Dieselskandal:Die Autokonzerne zittern vor der hohen Instanz

Bundesgerichtshof in Karlsruhe

Entscheidet der Bundesgerichtshof für den Kläger, könnte dies eine Klagewelle von bisher zögerlichen Kunden auslösen und VW und Daimler empfindlich treffen.

(Foto: Uli Deck/dpa)
  • Gegen VW und andere Autohersteller gibt es im Abgasskandal inzwischen Zehntausende Klagen von Privatleuten.
  • Oft bemühen sich die Hersteller, die Prozesse frühzeitig mit einem Vergleich zu beenden. Sie dürften damit versuchen, das Urteil einer hohen Instanz abzuwenden.
  • Eine Klage hat es dennoch vor den BGH geschafft. Sie könnte für VW noch gefährlich werden.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Milliarden-Bußgelder sind verhängt, Staatsanwälte in Braunschweig, München und Stuttgart ermitteln gegen Top-Manager, Fahrzeuge werden europaweit zurückgerufen oder erst gar nicht ausgeliefert, Glaubwürdigkeit und Imagewerte der Industrie sind auf einem Tiefpunkt. Die Folgen der Abgasaffäre für die Hersteller sind vielfältig. Dazu gehören auch Tausende Zivilklagen von Autokäufern, die nicht akzeptieren wollen, dass ihre Dieselwagen im Straßenverkehr viel mehr Schadstoffe ausstoßen als offiziell angegeben. Sie fordern Schadenersatz oder zumindest die Rücknahme des aus ihrer Sicht mangelhaften Fahrzeugs. Diese Klagen werden immer mehr. Die genaue Anzahl kennt niemand, Volkswagen spricht von etwa 20 000, andere gar von mindestens 25 000.

Eine davon liegt inzwischen am Bundesgerichtshof (BGH), diese könnte für den Konzern sehr gefährlich werden. Denn eine Grundsatzentscheidung des BGH zugunsten des Käufers könnte eine Klage-Lawine von bisher zögerlichen Kunden auslösen. Auch Konkurrent Daimler und der Zulieferer Bosch wurden zuletzt von Autokäufern verklagt - Daimler mit Erfolg, Bosch ohne.

Je länger die Diesel-Affäre dauert, desto erfolgreicher sind die verärgerten Kunden vor Gericht. Zuletzt musste Daimler vor Landgerichten in Hanau und Karlsruhe Niederlagen einstecken, obwohl der Stuttgarter Hersteller im Gegensatz zu Volkswagen nach wie vor beteuert, er habe in der Abgasreinigung seiner Motoren keine illegale Abschalteinrichtungen eingebaut. Dennoch verurteilte das Landgericht Hanau das Stuttgarter Unternehmen dazu, einen Mercedes Vito zurückzunehmen und dem Käufer den Kaufpreis weitgehend zu erstatten. Die Karlsruher Richter attestierten Daimler sogar eine "sittenwidrige vorsätzliche Schädigung" und sprachen dem Kläger einen Anspruch auf Schadenersatz zu. Gegen beide Urteile hat Daimler Rechtsmittel eingelegt. "Wir können die Entscheidung nicht nachvollziehen", sagt eine Sprecherin. Beide Fälle werden demnächst vor Oberlandesgerichten verhandelt.

Volkswagen hat bereits zahlreiche Verfahren vor diversen Oberlandesgerichten bestritten. Nach Angaben eines Sprechers gibt es "etwa ein Dutzend" Urteile, davon sei nur ein einziges vom Kläger gewonnen worden. Das klingt sehr erfolgreich für die Wolfsburger, ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn in vielen OLG-Verfahren hat Volkswagen im letzten Moment die Notbremse gezogen. Wenn sich eine Niederlage abzeichnete, schloss der Konzern einen Vergleich mit dem Kläger.

