Strahlendes Erbe der Atomkraft:Rückbau deutscher AKW dauert länger

Es wird das wohl teuerste und größte Abrissprogramm in der deutschen Geschichte. Doch die Atombranche warnt vor jahrelangen Verzögerungen beim Rückbau ihrer Kernkraftwerke - im schlimmsten Fall könnten die Meiler erst in 45 Jahren endgültig verschwinden. Offen ist vor allem die Frage: Wohin mit dem strahlenden Müll?

Markus Balser

Wer wissen will, wie ein abgeschaltetes Atomkraftwerk zerlegt wird, muss nach Lubmin an der Ostsee fahren. Gleich hinter dem Strand erhebt sich eine monströse Ruine. 1995 wurde hier das größte AKW Ostdeutschlands endgültig stillgelegt. Seit 17 Jahren nehmen Mitarbeiter die Anlage nun schon auseinander, dekontaminieren Röhren und Reaktoren. Die wuchtige Betonhalle aber steht noch immer. Lubmin könnte zum Exempel für das werden, was dem Land in den nächsten Jahren noch bevorsteht.

Denn der Atomausstieg erfordert die Demontage des kompletten nationalen Kernkraftwerkparks. "Rückbau bis auf die grüne Wiese" heißt der Plan im Fachjargon. Das bedeutet: 17 Mal fast eine halbe Million Tonnen Stahl und Beton - das Gewicht eines einzelnen deutschen Atomkraftwerks -, die zerlegt und entsorgt werden müssen. Es wird das wohl teuerste und größte Abrissprogramm in der deutschen Geschichte: Rund 30 Milliarden Euro sind dafür veranschlagt.

Möglichst schnell soll das strahlende Erbe verschwinden. So fordern es die zuständigen Landesregierungen überall in Deutschland von den vier Betreibern Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Für die direkt nach Fukushima stillgelegten Anlagen werde der Rückbau etwa eine Dekade dauern, sagt Ralf Güldner, Präsident des Deutschen Atomforums, der Süddeutschen Zeitung. Beispiel Unterweser in Niedersachsen: "Wenn das Kernkraftwerk 2015 brennstofffrei ist und wir mit dem Rückbau beginnen können, werden wir 2025 fertig sein", sagt Güldner. Falls alles glattgeht.

Konrad ist noch lange nicht fertig

Doch glatt läuft ein Jahr nach Fukushima wenig bei den Abrissplänen. In den Zentralen der vier AKW-Betreiber Eon, RWE, Vattenfall und EnBW ist noch immer unklar, wie der Rückbau stillgelegter Meiler tatsächlich ablaufen soll. Offen ist vor allem eine Frage: Wohin mit dem strahlenden Müll?

Denn den Großteil des Abrissschrotts soll ein Endlager bei Salzgitter aufnehmen: Schacht Konrad, ein Erzbergwerk, das gerade zur Langfrist-Müllhalde für schwach- und mittelradioaktive Abfälle umgebaut wird. Das Problem: Konrad ist noch lange nicht fertig. Statt wie geplant 2015 soll es jetzt frühestens vier Jahre später einsatzbereit sein. Und selbst das ist noch nicht sicher. In Fachkreisen wird auch 2022 nicht mehr ausgeschlossen. Dabei soll hier die große Masse des deutschen Atommülls landen. Nur etwa 100 Tonnen Abfälle pro Anlage sind hoch radioaktiv und müssen in einem entsprechenden Lager wie Gorleben entsorgt werden. Geschätzte 5000 Tonnen dagegen entfallen auf weniger stark belastete Materialien - und auf Konrad.

Damit braut sich laut Atombranche ein gewaltiges Problem zusammen. "Die Politik erwartet von uns, dass wir Anlagen schnell zurückbauen und nicht als ,strahlende Ruinen' in der Landschaft stehen lassen", sagt Atomforum-Präsident Güldner, gleichzeitig Chef der Atomsparte des größten deutschen Energiekonzerns Eon. "Aber dafür brauchen wir ein funktionierendes und aufnahmebereites Lager Konrad. Eigentlich sollte Konrad 2015 schon bereit sein. Jetzt rechnen wir damit nicht vor 2019", klagt Güldner und warnt vor schwerwiegenden Folgen: "Das kann den Rückbau um Jahre verzögern und zurückwerfen."

Meiler im Dornröschenschlaf?

Auch RWE fordert von der Politik mehr Engagement. Das Lager sei für den Rückbau der Kernkraftwerke sehr wichtig, sagt eine Sprecherin. Leider sei der Zeitplan in den vergangenen Jahren immer wieder verschoben worden. "Die Anlage muss nun fristgerecht oder schneller fertig werden. Konrad wird sonst zum Engpass beim Rückbau." Schon jetzt wird die rasche Abrisslösung in mancher Konzernzentrale hinterfragt. Die Branche prüft, Meiler vor dem Abwracken erst mal in einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf zu schicken - im Fachjargon "Sicherer Einschluss" genannt. Etwa in Biblis. Dort sei beides möglich, heißt es bei RWE. Die Entscheidung soll in den nächsten Wochen fallen.

Damit droht neuer Streit zwischen Politik und Atomwirtschaft. Denn anders als beim direkten Abriss würden die Meiler dann nicht schon nach rund 15 Jahren verschwunden sein. Sie würden versiegelt und später abgerissen. Erst nach 40 bis 45 Jahren wären die Standorte von den Betonruinen befreit. So lange aber will kaum einer der AKW-Standorte auf einen Neuanfang warten. Zudem könnte das ganz neue Probleme schaffen. Denn woher, fragen sich Experten längst, soll dann eigentlich noch das Fachpersonal für den Rückbau kommen? Die Mitarbeiter der Kernkraftwerke, die den Job jetzt übernehmen könnten, wären wohl längst weg.

Zu wenig Transportbehälter

Deutsche Behörden reagieren verärgert auf die Vorwürfe der Atombranche. Ein Zusammenhang zwischen der Verspätung von Konrad und Verzögerungen beim Rückbau sei "nicht nachvollziehbar", schreibt das für die Entsorgung radioaktiver Abfälle zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) mit Sitz in Salzgitter auf SZ-Anfrage. Zwar könne Konrad tatsächlich nicht vor 2019 in Betrieb gehen. "Der Rückbau und der damit einhergehende Anfall von großen Mengen konradgängiger Abfälle" könnten aber ohnehin erst beginnen, wenn die AKW "brennstofffrei" seien. Allein die hochradioaktiven Brennelemente müssten aber fünf Jahre im Reaktor oder dem Abklingbecken bleiben, so die Behörde. Vor 2016 könnte der Rückbau demnach gar nicht beginnen.

In der Politik machen längst ganz andere Sorgen die Runde: Die Branche könne den Rückbau verzögern, um die eigenen Kosten zu senken, heißt es in Berliner Koalitionskreisen. So hätten mehrere Konzerne versäumt, rechtzeitig Transportbehälter für Brennstoffe zu ordern. Man habe einseitig für die Laufzeitverlängerung geplant. Dass der Abriss so schnell komme, erwische die Branche auf dem falschen Fuß, heißt es weiter. So gebe es etwa Engpässe bei der Bestellung von Castoren für den Abtransport der Brennelemente. "Für solche Verzögerungen sollten die Betreiber schon selbst geradestehen", heißt es in Berlin.

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