Affäre bei EnBW:Deutsche Atomdeals mit Russland-Connection

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Geheime Treffen und ein Hilferuf aus Moskau: Die Affäre um dubiose Ost-Geschäfte des Atomkonzerns EnBW weitet sich aus. Nicht nur der Karlsruher Energie-Multi soll mit dem umstrittenen russischen Lobbyisten Andrej Bykow zusammengearbeitet haben. Die Verzahnung mit der deutschen Atomwirtschaft geht viel weiter als bislang bekannt.

Markus Balser und Uwe Ritzer

Die Teilnehmer waren bedeutend, das Treffen war geheim, der Anlass brisant. Kein Geringerer als Waleri Bogomolow, damaliger Generalsekretär der Regierungspartei Einiges Russland des Präsidenten Wladimir Putin, hatte um den vertraulichen Termin mit deutschen Atommanagern gebeten. Im Berliner Büro des Energieversorgers EnBW kam Putins Mann zur Sache: In Russland, so seine Botschaft, gebe es so viele nukleare Hinterlassenschaften aus zivilen und militärischen Beständen, dass diese vom Staat kaum noch kontrollierbar seien. Es drohe der Welt Gefahr.

Die russische Atombranche, mit der die Deutschen eng kooperierten, war offenbar außer Kontrolle geraten und brauchte dringend Hilfe. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Während deutsche Energiemanager nach dem angekündigten Atomausstieg in der Öffentlichkeit wieder massiv für die angeblich in jeder Hinsicht sichere Kernkraft warben, nannte der Putin-Vertraute Bogomolow an jenem 3. Juli 2004 beunruhigende Zahlen: In Russland gäbe es mehr als 200 nukleare Reaktoren, 2000 Lager für radioaktive Abfälle und Materialien sowie 5200 große nukleare Quellen. Die russische Regierung könne deren Schutz kaum noch gewährleisten.

Was aber noch weitaus schlimmer sei: Binnen eines Jahres seien die Unregelmäßigkeiten in der russischen Nuklearindustrie um 47 Prozent gestiegen, die Zahl der Störfälle beim Betrieb von Kraftwerken und Brennstofffertigungseinrichtungen gar um 84 Prozent. Anders gesagt: Die russische Atombranche, mit der die Deutschen eng kooperierten, war offenbar außer Kontrolle geraten und brauchte dringend Hilfe. Die Lage sei "in mehrfacher Hinsicht besorgniserregend".

Schockwellen für Politiker und Umweltschützer

So steht es in einer Besprechungsnotiz über das Treffen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Sie wirft ein neues Licht auf die Wirtschaftsbeziehungen und das Energiegeschäft. Vieles hätte sich so kaum jemand vorstellen können.

Der Hilferuf aus Moskau kommt durch eine Affäre ans Licht, die sich seit Monaten durch einen ganzen Konzern frisst: die Enthüllungen um dubiose Millionenzahlungen und eine mysteriöse Russland-Connection beim Energieriesen EnBW. Das Treffen in Berlin ist ein weiterer Hinweis darauf, dass der Empfänger der EnBW-Millionen, der umstrittene russische Lobbyist Andrej Bykow, weitaus enger mit der deutschen Atomwirtschaft verzahnt ist, als bislang bekannt. Bei dem Geheimtreffen saß er neben führenden deutschen Atommanagern am Tisch. Bykow sei immer wieder eingeschaltet worden, wenn es um Beziehungen nach Russland ging, sagt ein Insider. Es ging eben nicht nur um EnBW.

Eine Erkenntnis, die so viel Brisanz birgt wie die Atomanalyse von Bogomolow. Und schon die liest sich so schonungslos, dass sie bei Politikern und Umweltschützern auch im Nachhinein Schockwellen auslösen könnte. Die Großmacht Russland fürchtet um die Sicherheit ihres Nuklearbestandes - wie hätte die internationale Öffentlichkeit reagiert, hätte sie schon 2004 vom Berliner Geheimtreffen erfahren?

Erkenntnisse mit zu hoher Brisanz

Doch alle vier großen deutschen Energiekonzerne, die der Bericht über die desaströsen Zustände erreichte, hielten dicht. RWE und EnBW nahmen an dem Berliner Treffen teil, Eon und Vattenfall gingen offenbar die Protokolle zu. Doch statt Alarm zu schlagen, stempelten sie den Vermerk "Streng vertraulich" auf die Besprechungsnotiz und ließen sie in Aktenschränken verschwinden.

Eon teilt auf Anfrage mit, man könne ein etwaiges Protokoll nicht finden. Vattenfall nahm bis Redaktionsschluss keine Stellung. Nur RWE bestätigt das Treffen: Es sei "um Fragen der Zusammenarbeit im Kernbrennstoffkreislauf" gegangen.

Offenbar war den Beteiligten klar, was man in den Händen hielt: eine Nachricht mit viel zu großer Strahlkraft, um sie frei zu lagern. Denn die Branche machte sich gerade daran, den von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Atomausstieg zu kippen. Schlagzeilen über mangelnde Atomsicherheit hätten die Bemühungen um eine Laufzeitverlängerung schlagartig torpediert.

Das Treffen in Berlin löst im Nachhinein auch gehörige Zweifel daran aus, ob es in allen Teilen der deutschen Atom- und Energiebranche tatsächlich immer um integere Aktivitäten und Sicherheit als höchstes Gebot ging - wie in der Öffentlichkeit stets behauptet wurde. Zumal über den mutmaßlichen Drahtzieher vieler deutsch-russischer Geschäfte im Energiebereich immer neue Details ans Licht kommen: über den Ex-Diplomaten und angeblichen KGB-Agenten Bykow. Vertrauliche Unterlagen belegen, dass er auffallend oft mit am Tisch saß, wenn es um große Atomgeschäfte ging.

