Süddeutsche Zeitung

Fleischpreise:Afrikanische Schweinepest breitet sich in China aus

  • Mindestens eine Million Schweine mussten in den vergangenen Monaten in China vorsorglich getötet werden.
  • Jedes zweite Schwein weltweit wird in China gehalten. Der Ausbruch könnte Folgen für die Fleischmärkte weltweit haben.
  • In Europa sind bisher hauptsächlich Wildschweine betroffen, doch die Krankheit rückt immer weiter nach Westen vor. In Deutschland ist bereits der Schlachtpreis gestiegen.

Von Markus Balser, Berlin, Lea Deuber, Peking, und Max Hägler

143 Kilometer Niemandsland liegen zwischen Kirgisistan und der Passkontrolle im westchinesischen Kreis Wuqia Xian (Ulugqat). Dort kündigt ein Schild die Grenze als "das westlichste Tor" nach China an. Im Eingangsbereich stapeln sich Kisten mit Broschüren. Reisehinweise für Touristen mussten den Informationen über die Afrikanische Schweinepest weichen. Seit April gibt es Fälle in der Provinz. Landesweit rüsten die chinesischen Behörden gegen die hochinfektiöse Krankheit auf. Mindestens eine Million Schweine mussten in den vergangenen Monaten in China gekeult werden.

Für China entwickelt sich die Tierseuche, die sich seit 2006 aus Georgien nach Europa und Asien ausbreitet, zu einem ernst zu nehmenden Problem. Während in den europäischen Staaten bisher überwiegend Wildschweine erkranken, sind in China Nutztiere betroffen. Jedes zweite Schwein weltweit wird in China gehalten. 55 Millionen Tonnen Schweinefleisch produziert das Land pro Jahr. Bekommen die Chinesen den Ausbruch nicht in den Griff, könnte das Folgen für die Fleischmärkte weltweit haben.

Anfang August 2018 hatte das Landwirtschaftsministerium in Peking die erste Erkrankung gemeldet. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) veröffentlicht seitdem jede Woche eine aktualisierte Karte. Seit Monaten kommen immer neue Meldungen hinzu. Im April wurde ein Ausbruch auf der südchinesischen Insel Hainan gemeldet. Damit gibt es nun Fälle in allen Provinzen. Auch die Nachbarländer Mongolei, Vietnam und Kambodscha sind betroffen. Für Menschen ist die Krankheit ungefährlich. Erkrankte Tiere leiden hingegen erheblich und sterben in aller Regel qualvoll nach hohem Fieber. Einmal in der Gegend, wird man die Seuche kaum noch los, da es im Vergleich zur herkömmlichen Schweinepest keine Impfungen gibt.

Verbreitet werden die Viren neben einer Übertragung durch bestimmte Zeckenarten, die allerdings in Nordeuropa nicht vorkommen, über Kontakte zwischen infizierten Tieren und deren Ausscheidungen. Der Erreger bleibt über längere Zeit infektiös. Eine wichtigere Rolle spielen Lebensmittel, die von infizierten Tieren stammen wurden: In Schinken kann das Virus monatelang ansteckend bleiben, warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung. Seit Monaten schon lässt das deutsche Bundeslandwirtschaftsministerium deshalb in Ostdeutschland Handzettel an Reisende mit der Bitte verteilen, keine Essensreste wegzuwerfen. Über die, aber auch über Schuhe oder Autoreifen könnte der Erreger übertragen werden.

Die chinesische Regierung gab vor einigen Wochen zunächst Entwarnung. Man habe den Ausbruch "wirksam unter Kontrolle gebracht". Doch der Zweifel an dieser Darstellung ist groß. Auf der Seite der FAO erreichten die Meldungen im Oktober ein Hoch, um dann bis Januar zurückzugehen. Seitdem steigt die Zahl der gemeldeten Fälle wieder. Chinesische Staatsmedien dürfen inzwischen aber nur noch eingeschränkt über neue Fälle berichten. Journalisten werden an der Recherche gehindert. Behörden wollen anscheinend eine Panik vermeiden. Die Gefahr von Pandemien ist in China sehr viel präsenter als in Deutschland. Viele Menschen erinnern sich noch an den Ausbruch der Atemwegserkrankung Sars vor 15 Jahren.

In Osteuropa machen bereits Scharfschützen der Polizei Jagd auf Wildschweine

"Inoffizielle Berichte deuten auf einen weit größeren Verlust an Tieren hin", als bisher bekannt sei, bestätigt auch das amerikanische Landwirtschaftsministerium in einem Bericht. Dort geht man für 2019 von einem Produktionseinbruch von bis zu fünf Prozent aus. 13 Prozent des chinesischen Schweinebestands könnten durch die Krise vernichtet werden. Die Krise treibt in Deutschland bereits den Schlachtpreis in die Höhe. Allein im März kletterte er durch die steigende Nachfrage aus China um über 20 Prozent. Für mittelständische fleischverarbeitende Betriebe könnte das zu einem Problem werden, wenn sie den gestiegenen Einkaufspreis durch längerfristige Verträge mit dem Einzelhandel nicht an die Verbraucher weitergeben können, warnt die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands.

