Agenda 2017:So können wir das Steuersystem vereinfachen

Agenda 2017: Baustelle Steuersystem: Was muss die künftige Regierung in den kommenden vier Jahren angehen?

Baustelle Steuersystem: Was muss die künftige Regierung in den kommenden vier Jahren angehen?

(Foto: imago Stock&People)

Her mit der Axt! Das verflixte Steuersystem ist viel zu kompliziert, sagen viele. Dieser Eindruck muss nicht stimmen - und kann doch fatale Konsequenzen haben. Was sich in Sachen Steuern ändern muss, haben wir im Projekt "Agenda 2017" diskutiert und analysiert.

Von Bastian Brinkmann

Es ist paradox. Eigentlich geht es in jeder Steuerdiskussion um langweiligen Kram. Es geht um irgendwelche Prozentregeln für irgendwelche Zahlungen, es geht um Klassen und Kosten, um progressive Tarife und degressive Abschreibungen. Furchtbar und furchtbar komplex.

Und doch hat fast jeder etwas zum Thema Steuern zu sagen. Denn letztendlich ist praktisch jeder Bürger ein Steuerzahler, und sei es nur über die Mehrwertsteuer. Und jeder Bürger kommt in den Genuss von staatlichen Leistungen, die von seinen Steuern gezahlt wurden - schon wenn man morgens auf die Straße geht, die mit Steuerzahlergeld gepflastert ist. Und dann fährt man durch ein Schlagloch, ärgert sich - und ist mitten in einer Steuerdebatte, ob die Ausgaben auch dort ankommen, wo sie hinmüssen.

Recherche

Nach der Bundestagswahl haben wir das Projekt Agenda 2017 gestartet. Dieser Text ist Teil einer Reihe von Beiträgen, die den Abschluss dieser Sonderausgabe von Die Recherche bilden. Alles zur Agenda 2017 finden Sie hier, alles zum Format Die Recherche hier.

Dass Steuerdebatten emotional sind, zeigte sich auch in der Live-Diskussion zum Thema im Oktober auf Süddeutsche.de im Rahmen unseres Projekts Die Recherche. Viele Leser wollten eine Reform des Steuersystems auf der Agenda 2017 sehen.

Zu komplex? Vereinfachen! Nur wie?

Zunächst eine Bestandsaufnahme: Was läuft schief? Das Steuersystem wird von vielen Bürgern als kompliziert wahrgenommen. Es gebe zu viele Ausnahmen für zu viele Interessengruppen, hieß es. Weil diese sich über die Jahre angesammelt haben, sind im System unlogische Umwuchten entstanden.

Also vereinfachen. Oft wurde unter den Lesern und Diskutanten die Forderung laut, Abschreibungsmöglichkeiten, Freibeträge und Ähnliches komplett abzuschaffen. Eine solche Reform würde fast jeden treffen und viele gefühlte Verlierer produzieren - selbst wenn damit Freiräume entstehen, um Steuersätze zu senken. Selbst wenn nominal das Steueraufkommen für den Staat gleich bleibt, würde eine solche Reform Milliarden hin- und herschieben.

Steueraufkommen

Steueraufkommen in der Infografik - zum Vergrößern klicken.

(Foto: sde)

Die Gefahr, alle möglichen Interessengruppen gegen sich aufzubringen, wäre groß. Damit ist dieses Eisen wohl stets zu heiß für Politiker, die in vier Jahren wiedergewählt werden wollen.

Dazu ein Linktipp aus dem Archiv: SZ-Kollege Claus Hulverscheidt hat in einem Essay aufgeschrieben, warum das Steuersystem nie einfach und gerecht sein wird. Er schlägt deswegen als politisch durchsetzbare Lösung vor, alle Subventionen um zehn Prozent zu kürzen. Das sei zwar auch keine endgültige Lösung, aber politisch eher durchsetzbar.

Ein weiteres Problem bliebe bestehen: Weniger Ausnahmen, das heißt nicht nur, weniger Partikularinteressen zu bedienen. Es bedeutet außerdem weniger Einzelfallgerechtigkeit. Diesen Preis wollen offenbar viele zahlen, zumindest ein großes Stück weit.

Vorbild Taiwan und Schweden?

