Afrika:Ungleiche Nachbarn

Lesezeit: 3 min

Europa sollte sich für Afrikas Firmen öffnen, heißt es. Dabei sind längst Hürden gefallen. Viele Staaten würden bereits von Zollfreiheit profitieren, hört man in Berlin - aber eben nicht alle.

Von Michael Bauchmüller und Kristiana Ludwig, Berlin

Was eine echte Schere ist, lässt sich aus den Afrika-Statistiken trefflich herauslesen. 2016, so errechnete Europas Statistikbehörde Eurostat, beherbergte der Nachbarkontinent zwar 16,8 Prozent der Weltbevölkerung - erwirtschaftete aber nur 3,3 Prozent des weltweiten Sozialprodukts. Bis 2050 könne ein Viertel der Weltbevölkerung in Afrika leben, rechnet Eurostat vor. Um gleich eine Frage nachzuschieben: "Ist Afrika der schlafende Riese der Weltwirtschaft?"

Die Frage treibt auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) um. In einem Interview mit der Welt drängt er vor allem auf eine Öffnung europäischer Märkte für afrikanische Produkte. "Öffnet die Märkte für alle afrikanischen Güter", verlangt Müller darin. Aber sind die wirklich so verschlossen?

Die Europäische Kommission sieht das anders. "Die EU ist der offenste Markt für afrikanische Güter", heißt es in Brüssel. "Die meisten afrikanischen Länder genießen komplett freien Zugang zum EU-Markt." Tatsächlich haben die Europäer mittlerweile vier Handelsabkommen mit afrikanischen Regionen geschlossen, die alle Zölle und Quoten abschafften. Für die am wenigsten entwickelten Staaten trat 2001 die Initiative "Alles außer Waffen" in Kraft. Auch damit sanken die Zölle auf Null - für alle Produkte mit Ausnahme von Waffen. Vor allem Staaten südlich der Sahara profitierten davon: Sie haben bislang einen leichteren Zugang zum europäischen Markt als etwa Staaten Lateinamerikas; und das gerade auch bei landwirtschaftlichen Produkten.

Mittlerweile geht mehr als ein Drittel der afrikanischen Exporte in die EU - und damit fast doppelt so viel, wie innerhalb Afrikas zwischen den Staaten gehandelt wird. Europa ist der größte Handelspartner Afrikas - allerdings machen die Hälfte aller Einfuhren von dort Rohstoffe aus; nimmt man Agrargüter hinzu, sind es fast drei Viertel. Zwar sank der Wert dieser Einfuhren zuletzt, das allerdings vor allem wegen gesunkener Rohstoffpreise. Das erklärt auch, warum die Handelsbilanz zwischen EU und Afrika sich mittlerweile gedreht hat: Importierten die Europäer bis 2014 mehr als sie exportierten, ist es mittlerweile umgekehrt. Und innerhalb der EU exportiert keiner so viel auf den Nachbarkontinent wie die Deutschen. "Das Interesse der Unternehmen hat spürbar zugenommen", heißt es beim Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. Das wiederum liegt auch daran, dass der Bund zuletzt für eine Reihe von afrikanischen Staaten die Bedingungen für Exportkreditgarantien erleichtert hat. So soll das Afrika-Geschäft attraktiver werden, auch für den Mittelstand.

Denn Müller will mehr deutsche Unternehmen nach Afrika bringen. "Made in Germany hat in Afrika einen guten Ruf", sagt er. "Bislang engagieren sich aber nur 1000 von 3,5 Millionen Unternehmen." Firmen aus China, Russland oder der Türkei seien da deutlich aktiver.

Auch ein Entwicklungsinvestitionsgesetz schwebt dem Minister dafür vor, Firmen könnten Investitionen in Afrika dann auch steuerlich geltend machen. So gesehen sind seine Forderungen in Sachen Handel die andere Seite der Medaille. Wenn deutsche Firmen den afrikanischen Markt erobern, soll das umgekehrt auch möglich sein. Bloß gibt es da eben für die meisten Länder Afrikas nicht mehr allzu viel zu senken. Nur noch drei Staaten fallen unter das Allgemeine Präferenzsystem, das Zollsenkungen nur für zwei Drittel der Produkte vorsieht: Neben den Kapverden sind das Nigeria und Kongo-Brazzaville.

Auf Nachfrage gibt das Entwicklungsministerium zu, dass es kaum noch Zölle gibt

Auf Nachfrage räumt auch das Ministerium ein, dass viele Staaten schon jetzt von Zollfreiheit profitieren - aber eben nicht alle. So zählten die nordafrikanischen Länder mit ihrem vergleichsweise hohem Handelsvolumen nicht zu den ärmsten Ländern - und genießen auch nicht die Privilegien der "Alles-außer-Waffen"-Initiative. Zwar gebe es hier Assoziationsabkommen mit der EU, die wiederum Industriegüter von Zöllen befreien, inklusive 80 Prozent der Agrargüter. Für die wichtigsten Agrar- und Fischereierzeugnisse allerdings gelten "auch weiterhin Quoten und saisonale Exportrestriktionen", sagt eine Sprecherin. In anderen Fällen scheitere der Import afrikanischer Güter an europäischen Qualitätsstandards - ebenfalls ein beliebtes Handelshemmnis.

Entwicklungsexperten haben ohnehin ihre Zweifel, ob es mit mehr Handel allein getan ist. "Man muss die Menschen und die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen", verlangt Frank Bressel von Oxfam. "Handel kann helfen. Aber er ist nicht per se das Erfolgsrezept.

Kommentar

© SZ vom 09.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: