Süddeutsche Zeitung

Affäre um Richter:Tatort Osnabrück

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Ein Richter als Strohmann und verdeckter Spieler in einem riesigen Monopoly? Bei einem Millionengeschacher um lukrative Immobilien in Osnabrück spielt ein Amtsrichter eine undurchsichtige Rolle. Der Staatsanwalt ermittelt.

Von Uwe Ritzer, Osnabrück

Der Neumarkt in Osnabrück ist das, was man gemeinhin einen Schandfleck nennt: ein Platz, der im Straßenverkehr ertrinkt, mit heruntergekommenen Häusern und einer unterirdischen Einkaufspassage, die vor 40 Jahren als chic galt, seit Langem aber geschlossen vor sich hin gammelt. Neuerdings graben Bagger und Bauleute das Areal um. Der Neumarkt soll "deutlich aufgewertet werden", sagt Stadtbaurat Frank Otte. Private und öffentliche Investoren nehmen dafür bis zu 240 Millionen Euro in die Hand.

Der Neumarkt bildet aber auch die Kulisse für ein trickreiches Monopoly-Spiel, bei dem ein Amtsrichter eine ebenso ungewöhnliche wie undurchsichtige Rolle spielt. Hartmut W., 62, betreibt seit Jahren neben seinem Richteramt noch Millionengeschäfte mit Immobilien. Woher das Geld dafür kommt ist unklar. Er selbst machte dazu auf Anfrage keine Angaben. Zur Begründung verwies sein Anwalt auf ein Ermittlungsverfahren, das die Osnabrücker Staatsanwaltschaft gegen W. führt. Sie prüft den Vorwurf, dass der Richter einen Geschäftspartner getäuscht und versucht hat, ihn zum Betrug anzustiften.

Zudem steht der Jurist im Verdacht, als Strohmann die Kreise eines der wichtigsten Planer am Neumarkt gestört zu haben. Und es steht die Frage im Raum, ob Richter W. sein Insiderwissen aus dem Amtsgericht womöglich jahrelang für private Geschäfte genutzt hat.

Osnabrücker Textiladel

Der Fall ist beispiellos, die Justiz in Niedersachsen ist alarmiert. Neben den strafrechtlichen Ermittlungen wurde ein Disziplinarverfahren gegen Hartmut W. eingeleitet. Das Präsidium des Osnabrücker Amtsgerichtes hat ihn intern versetzt. Seine Vorgesetzten sagen, sie hätten von seinen Nebengeschäften nichts gewusst.

Den Stein ins Rollen gebracht hat Theodor Bergmann. Er stammt aus einer alten Osnabrücker Kaufmannsfamilie, die einst am Neumarkt ein Textilhaus betrieb. Bergmann ist Immobilienunternehmer und seit 20 Jahren die treibende Kraft für einen grundlegenden Umbau des Neumarktes. Im Sommer machte der Stadtrat den Weg frei. Mit einem Partner will Bergmann dort selbst ein Einkaufszentrum hochziehen.

Auch sein Gegenspieler stammt aus altem Osnabrücker Textiladel: Mark Rauschen, Inhaber von Lengermann und Trieschmann (L+T), mit mehr als 20 000 Quadratmetern Verkaufsfläche eines der größten inhabergeführten Modehäuser hierzulande. Er bekämpft Bergmanns Neumarkt-Pläne seit Langem und gründete sogar eine Bürgerinitiative dagegen. Rauschen befürchtet Konkurrenz "weil es in Osnabrück schon zwei Einkaufszentren gibt." Eines davon gehört ihm.

"Aus heiterem Himmel und mit absurden Gründen"

Zwischendurch gelang Rauschen ein Coup. Er kaufte drei Häuser am Neumarkt. Sperrgrundstücke, mit denen er Bergmanns Pläne nicht stoppen, aber behindern und verzögern konnte. Der Kauf fiel in eine Zeit, in der Bergmann mit ganz anderen Problemen kämpfte. "Aus heiterem Himmel und mit absurden Gründen", wie er sagt, stellte die Landesbank Baden-Württemberg 2012 einen Insolvenzantrag gegen Firmen Bergmanns. Der vermutet einflussreiche Seilschaften am Werk.

Just in dieser Zeit erschien Amtsrichter Hartmut W. auf der Bildfläche. In der Vergangenheit hatte er mehrmals größere Immobiliengeschäfte in Osnabrück getätigt. Am 4. Juli 2013 kaufte er Bergmann zwei Wohn- und Geschäftshäuser unweit des Neumarktes am Nikolaiort ab. Sie gingen für 3,4 Millionen Euro an die S&W Immobilienbesitz GmbH mit Sitz in Westerkappeln, eine Firma des Richters.

Der Kaufpreis ist bis heute nicht bezahlt. Seit einer Anzahlung von 404 000 Euro Ende September 2013 floss kein Geld mehr. Man habe versucht, so seinen finanziellen Engpass zu verschärfen und damit auch seine Neumarkt-Pläne zu behindern, glaubt Bergmann. "Herr W. hat mich vertröstet und hingehalten", sagt er. "Ich habe seinem Leumund als Richter vertraut." Das Vertrauen wurde erschüttert, als der Unternehmer zwei Anrufe des Richters auf seiner Mailbox abhörte. Er habe Probleme bei der Finanzierung, hatte Hartmut W. mitgeteilt. Allerdings sei eine Versicherung bereit, ihm 2,5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, vorausgesetzt Bergmann bescheinige ihm, statt 404 000 Euro bereits 900 000 Euro als Anzahlung erhalten zu haben.

