Absprachen in der Pharmaindustrie:Die Zeche zahlt der Patient

Billig-Medikamente kommen verspätet auf den Markt, weil Pharmakonzerne und Generika-Hersteller kungeln. Ein lohnendes Geschäft - nur für die Kunden nicht.

Kristina Läsker

Die Amerikaner lieben es, Sachverhalte auf den Punkt zu bringen. In der Pharmabranche der USA etwa, dem größten Arzneimittelmarkt der Welt, hat sich der wohlklingende Reim "Pay for Delay" durchgesetzt - "Zahlen für Verzögerung". Dahinter verbirgt sich in den USA wie in Europa eine der teuersten Machenschaften der Arzneimittel-Industrie. Gemeint sind Absprachen zwischen Originalherstellern und Produzenten von günstigen nachgeahmten Arzneien (Generika) auf Kosten der Patienten.

Tabletten, ddp

"Pay for Delay": Pharmakonzerne zahlen Geld an Hersteller von Generika - damit sie den Patentschutz der teuren Arzneien nicht anfechten.

(Foto: Foto: ddp)

Ein Beispiel: Der Pharmakonzern Bayer hat vor Jahren nach einem außergerichtlichen Vergleich in den USA mehreren Generikafirmen 398 Millionen Dollar überwiesen. Dafür verzichteten diese vorerst darauf, den Patentschutz von Bayers Anti-Infektivum Cipro anzufechten und eine billige Nachahmerversion auf den Markt zu bringen. Dieser Deal half allen Firmen - nur den Verbrauchern nicht. Sie mussten weiter den hohen Originalpreis zahlen.

"Pay for Delay" kostet die US-Bürger jedes Jahr 3,5 Milliarden Dollar, kritisierte jüngst Jon Leibowitz, Amerikas oberster Wettbewerbshüter. Auch die EU-Kommission hat inzwischen erkannt, dass die Kungelei und der eingeschränkte Wettbewerb zwischen den Pharmafirmen die Krankenkassen und Patienten jedes Jahr mit dreistelligen Millionenbeträgen belastet. Aufgeschreckt durch steigende Gesundheitsausgaben und dem Mangel an wirklich innovativen Medikamenten legt sich nun auch EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes mit der mächtigen Pharmaindustrie an. Endlich. Am Mittwoch kündigte Kroes in Brüssel an, gegen sechs Konzerne ein Kartellverfahren einzuleiten und den Markt weiter auf schädliche Praktiken zu untersuchen.

Dafür, dass die unsäglichen Absprachen seit Jahren bekannt sind, kommen die Eingriffe aus Brüssel viel zu spät. Dennoch sind sie dringend nötig. Im stark regulierten Gesundheitsmarkt gibt es irrsinnige Auswüchse bei der Einführung neuer und nachgeahmter Mittel. Dabei war es im Grundsatz gut gedacht: Ein Originalhersteller erhält für einen neuen Wirkstoff ein Patent für 20 Jahre. In dieser Zeit kann er eine Arznei entwickeln, testen, eventuell auf den Markt bringen und eine Zeit lang damit Geld verdienen.

Da das Präparat per Patent geschützt ist, darf die Pharmafirma einen künstlich hohen Preis verlangen. Der enthält die Forschungskosten und eine zumeist saftige Risikoprämie. Nach Ablauf des Patents dürfen Wettbewerber ein nachgeahmtes Generikum anbieten, das oft nur einen Bruchteil kostet. Um die Verluste auszugleichen, müssen Originalhersteller rechtzeitig neue Mittel erfinden; Konkurrenz durch Generika sorgt dafür, dass der Forschungsdruck hoch bleibt. So weit die Theorie.

In der Praxis sind bei Originalherstellern längst ganze Rechtsabteilungen und externe Anwälte damit befasst, lukrative Mittel mit verrückten Zusatzpatenten zu schützen. Schutzwälle aus mehreren Hundert Patenten um einen einzigen Kassenschlager herum sind nicht selten. Giganten wie die britisch-schwedische Firma Astra Zeneca erscheinen mindestens einmal pro Woche vor Gericht, um diese Patente zu verteidigen. Im kleingedruckten Teil der Geschäftsberichte lässt sich nachlesen, wie viele Millionen Euro für solchen Schlachten fließen.

Parallel haben die Generika-Konzerne aufgerüstet: Immer früher fechten sie die vielen Patente an, unabhängig vom Ablaufdatum. Zeitgleich wird in verschiedenen Ländern um dieselbe Arznei gestritten - es könnte ja eine attraktive Stillhalteprämie herausspringen.

Möglich macht solchen Irrsinn der europäische Patentdschungel. Jeder EU-Staat hat eigene Patentrechte und Schutzvorschriften. Ein Drittel der Arznei-Verfahren in der EU sind parallele - und im Grundsatz überflüssige - Verfahren. Dabei kommen die Richter zwischen Rom, Stockholm und Warschau auch schon mal zu unvereinbaren Schiedssprüchen, was zusätzliche Verwirrung stiftet. Diese Situation ist absurd und viel zu teurer. Vereinfachen ließe sich das Chaos etwa durch ein Gemeinschaftspatent, das auch Kommissarin Kroes zurecht einfordert. Doch bisher ist das am nationalen Denken vieler Politiker gescheitert.

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