So geschehen am OLG Karlsruhe: Dort war für vergangenen Dienstag die Urteils-Verkündung in sechs Verfahren gegen Volkswagen angesetzt. Doch alle Termine wurden kurzfristig abgesagt. Vier davon wegen einer "außergerichtlichen Vergleichsvereinbarungen", wie ein Sprecher bestätigt. Zuvor hatte der 17. Zivilsenat des OLG in seinen Terminsverfügungen unmissverständlich klar gemacht, dass er die Klagen der VW-Kunden für berechtigt hält: Die Richter schrieben von einer "Lieferung einer mangelhaften Kaufsache" und stellten fest: "Diese Pflichtverletzung dürfte erheblich sein." Deshalb spreche "vieles dafür", dass der Kunde vom Kaufvertrag zurücktreten darf - und zwar "unabhängig davon", ob Volkswagen eine arglistige Täuschung oder ähnliches angelastet werden kann, "wofür allerdings ... einiges spricht".

Anfang 2019 könnten viele Ansprüche verjährt sein

Kein Wunder also, dass der Konzern die Forderungen der Kläger großzügig erfüllt, ohne Urteile abzuwarten. Volkswagen möchte offensichtlich verhindern, dass höherinstanzliche Urteile gegen das Unternehmen gesprochen werden. VW bestreitet diese eigentlich nachvollziehbare Taktik allerdings vehement: Die Vergleiche dienten vielmehr dazu, die Beziehung zu den Kunden zu erhalten - anstatt sich zu zerstreiten. Zudem gebe es ja immerhin schon einige Urteile zugunsten der Kläger.

Der Sprecher rechnet vor, VW habe von den 4000 bislang in erster Instanz entschiedenen Fällen 70 Prozent gewonnen. Das heißt aber auch: 1200 Fälle wurden verloren. Wie viele Vergleiche geschlossen wurden, beantwortet VW nur ungenau: In Relation zur Gesamtzahl liege die Zahl "im niedrigen Prozentbereich". Wie viel Geld sich der Konzern diese Vergleiche kosten lässt, ist ungewiss. Aber die Aufräumarbeiten des Betrugs haben schon weit mehr als 20 Milliarden Euro gekostet, da fällt das nicht so sehr ins Gewicht.

Trotz der vielen Vergleiche haben drei Verfahren gegen Volkswagen den Bundesgerichtshof in Karlsruhe erreicht - jeweils auf das Betreiben von klagenden Kunden. Nach Konzernangaben haben drei Käufer eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH erhoben, nachdem ihre Klage zuvor zurückgewiesen worden war. Der Zwischenstand hier sieht noch ganz gut aus für VW: Eine Beschwerde habe der BGH bereits zurückgewiesen, eine habe der Kläger wieder zurückgenommen. Aber die dritte liegt eben noch beim zuständigen Senat.

Auch gegen Bosch liegen mittlerweile etliche Klagen vor

Für VW wäre ein Grundsatzurteil des obersten Gerichts zugunsten eines Autokäufers teuer. Solch eine Entscheidung könnte Tausende zusätzliche Klagen auslösen von Kunden, die bislang die Kosten und Mühen scheuten, weil sie dachten, sie hätten gegen den mächtigen Konzern ohnehin keine Chance. Das Vorgehen von VW lässt sich dabei auch als Verzögerungstaktik interpretieren. Die Anwälte wollen alles dafür tun, dass ein Entscheid erst 2019 kommt. Denn zum Jahreswechsel steht eine wichtige Verjährungsfrist an: Wer den Hersteller des Schummel-Motors EA189 auf Schadensersatz verklagen will, muss dies bis spätestens am 31. Dezember tun. Danach sind die Ansprüche verjährt.

Neuerdings liegen sogar eine Handvoll Klagen gegen den Stuttgarter Zulieferer Bosch vor. Ihm werfen die Kläger vor, er habe die in den Motoren eingebaute Schummel-Software mitentwickelt. Bislang gibt es nach Angaben eines Bosch-Sprechers nur ein Urteil: das Landgericht Stuttgart wies die Klage zurück. Doch sicher kann sich Bosch damit noch nicht sein: Der Kläger hat Berufung vor dem Oberlandesgericht Stuttgart eingelegt.

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