Süddeutsche Zeitung

Immobilienkonzern Adler:Wirecard lässt grüßen

Der Fall des Unternehmens Adler folgt einem bekannten Drehbuch: Prüfer und Behörden waren wieder zu lange ahnungslos, wieder musste erst ein Spekulant Druck machen. Den Schaden haben bei Weitem nicht nur Anleger.

Kommentar von Stephan Radomsky

Immobilien - was soll da schon schiefgehen? Die Mieten steigen immer weiter, die Kaufpreise auch, da winkt doch eine ordentliche Rendite! Anleger, die mit solchen Gedanken im Kopf Aktien des Immobilienkonzerns Adler gekauft haben, wissen es inzwischen besser. Sie haben schon viel Geld verloren - und wenn es schlecht läuft für sie und für Adler, könnten sie bald noch mehr verlieren.

Noch bedrückender als der rasante Niedergang aber ist das seltsam bekannte Drehbuch, nach dem sich der Fall Adler augenscheinlich abspielt. Erst erhebt ein Außenseiter schwere Vorwürfe, die werden prompt und laut vom Unternehmen dementiert, die Unruhe wächst. In immer schnellerer Abfolge gibt es plötzliche Personalwechsel, kurzfristige Pressekonferenzen, Sonderprüfungen. Immer kleinlautere Eingeständnisse erzeugen immer größeres Misstrauen. Und wieder handeln Wirtschaftsprüfer und Finanzaufsicht nicht als Erste, sondern reagieren als Letzte. Vieles erinnert fatal an den Fall Wirecard.

Denn es ist nicht der Markt, der schuld ist an der Misere bei Adler, weder der für Häuser noch der für Aktien. Es sind Fehler des Managements, die das Unternehmen in eine existenzielle Krise gestürzt haben. Viel ist nicht mehr übrig von der Firma, die bis vor Kurzem noch einer der größten Vermieter im Land war. Von den einst rund 80 000 Wohnungen hat die Adler Group heute keine 30 000 mehr, der Rest ist verkauft; die Aktie kennt seit Monaten vor allem eine Richtung: abwärts; das Geschäft mit den Immobilienentwicklungen ist für rund eine Milliarde Euro abgeschrieben und hat den Konzern tief ins Minus gerissen. Am Wochenende verwehrten die Wirtschaftsprüfer von KPMG der Bilanz des verschachtelten Konzerns auch noch ihr Testat. Es waren einfach zu viele Fragen offen.

Wirtschaftsprüfer und Finanzaufsicht agieren nicht als Erste, sondern reagieren als Letzte

Natürlich, hier ist alles zwei Nummern kleiner als bei Wirecard. Trotzdem bleibt völlig unverständlich, was bei Adler passierte - und wie lange niemand eingegriffen hat. Über mehrere Jahre wies das Unternehmen Gewinne aus, die eigentlich nur auf der Annahme beruhten, dass die eigenen Immobilien immer wertvoller geworden seien. Die Prüfer zeichneten das lange ab. Im Hintergrund wurden Immobilien gekauft und verkauft, die Geschäfte aber oft nur lückenhaft dokumentiert. Die Prüfer widersprachen nicht. Es wurde Geld geliehen und verliehen, immer wieder tauchten dabei Namen und Firmen einer kleinen Truppe von eng verbandelten Geschäftsleuten und deren Entourage auf. Die Prüfer schwiegen dazu. Erst im vergangenen Oktober fing die Finanzaufsicht Bafin an, Fragen zu stellen.

Da war der Börsenspekulant Fraser Perring aber längst weiter und schlug Alarm. Es entbehrt nicht einer feinen Ironie, dass es derselbe Mann ist, der sich schon Wirecard frühzeitig vorgeknöpft hatte. Perring stellte Fragen, forschte genauer nach, suchte die Stellen, an denen die Teile nicht zusammenpassen. Und dann griff er an, extrem aggressiv und laut, das gehört zu seinem Geschäft. Denn wenn die Kurse kollabieren, dann verdient er sein Geld.

Wieder mal stimmte dabei wohl nicht alles, was er in seinem Bericht behauptete - aber doch ziemlich vieles. Mehr jedenfalls, als Anlegern, Wirtschaftsprüfern und Aufsehern lieb sein kann. Und genau da liegt das Problem: Wieder einmal hat es ein Mann mit seiner kleinen Truppe von Rechercheuren geschafft, die größten deutschen Unternehmen und die Behörden zu düpieren. Innerhalb weniger Jahre ist Adler damit nach Wirecard und Grenke schon die dritte deutsche Firma, die er ins Wanken bringt. Perrings Geschäft funktioniert hierzulande offenbar ziemlich gut. Zu gut, als dass man darüber nicht grundsätzlich nachdenken müsste.

Der Schaden, den das andauernde Versagen von Aufsicht und Kontrollinstanzen anrichtet, geht nämlich weit über die direkt Betroffenen bei den jeweiligen Unternehmen hinaus. Der Fall Adler befeuert ein grundsätzliches Misstrauen - gegen die Geldanlage an der Börse, gegen Unternehmer und Investoren, gegen das Wirtschaftssystem als Ganzes. Durch dieses Misstrauen aber verlieren am Ende alle, und zwar noch viel mehr als durch jeden Skandal.

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