Milliarden-Bußgelder sind verhängt, Staatsanwälte in Braunschweig, München und Stuttgart ermitteln gegen Top-Manager, Fahrzeuge werden europaweit zurückgerufen oder erst gar nicht ausgeliefert, Glaubwürdigkeit und Imagewerte der Industrie sind auf einem Tiefpunkt. Die Folgen der Abgasaffäre für die Hersteller sind vielfältig. Dazu gehören auch Tausende Zivilklagen von Autokäufern, die nicht akzeptieren wollen, dass ihre Dieselwagen im Straßenverkehr viel mehr Schadstoffe ausstoßen als offiziell angegeben. Sie fordern Schadenersatz oder zumindest die Rücknahme des aus ihrer Sicht mangelhaften Fahrzeugs. Diese Klagen werden immer mehr. Die genaue Anzahl kennt niemand, Volkswagen spricht von etwa 20 000, andere gar von mindestens 25 000.
Eine davon liegt inzwischen am Bundesgerichtshof (BGH), diese könnte für den Konzern sehr gefährlich werden. Denn eine Grundsatzentscheidung des BGH zugunsten des Käufers könnte eine Klage-Lawine von bisher zögerlichen Kunden auslösen. Auch Konkurrent Daimler und der Zulieferer Bosch wurden zuletzt von Autokäufern verklagt - Daimler mit Erfolg, Bosch ohne.
Je länger die Diesel-Affäre dauert, desto erfolgreicher sind die verärgerten Kunden vor Gericht. Zuletzt musste Daimler vor Landgerichten in Hanau und Karlsruhe Niederlagen einstecken, obwohl der Stuttgarter Hersteller im Gegensatz zu Volkswagen nach wie vor beteuert, er habe in der Abgasreinigung seiner Motoren keine illegale Abschalteinrichtungen eingebaut. Dennoch verurteilte das Landgericht Hanau das Stuttgarter Unternehmen dazu, einen Mercedes Vito zurückzunehmen und dem Käufer den Kaufpreis weitgehend zu erstatten. Die Karlsruher Richter attestierten Daimler sogar eine "sittenwidrige vorsätzliche Schädigung" und sprachen dem Kläger einen Anspruch auf Schadenersatz zu. Gegen beide Urteile hat Daimler Rechtsmittel eingelegt. "Wir können die Entscheidung nicht nachvollziehen", sagt eine Sprecherin. Beide Fälle werden demnächst vor Oberlandesgerichten verhandelt.
Volkswagen hat bereits zahlreiche Verfahren vor diversen Oberlandesgerichten bestritten. Nach Angaben eines Sprechers gibt es "etwa ein Dutzend" Urteile, davon sei nur ein einziges vom Kläger gewonnen worden. Das klingt sehr erfolgreich für die Wolfsburger, ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn in vielen OLG-Verfahren hat Volkswagen im letzten Moment die Notbremse gezogen. Wenn sich eine Niederlage abzeichnete, schloss der Konzern einen Vergleich mit dem Kläger.
So geschehen am OLG Karlsruhe: Dort war für vergangenen Dienstag die Urteils-Verkündung in sechs Verfahren gegen Volkswagen angesetzt. Doch alle Termine wurden kurzfristig abgesagt. Vier davon wegen einer "außergerichtlichen Vergleichsvereinbarungen", wie ein Sprecher bestätigt. Zuvor hatte der 17. Zivilsenat des OLG in seinen Terminsverfügungen unmissverständlich klar gemacht, dass er die Klagen der VW-Kunden für berechtigt hält: Die Richter schrieben von einer "Lieferung einer mangelhaften Kaufsache" und stellten fest: "Diese Pflichtverletzung dürfte erheblich sein." Deshalb spreche "vieles dafür", dass der Kunde vom Kaufvertrag zurücktreten darf - und zwar "unabhängig davon", ob Volkswagen eine arglistige Täuschung oder ähnliches angelastet werden kann, "wofür allerdings ... einiges spricht".