Süddeutsche Zeitung

Abwerbung von Spitzen-Managern:Zur vertraulichen Verwendung

Die Baukonzerne Strabag und Bilfinger Berger streiten um Führungskräfte für den Verkehrswegebau, es geht um geheime E-Mails, verschwundene Dateien - und ein Milliardengeschäft.

Klaus Ott

Bei der Bilfinger Berger AG, Deutschlands zweitgrößtem Baukonzern, gibt es eine vertrauliche Adressenliste. In einer schwarzen Kladde sind die privaten Anschriften und Telefonnummern der Vorstände und Geschäftsführer notiert. Im Notfall sollen die Chefs des weltweit operierenden Unternehmens auch nach Feierabend erreichbar sein. Im Konzern wird das Verzeichnis das "Schwarze Telefonbuch" genannt.

Das klingt geheimnisvoll und passt zu einem seltsamen Vorgang vom vergangenen Frühjahr. Am 11. April 2005 verschickte die Sekretärin von Joachim Enenkel, Bilfinger-Geschäftsführer in der Sparte Ingenieurbau, um 12.03 Uhr eine ungewöhnliche E-Mail. Empfänger war Frau G., eine langjährige Mitarbeiterin in der Düsseldorfer Niederlassung der Walter-Heilit Verkehrswegebau, einer Tochterfirma der zwei Monate vorher Pleite gegangenen Walter Bau-AG. Walter-Heilit ist einer der ärgsten Konkurrenten von Bilfinger beim Straßenbau. Das störte nicht.

Enenkels Sekretärin übermittelte G. ein "internes Telefonverzeichnis" aus dem Ingenieurbau bei Bilfinger, eine Reservierung für ein geheimes Treffen am 23. April 2005 am Frankfurter Flughafen, und kündigte an, sie werde das "Schwarze Telefonbuch" per Post folgen lassen. "Ich werde Ihnen vier Exemplare an Ihre private Adresse schicken." Die Kladde war für Führungskräfte von Walter-Heilit bestimmt, die zu Bilfinger wechseln wollten, als Verbindungsmann fungierte Enenkel. Seine Sekretärin bat G., das Büchlein diskret zu nutzen. Um 14.51 Uhr antwortete G. und lieferte die Anschriften von leitenden Angestellten bei Walter-Heilit, ebenfalls "zur vertraulichen Verwendung".

"Datenklau" und "Rachefeldzug"

Der konspirativ anmutende Briefwechsel ist Teil eines Wirtschaftskrimis in der Baubranche, der das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, Richter, Rechts- und Staatsanwälte seit Monaten beschäftigt und dessen Ende nicht absehbar ist. Zwei große Konzerne und ihre mächtigen Vorstandschefs streiten um Fach- und Führungskräfte, um "Datenklau" (das sagt die Strabag) und um Schadensersatz in Millionenhöhe. Hans-Peter Haselsteiner, der von Wien aus die europäische Bauholding Strabag lenkt, attackierte den Kollegen Herbert Bodner bei der Bilfinger Berger AG schon vor Monaten mit harschen Worten. Bodner bediene sich Methoden, die "eines Spitzenrepräsentanten einer börsennotierten Gesellschaft nicht würdig" seien. Bodner ließ bei Gericht erwidern, die Vorwürfe seien ein "Rachefeldzug".

Gegenstand des Konfliktes ist die Walter-Heilit Verkehrswegebau GmbH, die hierzulande mehr Straßen asphaltiert als jede andere Firma. Haselsteiner hat mit seiner Strabag, einem der Marktführer in der deutschen Baubranche, Walter-Heilit für etwa 50 Millionen Euro aus der insolventen Walter Bau-AG herausgekauft (und inzwischen zu Heilit & Wörner umfirmiert). Zahlreiche Führungs- und Fachkräfte hat sich indes Bodner geschnappt, für die neue Bilfinger-Sparte Verkehrswegebau. Die Umstände, unter denen Top-Leute den Arbeitgeber wechselten, wirken mysteriös. Das Arbeitsgericht Düsseldorf rügt in einem Urteil illegale Aktionen "auf Kosten" von Walter- Heilit, also zu Lasten von Strabag. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt.

