Süddeutsche Zeitung

ADAC:Überall Baustellen

Jeder vierte Deutsche gehört dem ADAC an. Der steckt im größten Umbruch seiner 116-jährigen Geschichte. Präsident August Markl kämpft an vielen Fronten mit Problemen und gegen Widersacher.

Von Uwe Ritzer

Die jährlichen Hauptversammlungen des ADAC ähneln Jubelparteitagen in Einparteiensystemen, wie man sie aus der früheren Sowjetunion oder aktuell aus China oder Nordkorea kennt. Es redet vor allem der Anführer und bestenfalls ein als Festredner engagierter Gast, von dem alle erwarten, dass er vor allem nett ist zum ADAC. Das Auditorium applaudiert dazu brav und am Ende fahren alle zufrieden über so viel Geschlossenheit nach Hause.

Auch die Hauptversammlung am kommenden Samstag, wenn sich die 200 Delegierten des fast 21 Millionen Mitglieder zählenden Automobilklubs am Nürburgring treffen, dürfte eine Harmonieshow werden. Es sei denn, die in seiner 116-jährigen Geschichte beispiellosen, internen Konflikte brechen sich Bahn nach außen. Wahrscheinlicher ist, dass nur am Freitag kontrovers diskutiert wird, wenn unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der Delegiertenversammlung die gleichen Themen behandelt werden wie tags darauf öffentlich bei der Hauptversammlung.

Fünf Regionalklubs klagen gegen die eigene Organsation

Diskussionsbedarf gibt es wie noch nie beim ADAC. Allein schon wegen der in dessen Geschichte beispiellosen Klage der fünf Regionalklubs Nordrhein, Nordbaden, Westfalen, Saarland und Sachsen vor dem Landgericht München gegen die eigene Organisation. Gestritten wird über den Anteil der insgesamt 18 Regionalklubs an jährlich etwa 35 Millionen Euro Versicherungssteuer, die der ADAC neuerdings bezahlen muss. Hintergrund ist die Entscheidung der Finanzbehörden, die Pannen- und Unfallhilfe des ADAC für Mitglieder als Versicherungsleistungen einzustufen. Rückwirkend musste der ADAC bereits 200 Millionen Euro an den Fiskus zahlen.

Früher hätte man das geräuschlos intern geregelt; nun droht ein jahrelanger Prozess und die Anführer beider Seiten schenken sich nichts. Als da wären: ADAC-Präsident August Markl, 70, und sein Vorgänger Peter Meyer, 69. Die beiden Herren, einst Nummer zwei und Nummer eins in dem Verein, sind sich nur noch in gegenseitiger Abneigung zugetan. Den Konflikt aber nur auf das Duell zweier Alphamännchen zu reduzieren, griffe zu kurz. Der Unmut mit Markls Führung und die interne Opposition sind größer geworden. Der ADAC-Präsident läuft Gefahr, dass der von ihm betriebene Umbau des ADAC als Konsequenz aus dem Manipulationsskandal um eine Autowahl 2014 und anderen Missständen am Ende doch noch misslingt.

Die Aufspaltung des ADAC in Verein, kommerzielle SE und Stiftung sorgt intern für Verwirrung und Zuordnungsprobleme. Mitarbeiter wussten zum Teil nicht mehr, ob sie mit Kollegen aus einer anderen Sparte über bestimmte Dinge überhaupt noch reden dürfen. Gegner Markls sprechen von Organisationspfusch und einige meinen nach wie vor, die Aufspaltung hätte es gar nicht gebraucht. August Markl sieht in alledem überwindbare Anlaufschwierigkeiten. Er verteidigt sich mit dem Hinweis, man habe es hier mit einem gewaltigen, beispiellosen und vor allem unumgänglichen Kraftakt zu tun, der besser gelungen sei, als manche wahrhaben wollten. Mit diesem habe der ADAC seinen vom Gericht infrage gestellten, rechtlichen Status als Idealverein überhaupt erst erhalten.

Die Folgen der Dreiteilung sind nicht Markls einzige Baustelle. ADAC-Mitarbeiter zeigen sich verärgert oder zumindest verunsichert, weil ihr Arbeitgeber zum ersten Mal Stellen streicht. Private Abschleppfirmen, die im gelb-schwarzen Auftrag havarierten Autofahrern helfen, sind mit ihren neuen Verträgen unzufrieden. Auch der Plan, mehr jüngere Mitglieder und Frauen in Vereinsämter zu bringen, funktioniert kaum. Nach wie vor sind mancherorts Funktionäre und Hauptamtliche tätig, die 2014 und in den Jahren zuvor schon für Missstände verantwortlich waren.

Ein anderes Beispiel ist das Gezerre um die Motorwelt. Auch nach monatelangen Verhandlungen weiß man immer noch nicht, wie das von ehemals jährlich zwölf auf vier Ausgaben schrumpfende Mitgliederheft von 2020 an zu den Mitgliedern kommen soll. Und über die Frage, welche Teile des föderal organisierten ADAC e.V. in welchem Umfang von den Gewinnen der ADAC SE profitieren sollen, herrscht intern ebenso wenig Einvernehmen wie über eine nötige Satzungsänderung. Doch die meisten dieser Themen werden am Nürburgring vermutlich ausgeblendet - zumindest für die Öffentlichkeit.

So gleicht Europas größter Automobilklub einem taumelnden Riesen, der Halt, aber auch neue Orientierung sucht und dabei ständig über seine eigenen Beine stolpert. Zwar nimmt die Zahl der Mitglieder stetig zu, allein 2018 um eine halbe Million. Rechnerisch ist jeder vierte Deutsche ADAC-Mitglied. Doch die Autofahrer erkaufen sich mit ihrem Beitritt lediglich Versicherungsschutz im Pannenfall; mit dem Verein als solchem identifizieren sich die wenigsten.

Was auch daran liegt, dass der ADAC selbst nicht mehr weiß, wofür er steht. Mobilitätsdienstleister und nicht mehr nur Lobbyist für Autofahrer und Motorsportfans will er sein. Diesen Strategiewechsel will Markl geschafft haben, wenn er in zwei Jahren altersbedingt aufhört. Doch der Teufel steckt in vielen Details. Etwa bei der komplizierten Entwicklung einer App, die alle Verkehrssysteme kombinieren soll, um Mitgliedern bei Bedarf schnell zu sagen, mit welchem Verkehrsmittel sie am einfachsten, schnellsten, günstigsten oder ökologischsten von A nach B kommen.

Was den ADAC von den eingangs erwähnten Einheitsparteien unterscheidet: Es darf bei der anstehenden Hauptversammlung immerhin geheim gewählt werden; elektronisch, mit Drücker und automatischer Stimmenzählung. Gut möglich, dass manche dies nutzen, um über sein Abstimmungsverhalten Zustimmung oder Unzufriedenheit auszudrücken. Über voraussichtlich vier von acht Präsidiumsposten wird am Nürburgring abgestimmt. Unter anderem kandidiert Markls erster Stellvertreter Matthias Feltz nicht mehr; um seine Nachfolge bewirbt sich der bisher in dem Gremium für Verkehrsthemen zuständige Ulrich Klaus Becker.

Zumindest mit einer Tradition bricht der ADAC bei der Hauptversammlung. Erstmals hält kein Vertreter von Industrie oder Politik dort die Festrede, sondern ein Zukunftsforscher. Das passt.

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Quelle:
SZ vom 07.05.2019
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