China versucht, mit schärferen Vorschriften die Ausbreitung einzudämmen. Der Transport von Tieren ist strikt kontrolliert, Märkte mit lebenden Tieren wurden größtenteils geschlossen. Die Behörden drohen mit schweren Strafen, wer gegen die fünf Schweinepest-Regeln verstößt: Nicht verstecken, nicht verkaufen, nicht schlachten, nicht illegal entsorgen, keine Fütterung von tierischen Abfällen. In 63 Prozent der Fälle soll laut dem chinesischen Agrarministerium illegal Tiermehl verfüttert worden sein, das nicht sterilisiert war. Das hatte bereits 2001 zur Maul- und Klauenseuche geführt. Eine weitere Untersuchung ergab, dass die Transportfahrzeuge nicht ausreichend desinfiziert wurden und Arbeiter sich nicht an die Hygienevorschriften gehalten hatten.

Hierzulande blickt man mit Sorge auf die Entwicklung. Seit mehr als zehn Jahren trete der Erreger auch in Europa in Erscheinung, sagt Gerhard Kuhn, Tierarzt und Tierseuchenbeauftragter im Landwirtschaftsministerium von Baden-Württemberg. Noch hat man Glück gehabt. Abgesehen von Kleinsthaltungen in Osteuropa sind laut Kuhn bisher hauptsächlich Wildschweine betroffen. Um dort eine weitere Ausbreitung zu verhindern, mussten auch in Osteuropa bereits Tausende Schweine notgeschlachtet werden. Scharfschützen der Polizei machen dort mittlerweile Jagd auf Wildschweine. In den Ländern wurden Sperrzonen mit langen Elektrozäunen errichtet.

Doch die Tierseuche ist nicht mehr weit von der deutschen Grenze entfernt. In Polen verzeichnen die Behörden, dass die Krankheit weiter nach Westen vorrückt. Mecklenburg-Vorpommern hat bereits einen rund 50 Kilometer langen Elektrozaun angeschafft, um im Ernstfall gerüstet zu sein. Auch in Tschechien wurde der Erreger nachgewiesen. Und von Westen her droht ebenfalls Ungemach: Im September wurden kranke Wildschweine in Belgien entdeckt, 60 Kilometer entfernt von der deutschen Grenze. Die Nutztiere auf den Höfen selbst können wiederum eigentlich recht gut geschützt werden: durch die konsequente Einhaltung des Verfütterungsverbots für Speiseabfälle und gute "Biosicherheitsmaßnahmen", wie Tierarzt Kuhn erklärt. Ein Überspringen von China nach Europa sei bei Beachtung der Maßnahmen so gut wie ausgeschlossen.

Doch die Vorsorge ist teuer und zeitaufwendig, und die Frage ist deshalb, ob alle das zu jeder Zeit einhalten: Die Maßnahmen reichen vom Duschen vor und nach Kontakt mit Schweinen über Desinfektionsmatten bis hin zu Einmalkitteln für Stallbesucher. Sollten Schweine draußen gehalten werden, dürfen sie nicht mit Wildschweinen in Berührung kommen. Für hiesige Bauern wäre ein Ausbruch eine Katastrophe. Erkrankt ein Tier, dürfen für sechs Wochen und in einem Umkreis von zehn Kilometern um einen betroffenen Hof keine Schweine mehr in die Schweinebestände oder aus den Beständen gebracht werden.

Die möglichen Schäden für die deutsche Landwirtschaft bezifferte der Deutsche Bauernverband bereits auf zwei Milliarden Euro pro Jahr. Rechne man die Kosten für die Seuchenbekämpfung und die gesamte Nahrungsmittelbranche hinzu, lande man schnell in "zweistelliger Milliardenhöhe". Staatliche Entschädigungen durch den Staat und die Tierseuchenkasse erhält dabei nur der Betrieb, in dem die Seuche ausgebrochen ist, nicht jedoch ein anderer Stall im Quarantänegebiet. Bei etwa 150 Euro pro Mastschwein ist das eine schmerzhafte Summe. Auch deshalb seien die wirtschaftlichen Auswirkungen der Afrikanischen Schweinepest im Vergleich zur Vogelgrippe "ungleich schwerwiegender", sagt Tierseuchenbeauftragte Kuhn.

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SZ vom 03.05.2019/vwu/cat
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