Süddeutsche Zeitung

Populismus:Viele Gewerkschafter wählen die AfD

  • Als die Bayern ihren Landtag wählten, stimmten - wie schon bei der Bundestagswahl - überproportional viele Gewerkschafter für die AfD.
  • Experten sagen: Da braut sich etwas zusammen.

Von Uwe Ritzer

Sie haben alles versucht. "Klare Kante zeigen", hieß die Strategie der bayerischen Gewerkschaften gegen die AfD. Ihre Leute schwärmten in Betrieben aus, um Kollegen zu überzeugen, alle paar Tage veröffentlichte der DGB immer eindringlichere Positionspapiere, am Nürnberger Gewerkschaftshaus spannte er über mehrere Stockwerke ein Transparent: "Unsere Alternative heißt Respekt und Solidarität".

Als die Bayern dann ihren Landtag wählten, stimmten trotzdem 14,5 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für die AfD. Unter allen Wählern kam die Partei dagegen nur auf 10,2 Prozent der Stimmen. Schon bei der Bundestagswahl 2017 hatten überproportional viele Gewerkschafter AfD gewählt. Und zuletzt, bei der Landtagswahl in Hessen, votierte jedes fünfte männliche Gewerkschaftsmitglied für die AfD.

In Reihen der Arbeitnehmervertreter löst dieses Ergebnis Irritation und Unbehagen aus. Er sorge sich "um den sozialen Frieden nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Betrieben", sagt ein namhafter IG Metaller. Von Hause aus ist der DGB samt seiner Einzelgewerkschaften parteipolitisch neutral, Nähe zu SPD oder Linken hin oder her.

"Ein rechtsextremes Potenzial in Gewerkschaften gab es schon immer"

Dass in Bayern stets deutlich mehr Gewerkschafter CSU als SPD wählten, erschütterte daher im DGB-Verbund niemanden. Mit der AfD findet jedoch an der Gewerkschaftsbasis erstmals eine Partei nennenswerte Unterstützung, die den "zutiefst gewerkschaftlichen Grundwerten von Solidarität, Mitbestimmung und Demokratie widerspricht", wie DGB-Vizechefin Annelie Buntenbach sagt. "Die AfD ist demokratisch gewählt, stellt sich aber mit ihren Positionen und Forderungen außerhalb des demokratischen Spektrums". Deshalb demonstrieren Gewerkschafter landauf landab in vorderster Front mit, wenn es gegen die AfD und rechtes Gedankengut geht. Auch deshalb lud DGB-Chef Reiner Hoffmann die AfD nicht ein, als er mit Bundestagsabgeordneten über die Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt diskutierte. Und als sich umgekehrt vor Kurzem in Baden-Württemberg Vorstände der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit AfD-Landtagsabgeordneten trafen, tobte hernach GdP-Bundeschef Oliver Malchow.

"Ein rechtsextremes Potenzial in Gewerkschaften gab es schon immer, das hat sich auch nicht nennenswert verändert", sagt Wolfgang Schroeder, Politologe und Professor an der Universität Kassel, der selbst lange in Diensten der IG Metall stand. Neu sei aber, dass Rechtspopulisten die Wortwahl von Linkspopulisten übernähmen und "ein gewerkschaftliches Establishment als korrupt und abgehoben darstellen". Es sei "ganz so, als würden sie Klassenkampf für die deutschen Arbeiter führen."

Es braut sich etwas zusammen. "Die gesellschaftliche Enttabuisierung von Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie schwappt in die Betriebe und wird von außen gesteuert und orchestriert", warnt Schroeder. Dabei scheint die Affinität eines erheblichen Teils der Gewerkschaftsmitglieder zur AfD verwunderlich - hat ihnen die einst als Sammelbecken für Neoliberale und Euro-Gegner gegründete Partei bis heute doch inhaltlich so gut wie nichts zu bieten. Wer die jüngsten Wahlprogramme der AfD liest, findet nur wenige, argumentativ kaum unterfütterte, plakative Forderungen, etwa nach höherem Mindestlohn und einer Begrenzung der Leiharbeit. Das AfD-Programm zur bayerischen Landtagswahl umfasste 99 Seiten; zur Sozialpolitik standen dort ganze 49 Zeilen. Strategien, um die Digitalisierung arbeitnehmerfreundlich zu gestalten? "Ich wüsste keine", gab Parteichef Alexander Gauland im ZDF zu.

Wenn es um Sozial- oder Arbeitnehmerpolitik geht, bietet die Partei ein diffuses Bild - oder ist tief gespalten. Nirgendwo wird dies deutlicher als beim Thema Altersvorsorge. Während eine Gruppe am Umlagesystem festhalten will und Rechtsextreme am liebsten nur noch Rente an Deutsche zahlen möchten, propagieren Neoliberale um AfD-Chef Jörg Meuthen die rein private, für durchschnittliche Arbeitnehmer unbezahlbare Altersvorsorge. Wieder andere fordern eine rein steuerfinanzierte Rente, was den Staat einen dreistelligen Milliardenbetrag pro Jahr kosten würde.

Nächstes Jahr will die AfD versuchen, einen Konsens zu finden. Ebenfalls 2019 werde man eine AfD-Gewerkschaft gründen, eine Art Anti-DGB, sagt zumindest Guido Reil. Der Bergmann aus Essen ist nach Jahrzehnten in Gewerkschaft und SPD eine Art Vorzeige-Arbeiter der AfD. "Wir werden immer mehr", sagt er. Doch wie bei der Rente, gibt es intern mehrere Arbeitnehmerflügel, die sich zum Teil diametral widersprechen. "Die Zusammenführung und Professionalisierung ist extrem schwierig", räumt Reil ein, "dafür brauchen Sie seriöse und teamfähige Menschen". Extremisten wolle er auch nicht dabei haben. All das dürfte ziemlich schwierig werden.

Politologe Schroeder nimmt die Ankündigung deshalb auch "nicht wirklich ernst". Die Arbeitnehmerflügel der AfD seien "sehr klein, außerordentlich schwach und kaum in der Lage, sich innerparteilich Gehör zu verschaffen". Bestes Beispiel sei Guido Reil selbst: "Er wird instrumentalisiert als vermeintlicher Arbeiterführer. In Wirklichkeit lässt ihn die Partei ständig ins Leere laufen, er bekam bislang keinen der Posten, die er wollte."

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SZ vom 12.11.2018/hgn
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