschen Bauernverband. Generalsekretär Bernhard Krüsken sagte zu der Kundgebung in Berlin: "Die Demo wird zeigen, dass es einen Neustart im gesellschaftlichen Dialog geben muss."

Die Politik will das aufnehmen. "Noch nie war unsere Landwirtschaft so stark unter Druck, wie sie es heute ist", sagte Klöckner am Samstag beim CDU-Parteitag in Leipzig. Viele Bürger machten sich aber keine Gedanken, was ihre Erwartungen an die Branche an Mehrkosten bedeuteten. "Landwirte sind als allererstes Nahrungsmittelproduzenten und nicht Landschaftsgärtner." Sie kündigte fürs neue Jahr bundesweit Dialog-Veranstaltungen auch mit Umweltschützern und Verbrauchern an, um Gesellschaft und Landwirtschaft "wieder zusammenzubringen". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will das Gespräch suchen und Verbände zu einer Art "Agrargipfel" einladen. Erwartet wird, dass er am 2. Dezember stattfindet. Themen gibt es einige:

AGRARPAKET: Akuten Ärger haben Pläne ausgelöst, die das Kabinett Anfang September auf den Weg gebracht hat. Unter anderem zum Schutz von Insekten soll der Einsatz von Unkraut- und Schädlingsgiften stark eingeschränkt werden. Für Verbraucher soll ein neues Logo kommen, das Schweinefleisch aus besserer Tierhaltung kennzeichnet - wenn Bauern freiwillig mitmachen. Aus den wichtigen EU-Agrarzahlungen an die Höfe wird mehr Geld für Umweltmaßnahmen reserviert. "Das Agrarpaket gefährdet landwirtschaftliche Betriebe", warnen die Demo-Initiatoren. Auch Bauernpräsident Joachim Rukwied wetterte schon mit Blick auf den Insektenschutz, statt auf Kooperation werde auf Auflagen gesetzt.

DÜNGEREGELN: Zum besseren Schutz des Grundwassers sollen die Bauern das Düngen unter anderem mit Gülle weiter einschränken. Denn Brüssel hatte Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte verklagt und 2018 beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Recht bekommen. Was die Bauern wurmt: Erst 2017 geänderte Vorgaben sollen nun schon wieder verschärft werden, sonst könnten Deutschland am Ende hohe EU-Strafzahlungen blühen. Damit drohe "Unterdüngung" von Pflanzen, fürchten Landwirte.

ROLLE DER VERBRAUCHER: Klöckner hebt in der Diskussion ausdrücklich die Einflussmöglichkeiten der Verbraucher hervor, um zu mehr Umwelt- und Tierschutz zu kommen. Man müsse sich beim Einkauf bewusst machen, dass jedes ausgewählte Produkt eine Bestellung auslöse, argumentiert die Ministerin. "Wer Bio auf den Feldern will, muss Bio kaufen." Dies gelte auch für mehr Tierwohl. Mehrkosten durch Stall-Umbauten müssten Bauern honoriert werden, indem höhere Preise bei ihnen ankommen. Viele Landwirte sehen da Lockangebote in Supermärkten mit Sorge.

POLITISCHES STREITFELD: Die Proteste der Landwirte rücken auch im Bundestag auf die Agenda. In einer Debatte schoss sich die Opposition kürzlich auf den Unionsteil der Koalition ein. Jahrelang seien nötige Anpassungen im Natur- und Tierschutz "aufgeschoben und weggedeutelt" worden, sagte Grünen-Agrarpolitiker Friedrich Ostendorff der dpa. Die unerledigten Aufgaben hätten sich "zu einer großen Welle aufgetürmt, von der die Bauern sich jetzt überrollt fühlen." Linke-Expertin Kirsten Tackmann sagte, die Landwirte seien "Verlierer eines absurden Systems", das auf billige Rohstofflieferungen für den Weltagrarmarkt ausgerichtet sei. Gero Hocker (FDP) verwies auf schon hohe Standards. Wenn die Branche mit weiteren Auflagen überzogen werde, die ihr die Existenzgrundlage nähmen, gingen Landwirte zu Recht auf die Straße.

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