Es geht um viel Geld - und ums Ausschlachten

Vermutlich zanken sich Haselsteiner und Bodner auch deshalb, weil für ihre darbende Branche ein neuer Markt lockt, auf dem mehr als vier Milliarden Euro zu holen sind. Das Geld gilt liegt sozusagen auf der Straße. Die Bundesregierung will Konzernen, die fünf ausgewählte Autobahnen ausbauen und 30 Jahre lang instandhalten, in dieser Zeit die Erlöse aus der Lkw-Maut auf diesen Strecken überlassen. Strabag und Bilfinger hoffen auf die lukrativen Aufträge. Walter-Heilit kommt eine Schlüsselrolle zu. Wer den Branchenführer besitzt, oder zumindest dessen Know-how, hat gute Chancen, den Zuschlag erhalten.

Es geht um viel Geld - und um die Grundsatzfrage, ob Pleite gegangene Konzerne gewissermaßen ausgeschlachtet werden dürfen. Werner Schneider, der Insolvenzverwalter von Walter Bau, befürchtet das Schlimmste. Schneider hat die Walter-Heilit an Strabag verkauft, und musste hinterher mitansehen, wie reihenweise Spitzenleute an Bilfinger verloren gingen. "Wenn das Schule macht, haben meine Kollegen und ich es in Deutschland künftig schwer, überlebensfähige Teile von insolventen Betrieben zu veräußern und Arbeitsplätze zu erhalten." Der Kern eines Unternehmens seien nicht die Büros und die Maschinen, sondern die Mitarbeiter, "deren Know-how und deren Kontakte". Schneider verweist auf die neue, wenige Jahre alte Insolvenzordnung. Die sehe vor, im Falle einer Pleite "möglichst viel zu retten".

Vor knapp einem Jahr, als der Walter Bau-AG das Geld ausging, war Haselsteiner schnell zur Stelle. Der Österreicher, der einen der größten mitteleuropäischen Baukonzerne geschaffen hat, fackelte nicht lange. Quasi über Nacht, der Vertrag wurde vom Notar am 15. Februar um 0.30 Uhr in Ulm beurkundet, kaufte Haselsteiner große Teile des Pleite-Konzerns, einschließlich Walter-Heilit. Als sein Widersacher Bodner für Bilfinger ein paar Wochen darauf ein Gegenangebot präsentierte, in der Hoffnung, der Vertrag mit der Strabag werde nicht vollzogen, war es zu spät. Bodner ging leer aus, einstweilen.

Doch dann setzte plötzlich ein Exodus ein. Im März kündigten bei Walter-Heilit reihenweise Niederlassungschefs und andere leitende Angestellte. Vorausgegangen waren Auftritte von Haselsteiner und Bodner. Der Strabag-Chef hatte sich im Februar 2005 bei der künftigen Tochtergesellschaft Walter-Heilit vorgestellt, offenbar mit rustikalen Worten. Haselsteiner habe Rationalisierungen angekündigt, da werde "manche Träne fließen", erinnern sich Mitarbeiter. Viele Beschäftigte, die wegen der Insolvenz des Mutterkonzerns und der leeren Firmenkassen ohnehin um ihre Arbeitsplätze fürchteten, waren noch mehr verunsichert und wollten weg.

Bodners Plan, in den Straßenbau einzusteigen, kam da gerade recht. Im März traf sich der Bilfinger-Chef am Frankfurter Flughafen mit Führungskräften der Walter-Heilit; er präsentierte seine Ideen und offerierte Arbeitsplätze. Das fand Anklang, in kurzer Zeit wollten 20 Leute wechseln. Wie das teilweise ablief, blieb lange im Verborgenen - bis eine Sekretärin auspackte. Das war jene Frau G., die am 11. April 2005 die seltsame E-Mail von Bilfinger erhalten hatte. Sie sei aus Sicht der "Bilfinger-Leute" ein "Pulverfass", sagte G. laut einer Gesprächsnotiz. Nun ließ sich vieles rekonstruieren, darunter die geheimen E-Mails.

