Mehr als 100 Ärzte und Gesundheitsexperten aus aller Welt fordern in einem offenen Brief die großen Social-Media-Konzerne auf, Falschmeldungen konsequenter zu bekämpfen. Gerüchte und Desinformation über das Coronavirus kursieren auf Plattformen wie Facebook und Youtube oft unwidersprochen. Der Brief erscheint heute in einer ganzseitigen Anzeige in der New York Times und wurde aus Spendenmitteln der Aktivismusorganisation Avaaz finanziert.
Die unterzeichnenden Mediziner, unter ihnen auch der deutsche Virologe Christian Drosten, beklagen, dass die vielen Fehlinformationen ihre tägliche Arbeit im Kampf gegen das Coronavirus erschweren. So berichtet der New Yorker Epidemiologe Duncan Maru von Menschen, die "Desinfektionsmittel trinken, um sich zu heilen", andere hielten sich nicht an die Abstandsregeln, weil sie das Virus nicht ernst nähmen. Menschen, die im Netz gehört hätten, dass das Coronavirus nicht schlimmer als eine Grippe sei, zögerten bei eigenen Symptomen, zum Arzt zu gehen, schreibt der Infektionsspezialist Rajeev Fernando. So komme es zu Todesfällen, die hätten verhindert werden können, wenn die Patienten nicht online mit schädlichen Fehlinformationen überflutet worden wären.
Konkret fordern die Mediziner in ihrem Brief zwei Dinge: Facebook soll Menschen, denen in dem Netzwerk Fehlinformationen angezeigt wurden, konkrete Richtigstellungen von Faktencheckern zu den gesehenen Behauptungen anzeigen. Aktuell blendet Facebook nur allgemeine Hinweise ein, wo es verlässliche Informationen zum Coronavirus gibt - und das auch nur denjenigen Menschen, die auf Inhalte mit falschen Inhalten geklickt haben.
Facebook beruft sich bei seinem eher zurückhaltenden Umgang mit Desinformation auf Studien, die zeigen sollen, dass bei Nutzern der Glaube an falsche Inhalte verstärkt wird, wenn man diese in einer Richtigstellung wiederholt: ein Phänomen, das von der Psychologie "Backfire-Effekt" genannt wird. Einige Forscher, auf deren Studien sich Facebook dabei bezieht, haben jedoch mittlerweile mitgeteilt, Facebook habe ihre Erkenntnisse falsch verstanden. Tatsächlich glaubt nach einer korrekt angezeigten Richtigstellung nur noch die Hälfte der Menschen an die ursprünglich falsche Info, sagt der Deutschland-Chef von Avaaz, Christoph Schott.
Die zweite Kernforderung betrifft die Algorithmen der Netzwerke. Die Unternehmen müssten verhindern, dass Inhalte mit irreführenden Behauptungen noch mehr Leuten angezeigt werden, schreiben die Gesundheitsexperten. Auch diese Kritik hat einen wahren Kern. Journalisten hatten mehrfach gezeigt, dass etwa Youtube seinen Nutzern immer wieder Videos mit Verschwörungstheorien empfiehlt, mittlerweile hat die Plattform diesen Mechanismus allerdings mehrfach verändert. Nutzer bekommen seitdem weniger radikalisierende Videos vorgeschlagen.
Dass die Forderungen ziemlich konkret sind, liegt an der Zusammenarbeit mit der Organisation Avaaz, die sich schon länger mit der Bekämpfung von Desinformation im Netz beschäftigt. Laut Deutschland-Chef Schott hatte Avaaz eine Zunahme von Fehlinformationen zu Covid-19 im Netz festgestellt und ging von sich aus auf Mediziner zu, um herauszufinden, ob das auch Auswirkungen auf deren Arbeit hat. Als diese bejahten, schlug die Organisation den Medizinern den offenen Brief vor. Auch die Vorschläge, was gegen die sogenannte Infodemie getan werden könnte, stammen von der Organisation.