Süddeutsche Zeitung

Absturz des Rubel:"Wen wird der Präsident entlassen?"

Lesezeit: 3 min

Von Julian Hans, Moskau

Der Rubel schreit nach Rache - wen wird der Präsident entlassen?" Die Schlagzeile des Massenblatts Moskowskij Komsomolez fasste am Tag nach dem großen Absturz die Stimmung im Land zusammen: Der Unmut wächst, niemand kann sich seines Postens sicher sein. Nur Wladimir Putin steht bislang unantastbar über den Dingen. Russische Zeitungen hatten schon einen "schwarzen Montag" ausgemacht, nachdem die Landeswährung zum Wochenbeginn zehn Prozent verloren hatte. Doch da kannten sie den Dienstag noch nicht.

Obwohl die Zentralbank nach einer nächtlichen Sitzung den Leitzins von 10,5 auf 17 Prozent erhöhte, setzte sich der Verfall des Rubels fort. Zwischenzeitlich verlor er mehr als 20 Prozent. Erst als die Währungshüter in großer Menge Euro und Dollar aus den Reserven verkauften, erholte sich der Kurs am Nachmittag.

Viele Russen beeilten sich, ihre Ersparnisse in bleibende Werte anzulegen, bevor ihnen das Geld zwischen den Fingern zerrann. Sie kauften ein, als wäre es das letzte Mal. In den Geschäften drängten sich die Menschen, um Elektrogeräte, Möbel und Unterhaltungselektronik zu kaufen. Eine Sprecherin von Media Markt sagte, der Verkauf von Fernsehern und Kühlschränken habe sich verdoppelt. Nachdem Ikea angekündigt hatte, von diesem Donnerstag an die Preise anzuheben, standen Kunden auch nachts teilweise vier Stunden an der Kasse, um noch zu alten Preisen einkaufen zu können. Viele Geschäfte in Russland haben rund um die Uhr geöffnet.

Teure Marken gefragt

Nach einem bisher sehr schwachen Jahr für den russischen Automobilmarkt hatte die Nachfrage in den vergangenen Wochen stark angezogen. Besonders teure Marken waren gefragt. Doch inzwischen ist der Verkauf fast zum Erliegen gekommen: Händler behielten lieber die Wagen, als sie gegen Rubel zu verkaufen, meldete die Wirtschaftszeitung Wedomosti. BMW verlangt von seinen Händlern Sofortzahlung, Jaguar Land Rover hat den Verkauf nach Russland bis auf Weiteres eingestellt.

Das wenige Vertrauen, das die Bürger in den Jahren der Stabilität in Währung und Banken gefasst hatten, zerbricht. Sie erinnern sich an die Hyperinflation nach der Auflösung der Sowjetunion, den Betrug durch die Finanzpyramide MMM, bei dem 1994 Millionen ihre Ersparnisse verloren, und an den Staatsbankrott 1998.

An Bankautomaten, die Dollar und Euro ausgeben, bildeten sich am Mittwoch zeitweilig Schlangen. Viele waren allerdings bereits am Vormittag leer. In der Provinz, die schlechter mit ausländischen Währungen versorgt ist, verlangten Wechselstuben bis zu 120 Rubel für einen Dollar - fast das Doppelte des Börsenkurses am Mittwoch.

Die wichtigste Ursache für den Währungsverfall ist nach übereinstimmender Meinung von Experten der niedrige Ölpreis. Öl und Gas machen mehr als zwei Drittel der russischen Exporte aus. Bezahlt werden sie auf dem Weltmarkt in Dollar. Da durch die gesunkenen Preise weniger Devisen eingenommen werden, sinkt der Wert des Rubels. Die von den USA und der Europäischen Union im Sommer verhängten Sanktionen haben zur Folge, dass Devisen noch knapper werden. Die betroffenen Staatsunternehmen und Banken bekommen auf internationalen Kapitalmärkten keine langfristigen Kredite mehr. Zwar ist der russische Staat - anders als 1998 - kaum im Ausland verschuldet. Große russische Unternehmen aber sind es, von denen sich viele in Staatshand befinden. Hinzu kommt eine merkliche Kapitalflucht.

Der Währungsverfall hatte bereits im Sommer eingesetzt, als die Talfahrt des Ölpreises begann. Dass nun ein Absturz daraus geworden ist, hat auch damit zu tun, dass im Dezember besonders viele Kredite fällig wurden: Russische Unternehmen, Banken und Investoren müssen im Dezember etwa 30 Milliarden Dollar begleichen, die sie sich im Ausland geliehen haben, können sich aber nicht mit frischem Geld versorgen. Der Druck auf den Rubel dürfte im Januar nachlassen, dann sind nur Zahlungen in Höhe von fünf Milliarden fällig.

Früherer Finanzminister Kudrin winkt ab

Strukturelle Schwächen haben das Wachstum in Russland allerdings schon vor dem Einsetzen des Rubel-Verfalls und vor der Verhängung der Sanktionen fast zum Erliegen gebracht. Russland hat außer Rohstoffen wenig anzubieten auf dem Weltmarkt. Die Kontrolle des Staates ist so stark, dass sich private Unternehmen in anderen Branchen nur schwer entwickeln können. Nikita Maslenikow, Finanzexperte am Moskauer Institut für Moderne Entwicklung, sagte dem Moskowskij Komsomolez, bald komme der Zeitpunkt, an dem der Staat nichts mehr ausgeben könne. "Dann bleibt ihm nur noch eine Ressource: Er muss mehr Freiheit geben."

Unterdessen spekulieren russische Beobachter, wen das Schlamassel den Kopf kosten wird. Ganz oben auf der Liste stehen Premier Dmitrij Medwedjew und die Chefin der Zentralbank, Elvira Nabiullina. Allerdings erfüllt Medwedjew seit Jahren geduldig die Position dessen, der anstelle von Wladimir Putin für alle Fehler verantwortlich gemacht werden kann. Und in der gegenwärtigen Situation ist sein Posten nicht eben attraktiv.

Der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin, der in den Jahren des Aufschwungs die üppigen Rücklagen des Landes aufgebaut hatte, ließ bereits ausrichten, er stehe nicht zur Verfügung. Die Entscheidung der Zentralbank nannte er "richtig". Der Rubel sei aber derzeit so schwach, weil einfach das Vertrauen in die Wirtschaft fehle.

Medwedjew bestellte am Mittwoch die Chefs der Energiekonzerne Rosneft und Gazprom sowie Notenbankchefin Nabiullina zu seinem Kabinettstreffen ein und wies die Unternehmen an, Devisen künftig über größere Zeiträume verteilt zu handeln, um große Ausschläge auf den Märkten zu vermeiden. Erneut beteuerte der Premier, keine Kapitalverkehrskontrollen einführen zu wollen. Zuvor hatte der große Index-Anbieter MSCI angekündigt, in diesem Fall Russland aus seinem Schwellenländer-Index herauszunehmen. Das würde bedeuten, dass Fonds, die Produkte auf Grundlage dieses Index anbieten, gezwungen wären, russische Aktien zu verkaufen. Dies wäre ein weiterer Tiefschlag für die Moskauer Börse.

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SZ vom 18.12.2014
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