"Herr K. privat"

Frau G. war die Sekretärin von Ralph K. gewesen, der gemeinsam mit Dirk W. (und vielen anderen) zu Bilfinger ging. Die beiden Niederlassungsleiter von Walter-Heilit machten Karriere und wurden Chefs des Straßenbaus bei Bilfinger. Der Inhalt einer von Frau G. ausgehändigten Diskette mit der Aufschrift "Herr K. privat" und weitere Unterlagen legen den Verdacht nahe, dass die zwei Niederlassungschefs vom alten Arbeitgeber aus den Aufbau der Konkurrenz betrieben und Bilfinger sich so gezielt Spitzenleute und Know-how von Walter-Heilit holte. Es gibt Indizien, dass die Firma bis ins Detail kopiert werden sollte.

Auf der Diskette fand sich etwa eine Einladung für den 23. April 2005. Am Frankfurter Flughafen sollten Führungskräfte von Walter-Heilit offenbar ihren Wechsel und die künftige Tätigkeit absprechen. Den Unterlagen zufolge hatte das Sekretariat von Bilfinger-Manager Enenkel, der als "Veranstaltungsleiter vor Ort" vorgesehen war, alles perfekt organisiert. Inklusive Imbiss, Kaffee, Obst und Feingebäck. Als Absender waren Ralph K. und Dirk W. angegeben, damals noch in Diensten von Walter-Heilit.

Der Termin wurde storniert, aber das machte wohl nichts. Man hatte in einem ähnlichen Kreis schon am 9. April am Flughafen Köln-Bonn getagt. Auf Einladung von K. und W. und auf Initiative der Bilfinger Berger AG, "und von ihr bezahlt", wie das Arbeitsgericht Düsseldorf später notierte. Das befasste sich mit der Sache, weil Dirk W. bei Walter-Heilit fristlos gekündigt worden war und Klage erhob. Die wurde abgewiesen. Dirk W. habe noch während seiner Zeit bei Walter-Heilit quasi schon in seiner neuen Funktion als Bilfinger-Manager agiert, zum Schaden des alten Arbeitgebers, urteilten die Richter. Laut Bilfinger hat W. Berufung eingelegt.

Die ausgeräumte Niederlassung

Die Düsseldorfer Richter schreiben, Bilfinger habe mit der Abwerbung von Mitarbeitern bei Walter-Heilit versucht, "deren Geschäft an sich zu ziehen". Und das in einer prekären, existenzbedrohenden Lage des Walter-Unternehmens. "Sollte sich Bilfinger Berger am Markt mit einer eigenen Verkehrswegetochter etablieren können, konnte dies praktisch nur auf Kosten von Walter-Heilit geschehen." Eine planmäßige Abwerbung von Beschäftigten gehöre zum Wirtschaftsleben, hatte zuvor indes das Oberlandesgericht München befunden und ebenso wie das Landgericht das Ansinnen von Walter-Heilit zurückgewiesen, für fast 20 an Bilfinger verloren gegangene Leute ein zeitweises Beschäftigungsverbot zu erlassen. Bilfinger sieht sich dadurch bestätigt. Man sei "nicht wettbewerbswidrig" vorgegangen, sagt ein Konzernsprecher. In dem Düsseldorfer Verfahren werde lediglich das Verhalten von W. und Walter-Heilit "arbeitsrechtlich beurteilt", nicht das, was Bilfinger getan habe.

Schadensersatzprozesse sollen folgen. Mindestens 27 Millionen Euro verlangt Walter-Heilit von Bilfinger, weil die Düsseldorfer Niederlassung "ausgeräumt" worden und nun wertlos sei. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt seit einer Strafanzeige von Walter-Heilit gegen ehemalige Führungskräfte wegen des Verdachts auf Diebstahl und Untreue, K. und W. sind die Hauptverdächtigen. Die Fahnder haben zu Herbstbeginn Bilfinger durchsucht und prüfen nun mit Hilfe des Landeskriminalamtes (LKA), ob Top-Leute beim Wechsel von Walter-Heilit zu Bilfinger interne Unterlagen mitgenommen haben, die dem alten Arbeitgeber nun fehlen. Ein Kalkulator von Walter-Heilit hat als Zeuge beim LKA ausgesagt, im Frühjahr 2005 seien diverse Computer-Dateien gelöscht worden. Darunter das Angebot für ein Projekt, das von "größtem wirtschaftlichen Wert" sei. Es handele sich um die Instandhaltung einer Autobahn in den nächsten 30 Jahren.

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Quelle:
SZ vom 14./15.1.2006
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