Affäre um Beeinflussung von Betriebsräten:Siemens-Protokoll belastet Pierer

Der scheidende Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer soll 1997 von dem Verdacht gewusst haben, dass Siemens mit heimlichen Zahlungen eine Gegenorganisation zur IG Metall unterstützt und damit die Ergebnisse von Betriebs- und Aufsichtsratswahlen beeinflusst hat.

Klaus Ott und Uwe Ritzer

Dies legt das Protokoll einer Sitzung des Aufsichtsrates vom 10. Dezember 1997 nahe. Dem zufolge wurde Pierer und seine Vorstandskollegen damals im Kontrollgremium von der IG Metall vorgehalten, solche Zahlungen zu leisten. Pierer hatte in der Nacht zum Freitag seinen Rücktritt als Aufsichtsratschef angekündigt.

Initiative ging vom Vorstand aus

Nach neuen Erkenntnissen aus einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat Siemens von 1991 an verdeckt 50 Millionen Euro investiert, um die arbeitgeberfreundliche Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) als Gegenorganisation zur IG Metall aufzubauen. Die Initiative zum Ausbau der AUB ging den Ermittlungen zufolge 1988 direkt vom Siemens-Vorstand aus.

Aus Unterlagen des früheren AUB-Vorsitzenden Wilhelm Schelsky, die die Ermittler sicherstellten, geht hervor, dass zwei Mitglieder des Siemens-Vorstandes 1988 gemeinsam mit dem damaligen Aufsichtsratschef überlegten, wie die Zusammensetzung des Aufsichtsrates verändert werden könnte.

Die Siemens-Spitze störte sich demnach daran, dass fast alle Arbeitnehmervertreter in dem Gremium der IG Metall angehörten. So sei die Idee entstanden, Schelsky, damals leitender Siemens-Angestellter, die AUB aufbauen zu lassen.

Beratungsfirma gegründet

Zwei Jahre später schied Schelsky bei Siemens aus und gründete eine Beratungsfirma. Er erhielt ein Rückkehrrecht und eine Pensionszusage. Über seine Firma rechnete Schelsky, der derzeit in Untersuchungshaft sitzt, bis Ende 2006 Leistungen mit Siemens ab, die er jedoch nach Erkenntnissen der Ermittler großteils nicht erbrachte.

Die 50 Millionen Euro, die Schelsky bis dahin erhalten haben soll, soll er diesen Erkenntnissen zufolge weitestgehend in die AUB gesteckt haben. Pierer teilte der Süddeutschen Zeitung am Freitag mit, ihm seien ,,die Vereinbarungen'' zwischen Siemens und Schelsky "nicht bekannt" gewesen.

Die SZ hatte Pierer sowie den Konzern Donnerstagfrüh mit dem Aufsichtsratsprotokoll von 1997 und den neuen Erkenntnissen der Ermittler konfrontiert und um Stellungnahme gebeten. Bei Siemens gab es daraufhin Beratungen mit Pierer; der Konzern erklärte, er könne die erbetene Auskunft erst am Freitag erteilen.

Um kurz vor 23 Uhr am Donnerstag kündigte Pierer dann seinen Rückzug an. Am Freitag teilte Siemens mit, der Konzern könne "zu den angesprochenen Sachverhalten keine Stellung beziehen". Zwischen den Fragen der SZ zur Rolle Pierers in der AUB-Affäre und dessen Rücktritt gebe es jedoch keinen Zusammenhang. Aus Konzernkreisen hieß es, über einen Rückzug Pierers sei bereits seit vergangenem Wochenende diskutiert worden.

Kein Zusammenhang

Zum Nachfolger Pierers an der Spitze des Kontrollgremiums soll nächsten Mittwoch Gerhard Cromme gewählt werden, der auch den Aufsichtsrat von ThyssenKrupp leitet.

Pierer selbst schrieb in einem Brief an die Mitarbeiter: "Eine persönliche Verantwortlichkeit mit Blick auf die laufenden Ermittlungen war nicht Grundlage meiner Entscheidung."

IG-Metall-Vize Berthold Huber nannte den Rückzug Pierers "überfällig und richtig". An der Börse legten Siemens-Aktien am Freitag mehr als vier Prozent zu. Kanzlerin Angela Merkel sagte, Pierer solle Chef des Innovationsrates der Bundesregierung bleiben.

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