Abgasskandal:Der VW-Manager musste die Verstöße vor US-Behörden beichten

E. ist derjenige, der für VW seinen Kopf hingehalten hat in den USA. Am 3. September 2015 gestand er den dortigen Umweltbehörden EPA und CARB die Verstöße. Im Moment der Beichte sei es mucksmäuschenstill gewesen, steht in seiner Aussage. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Den Auftrag zum Reden habe er wenige Tage vorher bekommen, von der Konzernspitze. Die Idee, dass er das machen solle, sei bei einer streng vertraulichen Runde in der letzten Augustwoche 2015 mit VW-Juristen entstanden. Vor dem Sitzungsraum hätten die Handys abgegeben werden müssen, damit auf keinen Fall etwas nach draußen dringe. Drinnen sei dann auch darüber diskutiert worden, ob man die Aktionäre informieren müsse, was damals aber nicht geschah. Als die Wahl, wer in den USA beichten solle, auf ihn fiel, habe er sich erst geweigert. Und sich dann selbst am nächsten Tag gesagt, okay, jetzt hänge er eh da so tief drin, jetzt fliege er hin und sage das. Ein Vorstandsmitglied soll zu ihm gesagt haben, die Guillotine hänge ganz hoch.

Der Motorenspezialist ist einer von etwa 40 Beschuldigten, gegen die die Staatsanwaltschaft Braunschweig vor allem wegen Betrugsverdachts ermittelt. Sie sollen verantwortlich dafür sein, dass den Kunden schmutzige Fahrzeuge als sauber verkauft worden seien. E. hat laut seiner Aussage wiederholt darauf gedrungen, den Betrug offenzulegen. Und er habe frühzeitig gewarnt, das Thema werde historische Ausmaße annehmen für VW. Die anderen hätten ihn angeschaut, als ob er von einem anderen Stern komme.

Ingenieure sollen verzweifelt nach einer Lösung gesucht haben

E. schildert die verzweifelten und vergeblichen Versuche jener Ingenieure, die manipuliert hatten, eine neue Software zu finden. Eine legale Software, die alle Probleme löse, bevor die US-Behörden alles entdecken. Er schildert, wie Wiko von alledem erfahren habe, spätestens bei dem angeblichen Geheimtreffen. VW bestreitet zwar, dass es den Termin so gegeben hat, lässt aber ein Hintertürchen offen. Selbst "wenn das Treffen stattgefunden hätte, würde dies nichts an der Gesamtsituation und der rechtlichen Einschätzung" ändern, mit der sich der Konzern beim OLG Braunschweig gegen die Milliardenklage vieler Aktionäre wehrt. In dem VW-Schriftsatz heißt es, das Abgasthema habe auch noch Anfang September 2015 aus damaliger Sicht "keine besondere Brisanz" gehabt. Es sei intern als "normaler, wenn auch aktuell durchaus schwieriger Behördengang" wahrgenommen worden.

Bei dem angeblichen Wiko-Treffen soll dies aber Monate früher ganz anders geklungen haben: Umschaltlogik, Prüfstandserkennung, Abgasmanipulation, all das soll dort besprochen worden sein. Inklusive Details. Sogar von 600 000 betroffenen Fahrzeugen sei schon die Rede gewesen. Winterkorn sei entgegen sonstigen Gepflogenheiten ruhig geblieben. Wenn der Chef das damals zum ersten Mal gehört hätte, wäre er ausgerastet, sagte E. den Ermittlern. Wiko galt als Choleriker und soll bei Anlässen dieser Art auch mal mit Ordnern um sich geworfen haben.

All diese Details, soll das alles erfunden sein? Vielleicht lässt sich ja der Widerspruch um dieses angebliche Treffen ganz einfach aufklären. Ein Insider, der tief drin steckt im Verfahren, hat eine Erklärung: Vielleicht irre sich E. nur im Zeitpunkt, und das Treffen habe im Juni oder Juli 2015 stattgefunden. Spätestens im Juli soll Winterkorn laut Aussagen mehrerer führender VW-Mitarbeiter von den Manipulationen erfahren haben. Ende Juli habe Wiko ihn angerufen, sagte E. aus. Er habe dem Chef dann gesagt, man schaffe das nicht. Man werde so schnell keine neue Software entwickeln können. Er, E., sehe eigentlich keine Chance mehr. Man müsse wirklich überlegen, das jetzt zeitnah offenzulegen.

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