"Das war der Versuch eines Richters, mich zum Betrug zu veranlassen", sagt Bergmann. Er vermutet, die Bescheinigung sollte allein dem Zweck dienen, die "Versicherung über nicht vorhandenes Eigenkapital zu täuschen und den Kredit ausbezahlen zu lassen." Bergmann lehnte ab.

Inzwischen waren ihm neue Zweifel an der Seriosität des Geschäftspartners in der Richterrobe gekommen. Wieder ging es um ein Immobiliengeschäft am Nikolaiort. Hartmut W. wollte dort ein weiteres Haus von Bergmann erwerben und legte ein notarielles Kaufangebot über zwölf Millionen Euro vor. Wenig später erfuhr Bergmann, wer tatsächlich hinter jener Firma Zweite S&W steht, die als Käuferin auftreten sollte: Sein Rivale Rauschen und ein Partner. Mit den Häusern hätte L+T seinen bestehenden Standort deutlich erweitern können. Bergmann ließ den Deal platzen.

Ein Richter als Strohmann und verdeckter Spieler bei einem riesigen Monopoly?

Hartmut W. mag dazu nichts sagen. Vonseiten L+T wird behauptet, Richter W. habe das Geschäftshaus vorab L+T zum Kauf angeboten. Um doppelte Grunderwerbssteuer zu sparen habe man eine Treuhänder-Konstruktion über die Zweite S&W gewählt. Aber Strohmann? Mitnichten.

Osnabrück, der Schauplatz des Monopolys, mag unscheinbar wirken, ist aber ein attraktives Pflaster. Knapp 160 000 Einwohner, im Einzugsgebiet leben etwa 700 000 Menschen. Viele reiche Unternehmerdynastien leben hier: Der C&A-Clan Brenninkmeijer, die Leysieffers oder die Tortenbäcker von Coppenrath&Wiese sind nur einige davon. Die selbst ernannte "Friedensstadt" ist ein Großdorf; man ist bestens vernetzt, speist im "La Vie", dem Drei-Sterne-Restaurant des Unternehmers Jürgen Großmann. Christian Wulff ist in Osnabrück groß geworden, ebenso sein Kreditgeber Egon Geerkens. Und natürlich die Rauschens und ihre L+T.

Wo jeder jeden kennt, müsste es erfahrungsgemäß auffallen, wie munter Richter Hartmut W. am lokalen Immobilienmarkt mitmischt und mit welchen Methoden. Seine Vorgesetzten geben sich jedoch ahnungslos. Sie hätten nichts gewusst, bis die Neue Osnabrücker Zeitung im Frühjahr über den "Stoff für eine Räuberpistole" schrieb. Daraufhin wurde der Richter, der bis dahin mit Wohnungseigentumssachen befasst war, in die Abteilung für Betreuungsfälle versetzt. Es sei "nicht bekannt", ob er "Insiderwissen gehabt oder genutzt" habe, so der Sprecher des Gerichts. Genau diesen Vorwurf erhebt Manfred Stein.

Einige Jahre hat der Architekt für den Richter gearbeitet. "In mindestens einem Fall", so Stein zur SZ, habe W. "Informationen aus dem Grundbuchamt des Amtsgerichtes für seine Immobiliengeschäfte verwendet." Auch dazu sagt W. nichts.

Zweifel daran, dass seine Nebengeschäfte justizintern unbekannt waren, nährt auch ein anderer Vorgang. 2006 und 2007 war W.s Geschäftsgebaren das Thema von Zivilprozessen am Landgericht Osnabrück und am OLG Oldenburg. Sie konnten Insidern kaum verborgen geblieben sein. Dabei stritten sich Stein und Richter W. um Architektenhonorare, und es kam ein pikantes Detail ans Tageslicht.

Richter W. musste einräumen, zwei Quittungen Steins über Abschlagszahlungen im Nachhinein verändert und einem anderen Bauobjekt zugeordnet zu haben. Fälschung oder Irrtum?

Stein erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. "Sie blieb zwei Jahre liegen", erinnert er sich. Nach seiner Dienstaufsichtsbeschwerde seien die Ermittlungen eingestellt worden "mit der Begründung, Herr W. habe sich nur geirrt und nicht gewusst, dass er die Quittungen nicht nachträglich verändern durfte".

Theodor Bergmann glaubt: "Ich sollte von einem fragwürdigen Beziehungsgeflecht mit allen Mitteln ausgebremst werden, um das Projekt am Neumarkt zu verhindern." Er verweist auf eine andere, merkwürdige Konstruktion. Weil der Richter die 3,4 Millionen Euro für Bergmanns Immobilie nicht vollständig bezahlt hat, steht sie unter Zwangsverwaltung. Das Amtsgericht hat einen örtlichen Rechtsanwalt als Zwangsverwalter eingesetzt. Der ist zugleich Prokurist in einer Firma, die ihrerseits ein Geschäftshaus in der Stadt errichtet. Mithin also ein direkter Konkurrent von Theodor Bergmann.

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Quelle:
SZ vom 23.12.2014
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