Vereinfachung bedeutet auch, die Zahl der Einkommensarten - also beispielsweise Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen oder aus der Rente - zu reduzieren. Nach Angaben von Fachleuten hat der Bundesfinanzhof bereits in Hunderten Fällen versucht abzugrenzen, wann ein Selbständiger noch selbständig ist und ab wann ein Gewerbetreibender. Die Grenze ist selbst für Kenner schwer zu ziehen. Zuletzt hatte eine Expertengruppe der liberalen Stiftung Marktwirtschaft namens Kommission Steuergesetzbuch in einem Reformvorschlag angeregt, die aktuell sieben Einkunftsarten zu vier zusammenzufassen.

Vorbilder gibt es auch im Ausland: In Ländern wie Schweden oder Taiwan beispielsweise tauschen Banken und Finanzamt automatisch Daten aus, der Bürger muss nur noch zustimmen oder kann alternativ eine eigene Steuererklärung machen. Dies wäre für die Verwaltung einfacher und für den Steuerzahler bequemer. Die Vorteile werden allerdings mit mehr Datenzugriffen für den Staat erkauft, was für manche Bürger eine rote Linie bedeuten würde - zumal aktuell vor dem Hintergrund der NSA-Affäre.

Ab wann bin ich Spitzenverdiener?

Agenda 2017: Die Infografik erklärt die Progression - zum Vergrößern klicken.

Die Infografik erklärt die Progression - zum Vergrößern klicken.

(Foto: SZ-Grafik: Ilona Burgarth)

Kritik gab es in der Diskussionsrunde auch am progressiven Steuertarif. Im deutschen Steuerrecht zahlen bereits Verdiener ab 52.881 Euro Jahresgehalt den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Dies wird vielfach als zu früh bemängelt. Im internationalen Vergleich steigt der Satz in der Tat recht schnell. Die SPD fordert aber nicht, die Steuern für den Mittelstand zu senken; stattdessen sollen Reiche mehr zahlen. Die Union dagegen setzte sich im Wahlprogramm dafür ein, den Mittelstand zu entlasten.

Kalte Progression abschaffen

Vor allem die kalte Progression wollen CDU und CSU angehen. Sie sorgt dafür, dass ein Arbeitnehmer nach einer Lohnerhöhung weniger Geld zur Verfügung hat als vorher. Der Staat nimmt dadurch Milliarden zusätzlich ein - auf Kosten der Arbeitnehmer. Denn zunächst verschlingt bereits die Inflation einen Teil der Lohnerhöhung. Liegt die Preissteigerung etwa bei zwei Prozent, bleibt von einem Einkommenszuschlag von drei Prozent real nur noch ein Prozent übrig. Dazu kommt dann, dass das Steuersystem progressiv ist. Wer mehr verdient, zahlt höhere Steuern. Somit steht nach manchen Lohnerhöhungen real ein Minus.

Steuerrechtler schlagen deswegen vor, die Bemessungsgrenzen automatisch an die Inflation zu koppeln. Das wäre fair - würde allerdings das Steuersystem noch etwas komplizierter machen, weil sich die Grenzen jedes Jahr ändern würden. Für Computer wäre das kein Problem. Ein Viertel der Deutschen hat jedoch Probleme, das Konzept "Inflation" zu verstehen.

Am Ende ist das Steuersystem nicht für Computer gemacht. Sondern für Menschen. Sie müssen zumindest das Gefühl haben, die Grundzüge des Spiels zu verstehen. Sie sollten sehen, dass es sich auszahlt, Steuern zu zahlen. Dann machen sie das vielleicht sogar gerne.

Recherche

Dieser Artikel bildet den Abschluss des Themenstrangs "Steuern" unserer Agenda 2017. Angesichts der Vielzahl von Ideen, die Leser via Mail, Facebook, Twitter oder in der Online-Debatte vorgeschlagen haben, konnten wir nicht alle in diesem Text aufgreifen. Er soll ohnehin eine Anregung zum Weiterdiskutieren sein: Debattieren Sie in den Kommentaren, via Twitter oder in unserer Facebook-Gruppe oder mailen Sie uns. Wer sich noch weiter in das Thema einlesen will, findet hier eine Materialsammlung zur Steuerpolitik.

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