So sieht also der Versuch eines Gegenschlags aus. Volkswagen hat beim Oberlandesgericht Braunschweig 700 Seiten eingereicht, die dokumentieren sollen, was es wirklich auf sich hat mit der "Dieselthematik". So nennen Vorstandschef Matthias Müller und der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch die Abgasaffäre. Eine Affäre, die aus Sicht der Konzernspitze gar keine ist. Das Problem liegt vielmehr ganz woanders, jedenfalls aus Sicht von VW.
Das Problem sind inzwischen nicht mehr die in den USA zugegebenen Betrügereien mit manipulierten Abgasmessungen bei Dieselfahrzeugen. Das Problem sind jetzt die vielen Aktionäre, die Schadenersatz verlangen für die Kursverluste ihrer Papiere nach Enthüllung der Verstöße im September 2015 durch die US-Umweltbehörde EPA. Damals waren die Aktien plötzlich sehr viel weniger wert.
Rund neun Milliarden Euro fordern zahlreiche Aktionäre, die rund 1600 Klagen eingereicht haben. Der Vorwurf lautet, die Anleger seien nicht rechtzeitig über das drohende Diesel-Desaster aufgeklärt worden. Tatsächlich gehe es aber um etwas ganz anderes, heißt es im Konzern. Hier spiele sich ein "Umverteilungskampf" ab. Ein Streit zwischen, grob gesagt, Neuinvestoren und Altaktionären. Dies, so die Lesart bei Volkswagen, könnte zu Lasten des Landes Niedersachsen gehen, das bei VW eine wichtige Rolle spielt. Auch Inhaber von Mitarbeiteraktien und andere Kleinaktionäre könnten, so die Sicht der Dinge bei Volkswagen, darunter leiden. In Klartext übersetzt bedeutet das: Hier die guten, braven Kleinanleger, die langfristig investieren. Und dort die bösen Aktionäre, die kurzfristigen Kursgewinnen hinterherjagen würden.
Ob das VW bei Gericht hilft?
Der in Wolfsburg ansässige Konzern behauptet, der Vorstand habe bis zuletzt nichts gewusst von kriminellen Machenschaften. Von Abgasproblemen schon, aber das sei ja etwas ganz anderes gewesen. Was die Frage aufwirft, wie gut oder eher wie schlecht das weltweite Fahrzeugimperium eigentlich organisiert war, wenn von den Manipulationen nichts bis ganz nach oben durchgedrungen sein soll. Wo doch Manager aus der zweiten Etage, der Ebene direkt unter dem Konzernvorstand, spätestens rund zwei Monate vor dem Auffliegen der Betrügereien in Übersee im Bilde gewesen seien. Das zumindest räumt Volkswagen ein. Die Klageerwiderung von Volkswagen enthält eine detaillierte Chronologie der Ereignisse der Jahre 2014 und 2015 aus Sicht des Konzerns.
Es ist die erste derartige Chronik, die der Konzern vorlegt. Eine Chronik, die viele prominente Namen enthält. Martin Winterkorn, damals Vorstandschef. Herbert Diess, Mitte 2015 von BMW in München nach Wolfsburg gekommen. Als Hoffnungsträger, der die Hauptmarke des Unternehmens, VW eben, nach vorne bringen sollte. Und Pötsch, damals Finanzvorstand und kurz nach Beginn der Affäre zum Aufsichtsratschef befördert. Alle haben sie von Abgasproblemen in den USA gewusst und darüber gesprochen, wobei Diess spät mit am Tisch saß. Erst kurz vor Beginn der Affäre. Pardon, "Dieselthematik".
Seinen Lauf genommen hatte das Unheil schon viel früher, Mitte vergangenen Jahrzehnts, als findige Ingenieure bei VW und der Tochter Audi mit dem Betrug begannen. Spätestens 2012 soll Heinz-Jakob Neußer, der später in den Markenvorstand von VW auf- und damit noch mehr in die Nähe von Winterkorn rückte, von der illegalen Software erfahren haben, mit der Abmessungen manipuliert worden waren. Das hat VW bei den US-Behörden zugegeben. Neußers Anwältin äußert sich dazu und zu anderen Vorwürfen nicht.