Abgelaufene Medikamente:Amazon unter Druck

Testkäufer fanden mangelhafte Pflaster und fast abgelaufene Schmerzmittel: Der Pharmahersteller Johnson & Johnson beschwert sich darüber, dass Amazon beschädigte oder abgelaufene Medikamente über seine Website verkauft. Für den Onlinehändler ist es schwierig, die Probleme in den Griff zu bekommen.

Von Serena Ng und Jonathan D. Rockoff, Wall Street Journal Deutschland

Der US-Onlinehändler Amazon gerät wegen umstrittener Medikamentenverkäufe auf seiner Webseite zunehmend unter Druck. Der Pharma- und Konsumgüterhersteller Johnson & Johnson beschwert sich über den Vertrieb von beschädigten oder abgelaufenen Medikamenten - wie Schmerzmitteln oder Präparaten gegen Haarausfall - auf der Amazon-Homepage.

Dem Internetkonzern sind in gewisser Weise die Hände gebunden, denn in den aufgetretenen Fällen vermarktete Amazon die Produkte nicht direkt. Vielmehr nutzten Dritte die Amazon-Homepage. Johnson & Johnson zieht laut Insidern trotzdem die Reißleine: Einige Produkte wie das Schmerzmittel Tylenol, Heftpflaster und Baby-Artikel werden nicht mehr über Amazon an den Kunden gebracht.

Der Streit hinter den Kulissen zeigt eines sehr deutlich: Im Internet lässt sich die Kontrolle über das eigene Markenimage schnell verlieren. Dritte bauen Online-Stores auf amazon.com auf und vertreiben Artikel, die nicht direkt mit dem Internetkonzern verbunden sind. Zwar fährt Amazon hohe Umsätze mit dem eigenen Vertrieb von Produkten ein, aber das Geschäft mit Dritten ist auch beträchtlich.

Es wäre für den Internetkonzern extrem aufwändig, Tausende von Drittunternehmern eigenständig zu überwachen. Mitunter sei es nicht möglich, diese Verkäufer davon abzuhalten, fehlerhafte Produkte an Kunden zu verkaufen, warnte Amazon in einer Mitteilung an die US-Börsenaufsicht SEC. Trotzdem gibt der Konzern Garantien auch für diese Verkäufe ab und entschädigt geprellte Kunden mit bis zu 2500 US-Dollar.

"Am wichtigsten ist für uns, dass unsere Kunden die erwartete Qualität erhalten", sagt Sandra Pound, Sprecherin von Johnson & Johnson. Trotz der jüngsten Reibereien sind Produkte des Konsumgüterkonzerns bei Amazon reichlich verfügbar. Das liegt an den Drittunternehmern und unabhängigen Vertriebsfirmen, denen Amazon im Gegenzug für Gebühren und Kommissionen eine Plattform bietet. Einige der Drittfirmen erhalten ihre Ware von autorisierten Händlern. Andere dürften die Ware außerhalb der offiziellen Vertriebskanäle erwerben. Mitunter wird auch mit hohen Abschlägen bei anderen Unternehmen eingekauft.

Wenige große Hersteller gehen so weit wie Johnson & Johnson und stellen in großem Stil den Direktvertrieb über Amazon ein. Manche Marken entschieden sich aber von Anfang an, bei Amazon außen vor zu bleiben. Die Edelkosmetikmarken Clinique und Origins etwa werden nicht direkt über die Seite des Branchenprimus vertrieben. Lediglich Drittfirmen bieten Waren der zu Estee Lauder gehörenden Marken an. Offenbar schadet die Entscheidung dem Kosmetikkonzern nicht. "Bisher ist unser Vertrieb nicht darauf angewiesen, unsere Marken über Amazon zu verkaufen", betont Unternehmenssprecherin Alexandra Trower.

Geschäft mit Drittfirmen wächst rasant

Der Streit mit Johnson & Johnson dreht sich um einen rasant wachsenden Geschäftszweig für Amazon. Zwar schlüsselt der Konzern die Umsätze der Drittfirmen nicht auf. Aber in der Vergangenheit hieß es aus dem Konzern von Gründer Jeff Bezos: Rund 40 Prozent der Artikel auf der Amazon-Seite stammen von unabhängigen Verkäufern. Für Johnson & Johnson selbst ist der Online-Vertrieb nicht unerheblich, wenn auch die genauen Zahlen nicht genannt werden. Das Gros seiner Produkte vermarktet das Unternehmen aber über andere große Onlineseiten wie die von Wal-Mart . Für den Kauf bestimmter rezeptfreier Medikamente verweist der Konzern auf drugstore.com.

Der Streit mit Amazon eskalierte laut Insidern, als Testkäufer von Johnson & Johnson beschädigte, mangelhafte, abgelaufene oder kurz vor dem Verfallsdatum stehende eigene Ware auf Amazon fanden. Auch Kunden selbst reichten bei den beiden Unternehmen Beschwerden ein. Beispielsweise halten sich für Tylenol-Pillen gewöhnlich nach dem Kauf noch zwei Jahre. Ein Kunde beklagte sich jüngst, dass seine neu gekauften Tylenol-Tabletten nur noch elf Monate verwendbar seien. Gleich ganz abgelaufen waren Zyrtec-Antihistaminika, die ein Käufer über Amazon geordert hatte. Hier - wie in den anderen Fällen auch - waren Dritthändler dafür verantwortlich.

Johnson & Johnson informierte Amazon über die Missstände und verlangte Gegenmaßnahmen. Doch Amazon war kaum willens, etwas zu unternehmen, berichten mit der Angelegenheit vertraute Personen. Dies sei einer der Hauptgründe gewesen, warum Johnson & Johnson im Frühjahr viele seiner Lieferungen an Amazon kurzerhand stoppte. Auch andere Konsumgüterhersteller wandten sich jüngst an Amazon: Unautorisierte Dritthändler hätten ihre Marken vertrieben oder gleich ganz Plagiate zu den Kunden gebracht. Auch Procter & Gamble beschwerte sich. Vor einigen Jahren gab es bereits Berichte, dass über Amazon gefälschte Gillette-Rasierklingen in den Verkauf gelangt waren. Momentan dürfen keine Drittunternehmer Gillette-Klingen auf Amazon vertreiben. Nur Amazon selbst darf das.

Bei einigen Klagen mancher Hersteller unternahm der Bezos-Konzern nichts. Es sei Sache der Unternehmen, wie sie mit den Vertriebskanälen für ihre Produkte umgingen, hatte es laut Firmenberatern geheißen. Mitunter enden diese Streitereien vor Gericht. Der kalifornische Hersteller von Friseurbedarf True Milano verklagte Amazon bereits im Jahr 2011. Drittunternehmer sollen über den Online-Händler gefälschte Waren verkauft haben. Nach Angaben von Anwalt Thomas Peistrup soll der Prozess kommendes Jahr vor einem Gericht in Los Angeles beginnen.

Mitarbeit: Greg Bensinger und Ann Zimmerman

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    Dieser Artikel ist im Wall Street Journal Deutschland erschienen. Die besten Wirtschaftsnachrichten der Welt. Auf WSJ.de.

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