Die Freude in Russlands Atomministerium über die Deals zwischen EnBW und Bykows Firma Eurepa war groß. Vize-Atomminister Valentin Iwanow hatte persönlich im September 2001 einen Dankesbrief nach Karlsruhe geschickt (Foto: dpa)

Etwa im Jahr 2001. EnBW, Deutschlands drittgrößter Energiekonzern mit 17 Milliarden Euro Umsatz und 20.000 Beschäftigten, wollte damals nach SZ-Informationen im großen Stil an russische Brennelemente aus Beständen des Atomministeriums in Moskau kommen. Doch der Konzern fragte nicht etwa direkt in der Hauptstadt an, sondern beauftragte die Schweizer Mini-Firma Eurepa von Andrej Bykow mit Sitz im Steuerparadies Zug damit, zwei gigantische Geschäfte einzufädeln.

Bykows Firma sollte in Russland Brennelemente im Gesamtwert von 380 Millionen Euro besorgen. EnBW bestätigte auf Anfrage die Existenz der entsprechenden Lieferverträge. Bislang hat EnBW das Volumen der Zusammenarbeit mit Bykow auf 280 Millionen Euro beziffert. Tatsächlich wurden über ihn wohl Geschäfte über mehr als 400 Millionen Euro eingefädelt.

Würden internationale Atomkontrollbehörden mitspielen?

Für den Karlsruher Energie-Multi wird der Fall Bykow damit immer brisanter. Zahlreiche Verträge belegen, dass Bykows Firmen eine viel wichtigere Rolle für EnBW gespielt haben, als bislang bekannt. Selbst intern wunderten sich Mitarbeiter 2001 über die gigantischen Ausmaße der Kooperation: Das hohe Beschaffungsvolumen aus russischen Quellen sei eine deutliche Abkehr der bisherigen Strategie, warnten Prüfer. Es seien "35 Prozent der gesamten EnBW-Stromversorgung von einem Brennstofflieferanten abhängig", steht in ihrem Bericht.

Offen sei, ob internationale Atomkontrollbehörden da mitspielen würden. EnBW schloss dennoch mit Bykow ab. Nur knapp drei Seiten lang ist der Vertrag über einen 170 Millionen-Euro-Deal zwischen der EnBW-Kraftwerkstochter KWG und Eurepa. Selbst Gebrauchtwagenkäufer bauen mehr Klauseln zur eigenen Sicherheit ein als der Energieriese bei einem Atomgeschäft.

Alles koscher? Selbst Rechtsberater von EnBW hatten da so ihre Zweifel. Die Verträge liefen noch, der Konzern hatte längst 34 Millionen Euro Vorauszahlung geleistet, da warfen Juristen einer beauftragten Kanzlei in einer Expertise im März 2005 bohrende Fragen auf. Man könne nicht erkennen, ob es bei den Zahlungen an Eurepa letztlich vielleicht um verdeckte Zahlungen an Entscheidungsträger bei Minatom ging - dem russischen Atomministerium. Im Klartext: Im Raum stand der Verdacht der Bestechung russischer Amtsträger.

Wem also klagte Russlands Spitzenpolitiker Bogomolow da in Berlin sein Leid über die Zustände im eigenen Land? Saßen womöglich Akteure mit am Tisch, die daran einen eigenen Anteil hatten? EnBW weist jeden Verdacht zurück: "Sämtliche abgeschlossenen Verträge waren rechtmäßig." Die beiden Verträge über Brennstofflieferungen seien erfüllt, beziehungsweise einvernehmlich beendet worden. Alles völlig in Ordnung?

Persönlicher Dankesbrief aus Russlands Atomministerium

Daran hatten bei EnBW selbst hauseigene Prüfer ihre Zweifel. Zumal der Aufsichtsrat der Tochterfirma EnKK, der Geschäfte ab 2,5 Millionen Euro hätte absegnen müssen, eine kritische Prüfung der Verträge beim Abschluss wohl nicht hat vornehmen können. Offenbar bekam er die Kontrakte nicht mal zu sehen. "Eine förmliche Zustimmung des EnKK-Aufsichtsrats zum Liefervertrag ist nicht ersichtlich", notieren die verdutzten Prüfer 2009. Bykows Anwalt äußert sich nicht zu den neuen Informationen.

Die Freude in Russlands Atomministerium über die Deals zwischen EnBW und Bykows Firma Eurepa war groß. Vize-Atomminister Valentin Iwanow hatte persönlich im September 2001 einen Dankesbrief nach Karlsruhe geschickt: Die Entscheidung, die Eurepa mit der Interessenvertretung gegenüber dem Ministerium zu beauftragen, sei genau richtig und könne "zu einer Festigung unserer Zusammenarbeit führen". Sogleich deutete die Behörde an, dass dies "zu einer Steigerung des Handelsumsatzes in den nächsten zwei bis drei Jahren mit EnBW um das 2,5-fache und den Unternehmen des Ministeriums der Russischen Föderation für Atomenergie führen" könnte.

Ein Ministerium sagt Danke. Eines, dem Dubioses nicht fremd war. Ex-Atomminister Jewgeni Adamow wurde im Mai 2005 in der Schweiz verhaftet und 2008 in Russland in anderer Sache verurteilt. Wegen Untreue und Amtsmissbrauch.

© SZ vom 17.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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