Agitu Ideo Gudeta:Käse von bedrohten Ziegen

fluchtunternehmer

Agitu Ideo Gudeta.

(Foto: OH)

Am Gardasee betreibt die Äthiopierin seltene Landwirtschaft. Sie bewahrt eine Ziegenrasse vor dem Aussterben und hat ihren eigenen Laden.

Von Ulrike Sauer, Rom

Sie steht mitten auf der Piazza des Piemont-Städtchens Bra - und strahlt. In den Händen hält Agitu Ideo Gudeta eine ungewöhnliche Auszeichnung. Das in Italien gegründete Slow-Food-Netzwerk hat der 37-Jährigen soeben den "Käse-Widerstands-Preis" verliehen. Es klingt ein wenig verrückt: Gewürdigt wird an diesem Herbsttag eine Äthiopierin für ihren Kampf gegen das Aussterben der Bergziege Mochena in den Dolomiten.

Die Geschichte von Agitu als Viehwirtin und Käsemacherin in Valle San Felice begann vor sechs Jahren. Sie war allein aus ihrer Heimat nach Italien geflohen. Äthiopien verließ sie nicht, weil es ihr keine Zukunft bot. Agitufloh, weil sie das Engagement für ihr Land mit der Freiheit bezahlen sollte. Sie hatte seit Jahren die Bauern in der Region Mojo, 70 Kilometer von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt, beim Widerstand gegen den Landraub ausländischer Konzerne und gegen die brutalen Enteignungskampagnen der eigenen Regierung unterstützt. Dann kam ein Haftbefehl und zwang sie zur Flucht.

Dass die mutige Frau nach Italien ging, lag nahe. Sie hatte früher mit einem Stipendium in Trient Soziologie studiert, am südlichen Fuß der Alpen. Den Hochschulabschluss in der Tasche kehrte sie nach Äthiopien zurück und arbeitete in Projekten zur Förderung nachhaltiger Landwirtschaft. Bis ihr das Gefängnis drohte.

Die Afrikanerin zog es erneut nach Trient, in die Berge. Es erging ihr nun wie den meisten Flüchtlingen. Ohne finanzielle Hilfe musste sie ein neues Leben beginnen. Das Strahlen weicht aus ihrem Gesicht, wenn sie von den Anfängen ihrer unternehmerischen Tätigkeit erzählt. "Ich hatte große Angst. Italien steckte tief in der Krise, und ich stand mit leeren Händen da", erzählt sie. Die Äthiopierin fühlte sich großem Druck ausgesetzt. "Du musst es einfach schaffen, um jeden Preis. Und mit all deinen Kräften", sagt sie heute.

Agitu beschloss schließlich, sich selbst eine Existenz aufzubauen - und gleichzeitig die einst in den Trientiner Alpen heimische Ziegenrasse Mochena vor dem Aussterben zu retten. "Die Rasse eignete sich gut für meine Vorstellung von Viehzucht", sagt sie. Die Mochena-Ziege ist robust, genügsam und wenig krankheitsanfällig. Sie kann ganzjährig im Freien gehalten werden. Dafür gibt die Ziege wenig Milch, was ihr zum Verhängnis wurde. Heute gibt es nur noch wenige Exemplare.

Agitu legte mit 15 Tieren los. Im sonnigen Gresta-Tal oberhalb des Gardasees stellte ihr die Gemeinde Valle San Felice Bergweiden zur Verfügung. Im Gegenzug verrichten die Ziegen Landschaftsschutz. Die Äthiopierin nennt ihren Betrieb "La Capra Felice", die glückliche Ziege, was mehr als ein Name ist, es ist ihr Programm. Die Herde ist mittlerweile auf 70 Tiere angewachsen und beschert ihr viel Arbeit.

Agitu steht morgens um vier Uhr auf und geht raus zu den Ziegen. Sie melkt mit der Hand, was etwa zwei Stunden dauert. "Anderthalb Liter am Tag pro Ziege sind ein guter Ertrag", sagt sie. Wenn sie die Tiere hoch auf die Weiden gebracht hat, fährt sie die Milch in 25-Liter-Kübeln im grünen Panda ins Dorf hinunter. Dort hat sie in einem alten Haus ihre moderne Käsewerkstatt mit kleinem Laden eingerichtet. In der unterirdischen Grotte reifen die Laibe. Sie macht sich dann an die Käseherstellung. Am Nachmittag kümmert sie sich um die Reifung, um fünf Uhr geht es raus zur zweiten Melk-Runde. Den Abend verbringt Agitu mit viel Papierkram. "Mein Leben ist anstrengend, aber ich mag es sehr", sagt sie. Dass sie es meistert, verdanke sie ihrer Leidenschaft und dem Stolz auf das bisher Erreichte.

"La Capra Felice" hebt sich mit 20 traditionellen Trientiner Sorten stark vom Käseangebot der Industrie ab. Aus der Rohmilch der Bergziegen entstehen unter Zusatz von pflanzlichem Lab Weich- und Hartkäse, cremige und würzige, frische und gereifte, fein aromatisierte und pikante. Die Kunden sind private Einkaufsgemeinschaften und die Gastronomie. "Im nächsten Jahr verkaufe ich auch online", sagt Agitu. Viele Urlauber, die ihren Bio-Käse gekostet haben, fragen inzwischen bei ihr an.

Wie weit sie es gebracht hat, wurde der Ziegenhirtin bewusst, als sie in diesem Jahr ihren Nebenjob in der Dorfbar an den Nagel hängen konnte. "Ich genieße heute den Lohn meiner Arbeit."

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